Corona und Tourismus in WienWo die Pferde rumstehen und die Kreditlast wächst
Von einer der lebenswertesten Städte der Welt zum Risikogebiet: Fiaker und Hoteliers leiden, das berühmte Sacher kündigt zahlreichen Mitarbeitern. Andere sagen, wer auf Einheimische als Gäste pfeife, sei selbst schuld.
Fiaker Sascha hockt trübsinnig auf seinem Kutschbock am Michaelerplatz und starrt in die milde Herbstsonne. Keine einzige Fahrt hat er an diesem Tag gehabt, keine Tour um den Ring, keine Erklärungen in gut geöltem Englisch für die asiatischen Touristen oder auf Österreichisch für die Deutschen. Es sei ein Trauerspiel, sagt Sascha, der seinen Nachnamen nicht preisgeben möchte, «weil man ja nicht darüber lesen möchte, wie schlecht es einem geht». Aber schlecht geht es. Sehr schlecht.
Sechs bis acht Fahrten macht er in guten Zeiten auf seinem Fiaker in Wien pro Tag, aber seit wegen Corona die Touristen ausbleiben, stehen sich die Pferde die Beine in den Bauch und die Kreditlast wächst. Keine Ahnung, wie lange er noch durchhalte, sagt er; fast alle, die hier an der Hofburg auf Kundschaft warteten, hätten Geld aufnehmen müssen, weil die Hilfsgelder von der Stadt ausgelaufen seien – und ohnehin nicht reichten.
«Es ist ein Trauerspiel»
Nachts liege er mit Sorgen wach, wenn er an die Zukunft denke, sagt Sascha. Wie soll er über den Winter kommen, wenn keiner mehr anreist aus dem Ausland? «Verkaufen geht nicht; wer kauft jetzt schon einen Fiaker?» Ab und zu kämen mal ein paar mitleidige Wiener, die eine kurze Rundfahrt buchten. Aber sonst? «Es ist ein Trauerspiel», wiederholt er und seufzt tief.
Corona lässt nicht nur die legendären Wiener Fiaker in den Abgrund schauen. Die 21 Unternehmen, die es noch im Frühjahr gab, dürften sich in der Krise dezimieren; die Kosten für Futter, Einstreu, Hufpflege und Stallungen für die 300 Pferde laufen weiter auf, aber es kommt kein Geld mehr rein. Die Reisewarnungen aus der Schweiz, aus Deutschland und aus den Niederlanden sind aber nicht nur für die Kutscher und ihre Tiere ein Riesenproblem. Der Direktor von Wien Tourismus, Norbert Ketter, nennt den Schritt eine «Super-Katastrophe», und da hilft es auch nichts, dass andere Metropolen in Europa von der Misere genauso betroffen sind.
Knapp acht Millionen ausländische Touristen waren 2019 nach Wien gekommen. Im Vergleich zum vergangenen Jahr sind die Übernachtungen bereits um 70 Prozent zurückgegangen; der Negativtrend dürfte sich fortsetzen. Panik macht sich angesichts neuer Reisewarnungen aus der EU für Vorarlberg und Tirol auch in den Skiregionen breit. Aber es ist die Metropole im Osten des Landes, die sich zudem um ihr Image als eine der lebenswertesten Städte der Welt sorgt. Und so sind es derzeit nicht andere Konkurrenten wie Sydney oder Seattle, die Wiens Ruf als Dorado des Wohlgefühls bedrohen. Es ist Covid-19. Ein mieser, ein fieser Feind.
Die andere Nachricht, die wie eine Bombe einschlug in der Tourismusindustrie des Landes, kam aus der Sacher-Gruppe. 140 Kündigungen wurden ausgesprochen, 105 in Wien und 35 in Salzburg – und das, obwohl viele Mitarbeiter in Kurzarbeit sind. Der Umsatz werde, so Geschäftsführer Matthias Winkler, in diesem Jahr nur bei etwa 25 Prozent des Vorjahres liegen, nun bete man für bessere Zeiten.
Im Sacher versucht man es derzeit unter anderem mit Werbeaktionen für das regionale Publikum.
Man kann Winkler im blauen Salon des Wiener Sacher-Hotels treffen, wo er Medientermine am laufenden Band absolviert. Das Sacher ist eine Institution, und schlechte Schlagzeilen, die das Hotel hinter der Staatsoper betreffen, werden allgemein als Seismograf in der Branche gewertet – selbst wenn das 5-Sterne-Hotel, das zu 90 Prozent auf internationale Gäste setzt, nicht repräsentativ ist für die vielen kleinen und mittelgrossen Stadthotels, die von Wochenendtouristen und Kulturinteressierten leben.
Er habe, so der Geschäftsführer, natürlich Kontakt zu anderen Hotels in der Stadt gehabt, und allen gehe es ähnlich, aber nicht alle wollten sich mit ihren Sorgen outen. Im Sacher versucht man es derzeit unter anderem mit Werbeaktionen für das regionale Publikum, aber auch das dürfte schwieriger werden: Wer bucht schon ein nobles Séparée, in dem man für einen Sonderpreis Freunde bewirten könnte, wenn zugleich die Regierung die Zahl derer, die ausserhalb der Wohnung zusammenkommen dürfen, auf maximal zehn Personen beschränkt?
