TribüneWir Facetime-Grosseltern
Eine Kolumne von Jürg Acklin.
Jede und jeder von uns hat schon eine Geschichte gehört von einer überseeischen Haushalthilfe, die so oft wie möglich mit ihren Kindern, die sie zu Hause lassen musste, online auf dem Bildschirm war. Sie skypte mit ihnen stundenlang, oft halbe Tage, half ihnen bei den Aufgaben und sang mit ihnen Lieder, wenn sie nicht einschlafen konnten. Arme Mütter, sagten wir da, das ist ja schrecklich, sie können sie ja nicht in die Arme schliessen, aber doch besser als nichts. Immerhin verlieren sie so den Kontakt nicht ganz, sonst fremdeln ja die Kleinen, wenn die Mütter nach Hause kommen. Diese tapferen Frauen machen das Beste draus.
Ja, so geht es uns Grosseltern heute in den Zeiten, da diese Pandemie uns im Griff hat. Oft mehrmals in der Woche haben wir unsere Enkelkinder gehütet, haben mit ihnen gespielt, haben ihnen Geschichten erzählt, sind auf dem Boden herumgekrochen mit knackenden Gelenken und haben sie zum Lachen gebracht. Wir haben sie getröstet, wenn sie ein «Bobo» hatten, wir haben sie gefüttert und ins Bett gebracht. Und plötzlich ist alles vorbei, der Kontakt von einem auf den anderen Tag unterbrochen. Wir Alten gehören zu den Risikopersonen, müssen möglichst zu Hause bleiben.
Da hilft das Handywunder. Facetime einschalten, das komische Suchgeräusch, eine Art Klingeln unter Wasser, versetzt uns in gespannte Erwartung: Da, wie durch einen Zauber, erscheint das Müsli, das Bärli, der Max oder die Lina am Bildschirm. Wir machen Grimassen, erzählen ihnen Geschichten, singen mit ihnen, wir machen fast alles wie früher, nur in den Arm können wir sie nicht nehmen. Also ciao Müsli, bis morgen, dann erzähle ich dir die Geschichte weiter.
Als ich ein Knabe war, habe ich immer vom Fernsehtelefon geschwärmt, das war für mich das Grösste. Das Fernsehtelefon verkörperte die Zukunft schlechthin. Und jetzt als alter Mann ist es tatsächlich das Grösste: Es ermöglicht den Kontakt zu meiner Enkelin in schwierigen Zeiten.
Jürg Acklin ist Schriftsteller und Psychoanalytiker.
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