Mamablog: Rückzugsort für Eltern«Wir möchten verhindern, dass es zum Burnout kommt»
Mit dem Projekt «(H)auszeit mit Herz» wollen Initiantin Sévérine Bächtold Sidler und ihr Team erschöpfte Mütter und Väter entlasten.

Frau Bächtold Sidler, «(H)auszeit mit Herz» soll ein Ort werden, an dem müde Mütter und Väter auftanken können. Das klingt wohl in vielen elterlichen Ohren wie Musik …
Das Bedürfnis ist definitiv da. Schon heute erhalten wir Anfragen von Leuten, die sich anmelden möchten. Leider ist das noch nicht möglich, da wir erst in der Crowdfunding-Phase sind. Auch in meiner Arbeit als Coach und Craniosacrale Osteopathin begegne ich immer wieder Eltern, die sehr müde sind und wohl einfach mal Pause bräuchten. Um zu verhindern, dass Erschöpfungszustände zu Burnouts werden, wären unkomplizierte Entlastungsangebote so wichtig.
Was wird Ihr Angebot enthalten?
Mütter oder Väter werden sich bei uns eine Auszeit von drei Tagen bis sechs Wochen nehmen können. In unseren Räumen in Sursee werden sie bekocht und umsorgt. Gemeinsam besprechen wir, was während des Aufenthaltes zudem nötig ist, um optimal aufzutanken: Schlaf, Bewegung, Massagen, Coachings, Rechtsberatung und so weiter. Am Ende soll die Person gestärkt in den Familienalltag zurückgehen.
Bisher gibt es in der Schweiz wenig ähnliche Entlastungsangebote für Eltern.
Tatsächlich muss es einem oft ziemlich schlecht gehen, bevor man Hilfe erhält. Vielleicht wird man krankgeschrieben. Doch das bringt wenig, wenn die familiäre Situation gleich bleibt. Erst wenn man fast zusammenbricht, werden Kur- oder Klinikaufenthalte in Betracht gezogen. Mit «(H)auszeit» wollen wir verhindern, dass es überhaupt so weit kommt.
Und die Vorstellung aufweichen, dass Eltern einfach zu funktionieren haben, ganz ohne Pause?
Ja, denn dieses Gefühl haben viele noch stark verinnerlicht. Zwar ist unsere Gesellschaft offener geworden. Doch noch heute stelle ich fest, dass manche Mütter und Väter kaum zu sagen wagen, dass sie am Anschlag sind. Oder dass sich das Glück nach der Geburt vielleicht nicht wie erwartet eingestellt hat. Solche Gefühle sind noch immer oft mit Scham behaftet.
Wie bringen Sie Eltern dazu, die Scham zu überwinden, sich die Erschöpfung also einzugestehen und bei «(H)auszeit» anzumelden?
Indem wir ganz niederschwellig funktionieren. Ein Anruf genügt. Wir brauchen höchstens den Lohnausweis, um den Tarif zu bestimmen. Mehr Administration fällt nicht an. Zudem möchten wir vermitteln, dass es eine Stärke ist, Hilfe anzunehmen. Als Eltern sind wir die Anker der Familie. Das wird viel zu wenig wertgeschätzt. Sind wir zu erschöpft, fällt alles auseinander. Daher ist es so wichtig, dass wir uns Sorge tragen.
In Deutschland kennt man die dreiwöchige Mutter- respektive Vater-Kind-Kur des Müttergenesungswerks. Lässt sich Ihr Projekt damit vergleichen?
Der administrative Aufwand und die Wartezeiten sind bei den deutschen Mutter- resp. Vater-Kind-Kuren hoch, da sie bei der Krankenkasse beantragt werden müssen. Bei uns wird ein Eintritt quasi sofort und unbürokratisch erfolgen können. Dafür muss der Aufenthalt privat bezahlt werden. Dank einkommensabhängigen Tarifen ist er aber für alle zugänglich. Auch wird es bei uns kein Standardprogramm geben. Wir wollen individuell schauen, was jemand benötigt. Ein weiterer Unterschied: In den Mütter- resp. Väter-Kind-Kuren sind die Kinder dabei, bei uns nicht.

Man muss Kinderbetreuung organisieren? Ist das keine Hemmschwelle?
Wir haben es lang überlegt, sind aber überzeugt, dass sich Eltern besser erholen, wenn sie ohne Kinder kommen. Natürlich besprechen wir, wie das organisiert werden kann, etwa durch den anderen Elternteil oder Grosseltern. Auch arbeiten wir mit dem Schweizerischen Roten Kreuz zusammen, das Kinderbetreuung zu Hause anbietet, sowie mit seniors@work und der Quartierhilfe Zeitgut. Neben organisatorischen Aspekten dürfte das Loslassen nicht allen leichtfallen. Macht man sich aber bewusst, wie viel erholter man zurückkehrt, wird man sich eingestehen, dass es sinnvoll ist.
Und wenn man den Schritt erst wagt, wenn das Burnout schon da ist?
Wenn wir merken, dass eine Person mehr oder längerfristig Unterstützung braucht, werden wir uns mit Fachpersonen besprechen und weitere Massnahmen organisieren. Allerdings wäre es mir lieber, die Leute kämen früher. Daher möchten wir unser Angebot bei Ärztinnen und Therapeuten bekannt machen, damit sie erschöpfte Eltern darauf hinweisen können.

Ist Elternsein anstrengender geworden?
Es ist vielleicht die Art der Herausforderungen, die sich verändert hat. Viele Eltern sind heute doppelt und dreifach belastet. Zudem ist alles schneller geworden. Doch natürlich war es auch früher streng. Gerade Dinge wie postnatale Depressionen gab es ja immer schon. Man trug die Probleme aber wohl eher im stillen Kämmerlein aus und litt stumm. Dass elterliche Belastungen und die Wichtigkeit von Selbstfürsorge heute vermehrt thematisiert werden, ist so begrüssenswert wie überfällig.
Wie zuversichtlich sind Sie im Hinblick auf das Crowdfunding?
Aktuell haben wir unser Finanzierungsziel von mindestens 40'000 Franken zu rund vier Fünfteln erreicht. Und uns bleibt noch eine Woche. Wir hoffen sehr, dass wir es schaffen. Wenn ja, können wir ab Januar 2022 mit zunächst vier Plätzen starten.
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