Analyse zum RahmenvertragWir sollten über Souveränität diskutieren – ohne Scheuklappen
Das Rahmenabkommen könnte an der Souveränitätsfrage scheitern. Doch was bedeutet Souveränität überhaupt und weshalb hat der Begriff in der EU einen anderen Klang als in der Schweiz?
In der Einsamkeit gibt es keine Souveränität. Mario Draghi hat den Satz kürzlich in seiner Regierungserklärung formuliert. Italiens Ministerpräsident ist ebenso wie Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron Anhänger einer europäischen Souveränität.
Laut Angela Merkel ist selbst Deutschland allein zu klein, um sich Herausforderungen wie dem Klimawandel und der Migration zu stellen oder sich gegenüber China zu behaupten. Europa oder – genauer – die EU stärkt und schützt die Souveränität ihrer Mitglieder.
In der Schweiz hat Souveränität einen ganz anderen Klang. Es ist nichts, was wir mit anderen teilen wollen. Souveränität heisst für uns Alleingang und Unabhängigkeit, gerade auch von der EU. So könnte das Rahmenabkommen jetzt an der sogenannten Souveränitätsfrage scheitern.
Nicht am Lohnschutz, an der Unionsbürgerrichtlinie und den Staatsbeihilfen, wo die EU zu Klärungen Hand bieten würde. Sondern an der dynamischen Rechtsübernahme und der Rolle des Europäischen Gerichtshofs bei der Streitschlichtung, wenn es um die Interpretation von EU-Recht in unseren bilateralen Verträgen geht.
Gerade kleinere und mittelgrosse Länder wie Luxemburg oder Österreich sehen durch die Mitgliedschaft im Club ihre Souveränität massiv gestärkt und abgesichert.
Zwei unterschiedliche Sichtweisen der Souveränität stehen sich da gegenüber. Vielleicht erklärt das auch ein gewisses Unverständnis zwischen Bern und Brüssel. In der EU kann man jedenfalls die Ängste der Eidgenossen vor dem Souveränitätsverlust nicht verstehen. Gerade kleinere und mittelgrosse Länder wie Luxemburg oder Österreich sehen durch die Mitgliedschaft im Club ihre Souveränität massiv gestärkt und abgesichert. Wir fürchten hingegen mit dem Rahmenabkommen und der stärkeren Anbindung an die EU, nicht mehr souverän über unsere eigenen Gesetze entscheiden zu können.
Haben wir vielleicht ein verklärtes Verständnis von Souveränität? Jedenfalls orientieren wir uns schon heute gern am EU-Recht und reden dann vom autonomen Nachvollzug. Das Bundesgericht hält sich meist an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, wenn es um die Interpretation der bilateralen Verträge geht.
Anders als heute könnte sich die Schweiz gegen Willkür wehren und am Ende vielleicht sogar recht bekommen.
Das Rahmenabkommen macht hier transparent, was ohnehin schon ist. Und es eröffnet neue Möglichkeiten, von Anfang an mitreden zu können, wenn die EU Gesetze macht, die wir dann übernehmen, wie zum Beispiel das Datenschutzrecht. Das wäre eine Verbesserung im Vergleich zum bisherigen Copy/paste.
Auch die Streitschlichtung mit der umstrittenen Rolle des Europäischen Gerichtshofs könnte unter dem Strich die Schweiz souveräner machen. Anders als heute könnte sich die Schweiz gegen Willkür wie beim Entzug der Börsenäquivalenz wehren und am Ende vielleicht sogar recht bekommen.
Das Rahmenabkommen ist zudem Voraussetzung dafür, dass wir ein Strom- und ein Gesundheitsabkommen abschliessen können. Die Schweiz könnte an Souveränität gewinnen, wenn sie sich am europäischen Strommarkt als gleichberechtigte Partnerin beteiligen kann. Heute sind wir unkontrollierten Stromflüssen ausgeliefert. Morgen wären wir besser für die Energiewende gewappnet und könnten die Versorgungssicherheit kostengünstiger garantieren. Ähnlich mit einem Gesundheitsabkommen, wo wir bei einer nächsten Pandemie von Anfang an eingebunden wären und nicht wie heute bei Corona als Bittsteller anfragen müssten, ob wir an Krisentreffen teilnehmen dürfen.
Wir sollten die Diskussion über Souveränität ohne Scheuklappen führen.
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