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Die Rolle der WHO in der Corona-Krise
Wo Donald Trump mit seiner Kritik an der WHO recht hat

Seinen Ausführungen hat die WHO zu lange geglaubt: Der chinesische Präsident Xi Jinping auf einem Video-Screen einer Bushaltestelle in Shanghai.
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Am 10. Februar 2003 findet David Heymann eine E-Mail im Posteingang; Absender ist der Sohn eines früheren WHO-Mitarbeiters in China. Dort grassiere eine «merkwürdige ansteckende Krankheit» – schon hundert Menschen seien daran gestorben, und es sei «nicht erlaubt, die Öffentlichkeit darüber zu informieren». Die E-Mail alarmiert Heymann, Leiter der WHO-Abteilung für ansteckende Krankheiten. Seit November 2002 sammelt er Meldungen über ungewöhnliche Lungenerkrankungen in China. Erst später wurde klar, dass es sich um das hochgefährliche Sars handelte.

Heymann und WHO-Generaldirektorin Gro Harlem Brundtland stellen Peking zur Rede. «Die Regierung hielt wochenlang Informationen zurück», schreibt die heute 80-Jährige dieser Zeitung per Mail. «Sie weigerte sich, Anrufe von mir entgegenzunehmen.» Bis Brundtland öffentlich die Stimme gegen sie erhebt. China beginnt zu kooperieren. Brundtland aber legt noch einmal nach; der Ausbruch der neuartigen Seuche hätte schon viel früher eingedämmt werden können, wettert sie, wenn «die WHO in einem früheren Stadium hätte helfen können».

Bei der Bekämpfung von Sars hatte die WHO ihre Sternstunde

Die Krankheit breitet sich aus. Die WHO-Führung entscheidet sich, etwas zu tun, was sie nie zuvor getan hat. Sie warnt vor Reisen in die betroffenen Gebiete. Die Passagierzahlen brechen ein, der Druck auf Brundtland wächst. «Ja, es gab Stimmen, die mich warnten, dass Reisewarnungen als zu radikal aufgefasst werden könnten», sagt sie. «Ich hörte mir alle Argumente an, und dann traf ich meine Entscheidung.»

Brundtland gilt als Beweis, dass die Effizienz der WHO von der Persönlichkeit an der Spitze abhängt. Sie war Norwegens Ministerpräsidentin gewesen, legte ihr Mandat als WHO-Chefin sehr weit aus. Ihr damaliger Kollege Heymann erinnert sich: «China hat erst angefangen, Informationen über den Ausbruch mit der WHO zu teilen, nachdem Dr. Brundtland der Regierung öffentlich vorgeworfen hatte, Informationen zurückzuhalten und dadurch die ganze Welt zu gefährden.»

Trumps Vorwürfe «nicht völlig falsch»

Und heute? Die WHO habe es «vermasselt», so US-Präsident Donald Trump. Mitten in der Corona-Pandemie hat er die Zahlungen der US-Beiträge gestoppt. Trumps Schritt löst weltweit Empörung aus. Doch einige Mediziner und Politiker sagen auch, Trumps Vorwürfe seien im Kern nicht komplett falsch. Die WHO habe sich viel zu sehr China unterworfen. Wie konnte es dazu kommen?

Getragen vom Erfolg ihrer Chefin Gro Brundtland, beginnt die WHO seinerzeit nach der Sars-Epidemie, ihre Internationalen Gesundheitsvorschriften zu überarbeiten, das völkerrechtlich bindende Regelwerk, das die Mitgliedsstaaten auf Standards im Umgang mit Gefahren für die öffentliche Gesundheit verpflichtet. Von 2007 an kann die WHO Informationen über Seuchen aus nicht offiziellen Quellen sammeln und von Regierungen Stellungnahmen dazu einfordern. Ein grosser Fortschritt. Was aber auch die neuen Vorschriften der WHO nicht verleihen: echte Macht. Sie kann keine Sanktionen verhängen. So bleibt die WHO ein Bittsteller.