Die leere City
Die Metropole an der Donau ist gewöhnlich zu jeder Jahreszeit voll mit Touristen; viele Wiener meiden deshalb grundsätzlich den 1. Bezirk, wo auf der Kärntner Strasse «Klimt-Ausstellungen» goldbedruckte Kissen und den «Kuss» auf Regenschirmen verkaufen und die Japaner beim so wunderbaren wie unaussprechlichen Trzesniewski für ein paar Weissbrothappen bis zum Graben Schlange stehen.
Im Herbst aber, zur Weinlese, wenn in den Heurigenvororten der junge Wein ausgeschenkt wird, und im Winter, wenn die vielen romantischen Weihnachtsmärkte ihren hübschen Tand verkaufen, zieht die Stadt besonders viele Fans an. Normalerweise. In diesem Jahr erwarten Hotellerie und Cafés einen dramatischen Einbruch.
Und den können auch die Wiener selbst nicht wettmachen, die in die leere City strömen, weil sie endlich mal einen Platz im Café Central bekommen oder von der Terrasse des Café Landtmann über die Schönheit der Ringstrasse sinnieren können. Landtmann-Chef Berndt Querfeld gibt sich Mühe, gut gelaunt zu bleiben, aber natürlich sind auch bei ihm die Zahlen mies. Im Frühjahr kritisierte er in einem Interview zum Corona-Lockdown, die Hilfspakete der Regierung seien «zerplatzte Luftballons», darüber ärgerte sich das Tourismusministerium und verwies öffentlich darauf, die Familie habe für ihre zehn Cafés und Restaurants durchaus «Unterstützungsleistungen in Anspruch genommen».
Das Landtmann neben dem Burgtheater, das immer viele prominente Gäste anzog, ist halb leer.
Jetzt wägt Querfeld seine Worte vorsichtiger ab und sagt, bisweilen erinnere ihn der Umgang mit der Krise an eine «gigantische Zivilschutzübung, die ausser Kontrolle zu geraten» drohe. Er fliege mit seinen Lokalen und seinen etwa 350 Mitarbeitern «auf Sicht», weil niemand voraussagen könne, wie sich die Sache entwickle.
Querfeld hat einen guten Überblick. Das Landtmann neben dem Burgtheater, das immer viele prominente Gäste anzog, ist halb leer; der Ständer mit den beliebten Zeitungshaltern, ein Muss für jedes anständige Kaffeehaus in Österreich, ist ganz leer, weil Holzgriffe und sogar Papier Corona-bedingt «ansteckend sein könnten», wie er sagt.
Sein anderes Lokal in der Innenstadt, in dem nach der Arbeit die müden Hipster vorbeischauen, ist ausgestorben, weil die Angestellten im Homeoffice sind; Querfeld nennt das den «Gin-Tonic- und Aperol-Indikator»: Noch nie habe man im 1. Bezirk so wenig davon verkauft. An der Alten Donau wiederum tobt der Bär: Die Wiener flüchten in die Natur und damit auch in Landtmanns Bootshaus. So verlassen wie die Busparkplätze ist hingegen seine Jausenstation beim Schloss Schönbrunn. Querfeld kann also genau sehen, was in seinem Kosmos in der Krise geht. Und was nicht.
Die «Doyenne der Nacht»
Zur Bekämpfung der allgemeinen Corona-Depression und des Reisewarnungs-Blues geht der gelernte Wiener in die legendäre American Bar neben der Kärntner Strasse, die in der Hauptstadt «Loos-Bar» heisst, nach ihrem Architekten Adolf Loos. Dieser hat derzeit wegen einer nachgetragenen Debatte über seine mutmassliche Pädophilie eine schlechte Presse, die Loos-Bar hingegen hat immer eine gute: 27 Quadratmeter klein, 110 Jahre alt, denkmalgeschützt aus Holz, Glas, Messing und Onyx.
Mindestens ebenso berühmt ist – zumindest in Wien – die Wirtin Marianne Kohn. Medien nennen die 75-Jährige die «Doyenne der Nacht», was der coolen, bis zum Hals tätowierten ehemaligen Cutterin von Pasolini und Fellini, Freundin von Falco und Opernverehrerin nur bedingt gerecht wird. Wenn man Kohn, immer in Eile, im 7. Bezirk nahe ihrer Wohnung trifft, wird sie gallig. Bei ihr laufe es mässig, 30 Prozent Einbussen, aber das Leben gehe weiter. Die grossen Wettbewerber aber, die dürften sich nicht beschweren: Wer auf Einheimische als Gäste pfeife, wer sechs Euro für den Kaffee nehme, sei selbst schuld. Sie kenne, sagt Kohn, den Manager eines Luxushotels am Ring. «Die haben zurzeit fünf Gäste.» Sie wirkt nicht so, als tue ihr das extrem leid.
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