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Grosse Alters-Wohngemeinschaften
Znacht um halb sechs und Bingo-Nachmittag? «Bitte nicht»

Portrait von Barabara Bischof bei ihr zuhause. 07.12.23

Wohnen im Alter
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Bis ins betagte Alter in einem 11-Zimmer-Haus. Das wäre für mich ein Graus.

Sie wünschen sich eine richtig grosse Alters-WG, einen Ort, wo sie zusammen leben und alles selber organisieren können. Doch dieses Angebot gibt es für über 60-Jährige nur vereinzelt in der Schweiz. Darum hat sich jetzt eine Gruppe von Babyboomern zum Alterskollektiv (AK) zusammengeschlossen. «Es braucht dringend Alternativen zum gängigen Angebot», sagt Co-Präsidentin Agnes Weber.

Die ehemalige Bildungswissenschaftlerin ist seit sieben Jahren pensioniert. «An einem Altersheim im herkömmlichen Sinne ist unsere Generation schlicht nicht mehr interessiert», sagt sie. Seniorinnen und Senioren seien heute nicht nur fitter, sondern hätten diametral andere Vorstellungen vom Älterwerden. Znacht um halb sechs und Bingo-Nachmittag? «Bitte nicht», sagt Weber. «Wir wollen uns nicht vorschreiben lassen, wie wir zu leben haben.»

Das AK plant gross. Geht es nach den Vorstellungen der rund 60 Mitglieder, soll im Raum Zürich eine Siedlung für 70 bis 120 Menschen entstehen. Vorgesehen sind unterschiedliche Wohnräume, von der Singlewohnung bis zum Grosshaushalt, mit 40 Quadratmetern Wohnfläche für eine Einzelperson und 60 für Paare.

Wohnen im Alter mit Agnes Weber und Hansueli Amacher. 12.12.23

Die Idee dahinter: Im Alter beginnt eine neue Lebensphase, der eigene Wohnbedarf wird kleiner, die Kinder sind ausgeflogen. Dafür wächst das Bedürfnis nach neuen, gemeinsamen Räumen: beispielsweise eine Bibliothek, eine Gemeinschaftsküche oder eine Werkstatt. «Wir möchten die schönen Seiten des Älterwerdens zusammen erleben und uns bei den schwierigen unterstützen», sagt Weber.

Eine Liegenschaft oder ein Grundstück sowie Investoren und Partner zu finden, ist keine leichte Aufgabe. Unter dem Namen «Wohnbaugenossenschaft Alterskollektiv» existiert seit ein paar Jahren eine im Handelsregister eingetragene Genossenschaft, die darauf wartet, aktiviert zu werden. 

«Zürich ist ein schwieriges Pflaster, um so etwas zu realisieren», sagt Weber. Sie und fünf weitere Frauen haben letzten Frühling die Führung übernommen und geben sich kämpferisch: «In den nächsten Jahren geht ein Pensions-Ruck durch die Schweiz, da wird es andere Wohnformen brauchen.»

Aktuelle Zahlen des Bundes zeigen, dass mit zunehmendem Alter immer weniger Menschen mit jemandem zusammenleben, diese aber den meisten Platz beanspruchen. Mit im Schnitt fast 60 Quadratmetern Wohnfläche bewohnen Personen ab 75 Jahren die grössten Wohnungen. Deshalb wären Hausgemeinschaften für ältere Menschen auch für den überhitzten Wohnungsmarkt von Vorteil, weil damit Platz für Familien frei wird. 

Mut machen dem Zürcher Alterskollektiv zwei bereits realisierte Projekte. Bei der Genossenschaftssiedlung Zusammenhalt in Winterthur hat es von der Vision bis zum Einzug über 20 Jahre gedauert. Präsident Heini Lüthy sagt: «Es hat einen langen Schnauf gebraucht, doch jetzt sind wir sehr zufrieden mit dem Resultat – auch damit, wie das tägliche Zusammenleben funktioniert.»

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Die Genossenschaftssiedlung Zusammenhalt in Winterthur war eines der ersten Projekte dieser Art. Am südlichen Ende des ehemaligen Sulzer-Areals wohnen 96 Bewohnerinnen und Bewohner, die zwischen 50 und 80 Jahre alt sind.
Die 75 Wohnungen wurden als Loftwohnungen konzipiert und haben jeweils eine Fläche von ca. 40, 60 und 80 Quadratmetern.

Seit Anfang 2020 leben in 75 Wohnungen am südlichen Ende des ehemaligen Sulzer-Areals 96 Bewohnerinnen und Bewohner, die zwischen 50 und 80 Jahre alt sind. Aktivitäten sind auf das Leben im Ruhestand zugeschnitten. Es gibt eine Wandergruppe, Boule-Spiele und eine Happy Hour an der Bar. In der Gemeinschaftsküche oder im Waschsalon können die Bewohnerinnen und Bewohner selber haushalten und dabei auch einen Schwatz halten.