Wie heikel das ist, zeigt sich, als im März 2009 in Mexiko eine neuartiger Influenza-Erreger ausbricht, die Schweinegrippe. Die WHO ruft im Juni den Pandemiefall aus, höchste Alarmstufe. Die Bilanz: 18’500 Tote in mehr als 200 Ländern – deutlich weniger als befürchtet. Doch statt Lob hagelt es Vorwürfe. Hat die WHO die Gefahr übertrieben? Der Kampfgeist Brundlandts ist verflogen, die Mitgliedsstaaten kürzen Beiträge. Dann die nächste grosse Krise. 2014, das Ebola-Virus breitet sich in Westafrika aus. UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon sieht sich genötigt, eilig eine Notfallmission aufzustellen, weil die WHO zu schwach agiert.

Die Vertuschung des iranischen Regimes nicht hinterfragt

Heute zeigt sich das Dilemma im Umgang mit dem Iran. WHO-Chef Tedros Ghebreyesus wird am 2. März gefragt, ob er nicht besorgt sei, dass die offiziellen Zahlen fraglich seien. Es gebe Medienberichte, entgegnet der WHO-Chef, aber er werde kein Land ohne Gründe oder Fakten beschuldigen. Kanadische Epidemiologen errechnen, dass die Zahl der Erkrankten wohl bei 18’000 liegt. In Teheran schlägt ein Abgeordneter aus Qom Alarm: Die Regierung habe den Ausbruch in der heiligen Stadt vertuscht. 50 Tote gebe es. WHO-Chef Tedros bleibt im März dabei. Man sei eine technische Organisation, die WHO müsse Fakten prüfen.

Eine technische Behörde, neutral und unpolitisch, so wollen viele Mitgliedsstaaten die Rolle der WHO verstanden wissen. Sie haben kein Interesse an Kritik, wollen sich nicht hineinreden lassen, nur die Informationen weitergeben, die nach den eigenen politischen Bedürfnissen opportun erscheinen. Die WHO aber ist auf Transparenz ihrer Mitgliedsstaaten angewiesen, wenn sie ihre Aufgaben erfüllen soll.

Beschönigungen aus China übernommen

Gutgläubig, regelrecht hörig wirken angesichts dessen anfangs die diplomatischen Bemühungen der WHO gegenüber China. Ihr Chef spricht von der «totalen Offenheit» Chinas, einer Leistung, die «nichts weniger als exzellent» sei. Im Hintergrund kämpfen die Experten um Zugänge ins Land. Wochenlang muss die WHO betteln, bis schliesslich eine internationale Mission in die Region Hubei fahren darf.

Auch dabei übernimmt sie an einigen Stellen anfangs beschönigende Äusserungen des Regimes. So teilt die WHO am 15. Januar über Twitter eine Behauptung aus Peking, die beruhigend klingt: «Vorläufige Untersuchungen von den chinesischen Behörden haben keinen klaren Beweis ergeben, dass sich das neue Coronavirus zwischen Menschen überträgt.»

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Dabei haben Gesundheitsbehörden Taiwans die WHO bereits am 31. Dezember gewarnt. Chinas Nachbar ist einer der wenigen Staaten, die den Ausbruch früh unter Kontrolle bringen, doch Taiwan hat kein Mitspracherecht. Peking blockiert die WHO-Mitgliedschaft des 24-Millionen-Landes vor seiner Küste, hat zuletzt sogar einen Beobachterstatus verhindert.

«Höchste Zeit zu handeln»

Gro Brundtland ist heute 80 Jahre alt, aber leise werden will sie noch nicht. Sie ist jetzt Vorstandschefin des Global Preparedness Monitoring Board, einer Unterorganisation der WHO, die untersucht, wie gut Regierungen auf mögliche Pandemien vorbereitet sind. «Viele der Empfehlungen wurden schlecht umgesetzt – oder überhaupt nicht», schreibt Brundtland. «Wir haben zu lange einen Zyklus aus Panik und Nachlässigkeit zugelassen, was Pandemien angeht. Wir fahren unsere Anstrengungen hoch, wenn es eine ernste Bedrohung gibt, und vergessen sie wieder, wenn die Bedrohung abklingt. Es ist allerhöchste Zeit zu handeln.»