Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Bessere Immunität durch Infektion
Wirbel um Ansteckungsaussage von Top-Virologe Drosten

Der Virologe Christian Drosten ist der führende Corona-Experte in Deutschland. Er gibt regelmässig in einem Podcast Auskunft über die neusten Erkenntnisse der Wissenschaft. 
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Der bekannte deutsche Virologe hat in den sozialen und klassischen Medien für ordentlich Wirbel gesorgt. Im wöchentlichen Coronavirus-Podcast von NDR Info sprach er etwas mehr als zwei Stunden lang mit Wissenschaftsredaktorin Korinna Hennig über Impfquoten, Delta-Gefahren, Covid bei Kindern und die Auffrischungsimpfungen. Daraus entstanden sind dann Schlagzeilen wie: «Drosten will sich mit Corona infizieren» oder «Warum sich der Virologe eine Corona-Infektion wünscht».

Wer sich den Podcast anhört, erkennt schnell, dass Drosten das weder so gesagt noch gemeint hat. Der Steilpass der Schlagzeilen wurde in den sozialen Medien aber schneller in einen Tweetsturm verwertet, als man das ganze Gespräch nachhören konnte. Dies wurde selbst dem besonnenen Drosten zu viel, sodass er die verdrehte Aussage schliesslich klarstellte und auf seine ganze Wortwahl verwies.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Doch was hat Drosten wirklich gesagt? Wissenschaftsredaktorin Korinna Hennig befragte den Experten zu den viel diskutierten Auffrischungsimpfungen, nachzuhören ab Minute 55 im Podcast. Es sei nicht das Ziel, «über alle Zeit immer wieder impfen zu müssen», erklärte der Virologe. Rein immunologisch sei jede Auffrischungsimpfung zwar nützlich, man habe danach viel mehr Antikörper als vorher, und nach der dritten Impfung halte der Schutz wohl auch länger als nach der zweiten.

Um aber langfristig gesehen eine endemische Situation wie bei der Erkältung zu erreichen, sollte das Immunupdate durch immer wiederkehrende Kontakte mit dem Virus erfolgen und nicht über die Impfung. Diese Infektionsimmunität auf die Impfung drauf sei auf Dauer robuster, erläutert Drosten. Der Aufbau der Immunität erfolge dann vor allem im Bereich der Atemwege, in den Schleimhäuten. Und somit kann der Körper auch schneller auf eine Ansteckung reagieren.

Drosten rechnet mit Infektion

«Ich habe mich schon lange damit abgefunden, dass ich nach dem ersten Schutz durch die Impfung dann meine erste, zweite und dritte Corona-Infektion haben werde, und danach bin ich richtig und nachhaltig belastend immun», sagt Drosten. Dann werde er Sars-2 nur alle paar Jahre wiedersehen. Der Virologe sehnt sich also nicht nach einer Ansteckung oder möchte diese gar willentlich herbeiführen, wie das vielerorts interpretiert wurde, er rechnet lediglich damit, dass er aufgrund des weiterhin zirkulierenden Virus irgendwann davon erwischt wird, weil ja auch die Impfungen keine Garantie vor einer Ansteckung bieten.

Er könne das als relativ gesunder Erwachsener aber für sich selbst verantworten, dass er irgendwann angesteckt werde – weil er doppelt geimpft sei und bereits einen Grundschutz habe. Das gelte nicht für Ältere und vulnerable Gruppen, die weitere Impfdosen benötigten. Aus persönlicher Sicht würde er eigentlich auch am liebsten eine weitere Spritze kriegen, anstatt sich anzustecken, verrät Drosten, aber aus ethischen Gründen müsse seine dritte Dosis eher nach Afrika gehen.

Jüngere Menschen seien immer noch gut geschützt, in Afrika haben hingegen erst zwei Prozent überhaupt eine Impfung erhalten. Drosten ist auch Sprecher des Scientific Committee Global Health an der Universitätsklinik Berlin, weshalb er Impfungen immer auch aus diesem Blickwinkel betrachtet, wie er sagt. Und aus dieser Sicht sei es ethisch nicht vertretbar, hier die Jungen schon ein drittes Mal zu impfen.

Drosten erklärt, dass die Idee dieser Impfung ja sei, der Menschheit über die Schwelle zur endemischen Situation zu helfen. «Das heisst, dass wir mit dem Virus leben lernen, aber erst nachdem über die Impfung ein Schutz erreicht worden ist», sagt der Virologe. Im Moment sei es nicht möglich, das Virus zu eliminieren, es werde bleiben. Das gilt sowohl für Deutschland wie die Schweiz, wo die Impfquoten zu tief sind. «Die Schwelle zur Endemizität können wir diesen Herbst nicht auf uns nehmen, da zu wenig Menschen geimpft sind, es gäbe zu viele Tote, das Virus ist zu tödlich», sagt Drosten. Man müsse dies zuerst abmildern, damit das Virus sich schleichend in der Bevölkerung verbreiten könne und dabei «den allermeisten, fast allen Infizierten» nichts mehr ausmache.