«Wir legen Wert darauf, vieles gemeinsam zu tun», sagt Lüthy. Ziel ist es, dass alle möglichst lange im Haus wohnen und am Leben teilhaben können. Aber: Eine professionelle Pflege bietet die Siedlung nicht. Wird diese nötig, müssen andere Lösungen gefunden werden.

«Dieses Thema wird uns noch beschäftigen.» Bisher habe die gegenseitige Hilfe gut funktioniert. Doch wie es in zehn Jahren aussieht, wisse natürlich niemand. Das Problem in Winterthur ist, dass viele ähnlich alt sind, um die 70. «Wir sind also alle in ein paar Jahren ziemlich alt», sagt Lüthy.

Deshalb sucht der Zusammenhalt als Neumitglieder «bevorzugt Personen im Alter von 55 bis 65 Jahren». Wobei die Mitgliedschaft nicht automatisch eine Wohnung garantiert. Denn aktuell sind diese alle belegt. Sie kosten je nach Grösse zwischen 1000 und 2200 Franken Miete pro Monat. Ein einmaliger Genossenschaftsanteil von 2000 Franken und eine Mietabschlussgebühr von 250 Franken pro Quadratmeter sind da noch nicht eingerechnet.

Ein ähnliches Projekt ist die Winkelhalden in Oberrieden, aber sie hat ein anderes Finanzierungskonzept. Mitbegründer dort ist Beat Stünzi, der bereits das Outdoor-Unternehmen Transa mit aufgebaut hat. Die Siedlung unweit des Zürichsees mit 44 Wohnungen ist als Aktiengesellschaft organisiert. Die Bewohnerinnen und Bewohner halten allein das Aktienkapital. 

Weil die Seniorinnen und Senioren das Kapital selbst mitgebracht haben, war es möglich, das Projekt ohne externe Investoren zu stemmen. Kostenpunkt pro Quadratmeter: rund 4400 Franken. Das heisst, eine Zwei-Personen-Wohnung von gut 80 Quadratmetern belief sich auf etwa 390’000 Franken. «Wir haben so vor allem den Mittelstand angesprochen», sagt Stünzi. Jene, die über die Jahre etwas auf die Seite gelegt haben, Pensionskassengelder beziehen oder ein Eigenheim verkaufen konnten. 

Stünzi betont aber: «Aktiengesellschaft tönt nach Gewinnorientierung, doch das ist nicht unsere Strategie.» Eine AG ermögliche den Bewohnern anteilsmässig eine sichere Investition und damit ein Gefühl von Eigenheim. Auch garantiere ein Aktionärsbindungsvertrag die Umsetzung der kooperativen Philosophie und regle die Nachfolge bei Tod oder Fluktuation der Bewohnerinnen und Bewohner.

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In der Winkelhalden sind die 44 Wohnungen zwischen 46 und 95 Quadratmeter gross und als flexible Einheiten konzipiert. Sie verfügen alle über eine Küche und eine bis zwei Nasszellen.
Die Idee dahinter: Im Alter beginnt eine neue Lebensphase, der eigene Wohnbedarf wird kleiner. Dafür wächst das Bedürfnis nach gemeinsamen Räumen und Begegnungsorten.

Solche Wohnformen haben Zukunft – vor allem auch bei den jungen Alten, davon ist Stünzi überzeugt. «Unsere Generation hat oft schon mit 20 Jahren in WGs gewohnt.» Dann seien vielleicht Familienjahre gekommen, und nun stehe im dritten Lebensabschnitt wieder das gemeinschaftliche Leben im Vordergrund. «Auch weil dadurch keine soziale Isolation droht, wenn Kontakte zu Bekannten wegfallen und die Kinder nicht immer Zeit haben.»

Noch ist gemeinschaftliches Wohnen im Alter eine Nische. Auch weil diejenigen Generationen, die mit dem WG-Leben sozialisiert wurden und offen für neue Wohnformen sind, erst jetzt in die 3. Lebensphase kommen. Und viele das Thema Wohnen im Alter zu lange vor sich herschieben. Mit der Folge, dass die allermeisten so lange in ihrer Wohnung oder in ihrem Haus wohnen bleiben, bis es tatsächlich nicht mehr geht. 

«Aber man muss nicht in jeder Lebensphase am gleichen Ort wohnen», sagt Ursina Kubli, Leiterin Immobilienresearch bei der ZKB. Es könne durchaus sinnvoll sein, mehrere Stationen einzuplanen. Das brauche aber Mut und die Bereitschaft zu zügeln, solange man noch fit sei. Ginge es nach Kubli, wäre ein optimaler Zeitpunkt, sich damit zu beschäftigen, mit etwa 50 Jahren. «Aber dann sind die meisten noch mit Familie und Beruf beschäftigt und das Leben nach der Pension scheint weit weg.»

