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Meinung

Kolumne von Markus Somm
Der neue Alfred Escher

Nationalrat Simon Michel, FDP-SO, am Rand der Wintersession der Eidgenoessischen Raete, am Dienstag, 19. Dezember 2023 im Bundeshaus in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)
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Die FDP führt zurzeit interne Workshops durch, die der «Meinungsfindung» zu den «zentralen Themenbereichen des Verhandlungsmandates mit der EU» dienen sollen, wie der «Nebelspalter» diese Woche bekannt gemacht hat. Eingeladen sind handverlesene Parteimitglieder, vorab aus der Fraktion, angehört werden Referenten, die, so hört man, eher dem europhilen Lager zuzuordnen sind. Was stimmt, lässt sich schwer überprüfen, da die FDP die Referentenliste nicht offenlegt.

Wie auch immer, der Vorgang erstaunt einigermassen, da die Partei stets beteuert hatte, insbesondere deren Präsident Thierry Burkart, man wolle zuerst das Ergebnis aus Brüssel abwarten, bis man eine Position beziehe. Von abwarten, so erzählen Teilnehmer, ist in diesen Workshops aber nicht viel zu spüren, sondern eher vom Vorkneten und Einseifen skeptischer Freisinniger. Wenn man allerdings weiss, wer hinter diesen Workshops steckt, ist man weniger erstaunt: Simon Michel, der beste Nationalrat aller Zeiten, oder sicher seit Alfred Escher – diesen Eindruck jedenfalls muss er selber haben, denn selten ist ein Greenhorn in Bern so selbstbewusst oder je nach Standpunkt: so anmassend und weltfremd aufgetreten. Ist uns Freisinnigen über Nacht ein neuer Escher aus Solothurn geboren worden?

Der Freisinn hat es sich gemütlich gemacht

Michel, der jedem, der es in der Fraktion wissen will, gerne mitteilt, dass er einen 500-Millionen-Konzern führe, treibt die Partei systematisch nach links – ins europhile Lager. Wenn ich ihn jetzt aufheulen höre, weil ich sein Verhalten so beschreibe, dann genügt vielleicht der Hinweis, dass sich die einst durchaus neoliberale EU inzwischen ins grösste Regulierungsmonster der Weltgeschichte verwandelt hat. Ein Monster, das Europa in den Ruin stürzen dürfte, wenn es so weitergeht. Fragen Sie einen Deutschen.

Wer jetzt als «Liberaler» noch die Nähe zur EU sucht, wer hinnimmt, dass ein wesentlicher Teil unserer Wirtschaftspolitik in Brüssel gemacht werden soll, von unliberalen Funktionären ausgeheckt und ungewählten Kommissaren durchgesetzt, der betreibt keine «liberale» Politik, selbst wenn er das ehrlich meinen mag. Er betreibt das Geschäft der Etatisten. Doch es geht nicht um Michel.

Seit gut 30 Jahren befindet sich die FDP im Niedergang. Dafür gibt es verschiedene Gründe, einer aber ist unübersehbar: Der Streit um Europa, besser: die EU. Weil sie sich nie zu einer eindeutigen Position bekennen mochte, verlor die Partei sehr viele Wähler an die SVP (die Euroskeptiker), sie büsste aber auch einen Teil der jungen Generation ein, die zur SP oder GLP wechselte (die Europhilen). Kurz, zwischen Hammer und Amboss hat es sich der Freisinn gemütlich gemacht, sofern man das gemütlich nennen kann. Allzu lange übersteht man das nicht. Hier ein Arm ab, dort ein Bein zerquetscht.

Im Glauben, einen Mittelweg zwischen Beitritt und Alleingang gefunden zu haben, setzte die FDP auf den bilateralen Weg. Zu Recht. Das ist eine Erfolgsgeschichte – abgesehen von der Zuwanderung, die ausser Rand und Band geraten ist und dringend der Steuerung bedarf. Eine Erfolgsgeschichte trotzdem, die wohl weitergehen könnte, wenn sich die Schweiz nicht ständig von der EU Dinge aufschwatzen liesse, die nichts mit «Bilateralismus» zu tun haben, sondern mit einem Anschluss ohne Mitgliedschaft und Mitsprache. Man kann auch von einer Kolonisierung der Schweiz sprechen.

Michel spaltet die Partei

Nichts anderes wird in diesen Tagen mit der EU verhandelt: Dem Vernehmen nach besteht diese immer noch darauf, dass wir einen umfangreichen Teil unserer Wirtschafts-, Sozial- und Migrationsgesetzgebung aus Brüssel beziehen, ohne etwas zu sagen zu haben; nach wie vor soll das Gericht der EU, der Europäische Gerichtshof, bei bilateralen Konflikten das letzte Wort haben. So als ob wir gegen die EU Fussball spielen würden und die EU auch den Schiedsrichter stellte. Irgendwann bestimmt sie dann noch unseren Nationaltrainer.

Dass es in der Schweiz manche Leute gibt, vorab Diplomaten und Beamten, die das gar nicht so schlimm finden, ist schlimm genug. Ihre Karriereplanung endet in Brüssel, nicht mehr in Bern. Dass aber freisinnige 500-Millionen-Unternehmer darauf hereinfallen, irritiert schon mehr. Michel spaltet die Partei, zu einem Zeitpunkt, da sich sonst alle diszipliniert an die Losung von Burkart halten. 

Doch machen wir uns nichts vor: Der Freisinn, der den ersten demokratischen und liberalen Bundesstaat in Europa gegründet hat, wird sich bald entscheiden müssen, ob wir Schweizer unsere Gesetze weiterhin selber schreiben – oder ob das Brüssel für uns tut.

Markus Somm ist Chefredaktor des «Nebelspalters»