«Dann sind wir in einer Erkältungssituation», erklärt der Virologe. «Wir wollen, dass Covid zu einer Erkältung wird, und über ein Erkältungsvirus macht sich ja niemand viele Gedanken. Das ist etwas unangenehm, aber wir wissen, dass wir es überleben werden. So entspannt wollen wir mit Sars-2 umgehen können, das ist mit endemischer Situation gemeint.» Wann das erreicht werden kann, hänge von der Impfquote ab. «Je mehr geimpft sind, desto schneller sind wir in dieser Situation.»

Katastrophe ohne Impfung

In England deute sich das bereits an, vielleicht brauche es dort zwar nochmals moderate Massnahmen, aber es bestehe schon die Hoffnung, dass England die endemische Situation im Herbst erreichen könne. «Das wird sich noch zeigen», sagt Drosten. «Klar ist, dass wir noch nicht dort sind. Und das ist gefährlich, weil wir nicht ewig Zeit haben, der Schutz durch die Impfung nimmt wieder ab.»

Die Pandemie sei eine Naturkatastrophe, eine höhere Gewalt. Drosten sagt, dass die Krise auch ganz anders hätte verlaufen können. Ohne die Aussicht auf eine Impfung hätte man die jüngere Bevölkerung durchseuchen müssen, während man die Älteren lange Zeit isoliert und dann graduell exponiert hätte. Es hätte viele Opfer gegeben, Tote und Langzeitbetroffene, das hätte man über die Zeit nicht verhindern können, weil es eine Naturkatastrophe sei. Und mit Delta wäre das alles noch schlimmer geworden.

«Vor diesem Horrorszenario hat die Impfung geschützt», sagt der Virologe, auch wenn sie keine Garantie gegen eine Erkrankung sei. «Das gilt übrigens auch für Masern-Mumps-Röteln, dort sind es 85 Prozent Schutz, trotzdem ist der Nutzen erwiesen», erklärt Drosten. «Bei der Grippe-Impfung sind es in schlechten Jahren sogar nur 40 Prozent, aber doch nützt sie auch dann noch etwas.»

Fronten haben sich verhärtet

Man müsse jetzt auch die Angst vor dem Virus verlieren, sagt die Wissenschaftsredaktorin, um diese endemische Situation zu erreichen. Und Drosten mahnt, nicht immer so dogmatisch zu sein. Manchmal müsse er auch revidieren, was man früher gedacht habe. So gebe es Anhaltspunkte, dass Infektionen bei Kindern weniger schlimm sind, wie dies auch bei anderen Infektionskrankheiten der Fall sei. Ältere Geschwister und Eltern seien jetzt durch die Impfung geschützt. Somit müsse man an den Schulen nicht mehr jede Infektion verhindern, wie das letzten Winter noch sinnvoll war.

Drosten bedauert, dass sich die Fronten bei dieser Frage verhärtet haben, die Stellungen seien bezogen, auf der einen Seite die Verharmloser, auf der anderen Seite die Ängstlichen, und es gehe gar nicht mehr um die Kinder, sondern nur noch darum, recht zu haben. Die Ängstlichen behaupteten, es würden alle Schüler durchseucht, dann hätten 4 Prozent der Kinder Long Covid, und das sei schrecklich. «Das ist falsch, Schulen werden nicht durchseucht», sagt Drosten. Genauso falsch sei es, einfach zu sagen, dass es Long Covid bei Kindern nicht gebe. «Wenn man Long Covid als Kombination von Symptomen definiert, dann gibt es bei den infizierten Kindern dreimal so viele, welche diese Symptome haben», erklärt der Virologe.

Zuletzt zeigt Drosten auch Sympathie für die 2-G-Regel, welche Ungeimpfte ausschliesst. «Wenn alle geimpft sind, gibt es keine Katastrophen, auch wenn jemand infiziert ist», erklärt Drosten und nimmt das Beispiel einer Orchesterprobe. «Einzelne stecken sich dann trotzdem an, aber es gibt nur begrenzte Infektionsketten.» Wenn die Impfung länger her sei, dann könne es auch etwas mehr Infektionsketten unter den Geimpften geben, «dann läuft das Virus, und das soll es auch, dann wird es endemisch», sagt der Virologe. «Aber so weit sind wir derzeit noch nicht, und das schaffen wir diesen Herbst auch nicht mehr.»

Den Grund, weshalb die Impfquote zu tief für eine Entspannung ist, sieht Drosten ausgerechnet in der bisher in Europa vergleichsweise besseren Pandemiesituation. «Spanien oder Portugal haben viel härtere Lockdowns erlebt als wir.» Die Menschen durften dort nur für den Einkauf das Haus verlassen, mit Bewilligung. Das Militär patrouillierte auf den Strassen, das Virus forderte viele Tote. «Deshalb ist die Impfbereitschaft dort wohl viel höher, weil niemand das nochmals haben will. So etwas haben wir bei uns nicht erlebt, diese Erfahrung fehlt, deshalb sind hier viel mehr Leute gleichgültig.»