«Ich schaue nach wie vor gerne Fussball. Das könnte im Altersheim schwierig werden.»

Wohnen im Alter mit Agnes Weber und Hansueli Amacher. 12.12.23

«Als ich vor Jahren zusammen mit meiner damals 85-jährigen Mutter ein Altersheim besuchte, sagte sie nach einer einstündigen Führung: Das ist gar nichts für mich, da leben nur alte Leute. Ich sehe das genauso. Ich bin jetzt 66 Jahre alt, und wenn ich an all die vielen Angebote von Residenzen bis Wohnungen für alte Menschen denke, dann fühle ich mich als absoluter Junior und kann mit den Angeboten nichts anfangen. Ich schaue nach wie vor gerne Fussball und war immer gerne in Gesellschaften, wo der Anteil Männer und Frauen je hälftig ist. In den Altersheimen kommen aber meistens auf einen Mann vier Frauen. Da ist normalerweise nicht mehr viel mit Fussball schauen.

Vor drei Jahren bin ich in die 60-Quadratmeter-Wohnung meiner Partnerin eingezogen, und wir sind sehr glücklich. Aber ich weiss auch, dass die Wohnung nicht unbedingt geeignet ist, um darin alt zu werden. Nur schon der Zugang ist nicht hindernisfrei. Deshalb bin ich beim Alterskollektiv dabei. Ob mir dann die autonome Alters-WG auch tatsächlich entspricht, weiss ich noch nicht, aber mir gefällt die Vorstellung, dass jeder seine privaten Räume hat und wenn er Gesellschaft möchte, dies in den Gemeinschaftsräumen haben kann. Ich habe in meinem Leben verschiedene Wohnformen praktiziert: vom Einfamilienhaus mit Frau, Hund, Auto und Rasenmäher bis jetzt in einem Mehrfamilienhaus zu zweit. Schon beim Einzug bei meiner Partnerin habe ich mich von allem Ballast getrennt und fühlte mich wie befreit.» 

«Mit einem Mann etwas Kleines, Herziges aufbauen möchte ich nicht mehr.»

Portrait von Barabara Bischof bei ihr zuhause. 07.12.23

Wohnen im Alter

«Ich will nicht auf Forever Young machen, sondern in einer fröhlichen, verbindlichen Hausgemeinschaft mit anderen Seniorinnen und Senioren zufrieden älter werden. In einer Alters-WG, die sich autonom verwaltet, und nicht in einer dieser Residenzen, die angeblich für uns gebaut werden, aber nicht unsere Bedürfnisse kennen, sondern uns nur als kaufkräftige Gruppe sehen, die gerne Kreuzfahrten macht und den Enkeln teure Spielzeuge schenkt.

Ich bin jetzt 66 Jahre alt. Bis vor kurzem habe ich jeweils im Winter als Journalistin und im Sommer als Bademeisterin gearbeitet. Da war es natürlich praktisch, dass ich im Kreis 4 mitten in der Stadt Zürich wohne und mit dem Velo in 15 Minuten in der Badi Utoquai war. Aber jetzt muss es nicht mehr zwingend die Stadt sein. Mein Freundeskreis ist auch nicht nur hier daheim. Viel wichtiger als der Ort ist für mich die Art des Wohnens. Deshalb engagiere ich mich als Co-Präsidentin beim Alterskollektiv. Gelebt habe ich selber schon in allen möglichen Formen: von der WG über das Einfamilienhaus bis zur Wohnung. Anfänglich zusammen mit meiner Tochter und meinem Mann, dann teilweise nur mit meiner Tochter und dann auch mal in einer Zweierkiste mit einem Mann. Seit vier Jahren lebe ich nun allein in einer 2½-Zimmer-Wohnung einer Genossenschaft. Doch ich vermisse Gleichgesinnte und offene Türen.

Für mich klar: Mit einem Mann etwas Kleines, Herziges aufbauen möchte ich nicht mehr. Überhaupt möchte ich mit keinem mehr zusammenleben. Gewandelt haben sich über die Jahre vor allem die Platzbedürfnisse. Bis vor vier Jahren hatte ich noch 80 Quadratmeter für mich, jetzt sind es 50. Es könnten aber gut auch weniger sein. Ich bin keine Sammlerin, vielleicht auch, weil meine Eltern da ein abschreckendes Beispiel waren. Sie lebten bis ins betagte Alter in einem 11-Zimmer-Haus. Das wäre für mich ein Graus.»