Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Corona-Proteste in den Niederlanden
«Wir bewegen uns auf einen Bürgerkrieg zu»

Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Bei Protesten in den Niederlanden gegen die nächtliche Ausgangssperre zur Eindämmung der Corona-Pandemie ist es in mehreren Städten zu gewaltsamen Zusammenstössen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. In rund zehn Städten gab es am Sonntag Ausschreitungen. Mehr als 130 Menschen wurden nach Angaben der Behörden und niederländischer Medien festgenommen.

Auf einem Platz im Zentrum von Amsterdam setzte die Polizei nach Angaben des öffentlich-rechtlichen Senders NOS Hunde und einen Wasserwerfer ein, um eine Protestversammlung von rund 1500 Menschen aufzulösen. Mindestens hundert Menschen wurden in der Stadt festgenommen, wie die Stadtverwaltung mitteilte. Nach Angaben des Lokalsenders AT5 riegelten Polizeikräfte die Residenz von Bürgermeisterin Femke Halsema ab.

Plünderungen und Brände

In Eindhoven trieb die Polizei hunderte Demonstranten mit Tränengas auseinander, wie der Regionalsender Omroep Brabant berichtete. Mehrere Fahrzeuge seien dort in Brand gesteckt und Geschäfte am Hauptbahnhof geplündert worden. Mindestens 30 Menschen wurden nach Angaben der Polizei in der Stadt festgenommen.

Der Bürgermeister von Eindhoven, John Jorritsma, äusserte sich in drastischen Worten über die Eskalation der Proteste. Wenn die Lage sich weiter derart entwickle, «bewegen wir uns auf einen Bürgerkrieg zu», sagte er vor Journalisten.

Zu Ausschreitungen kam es auch in Apeldoorn, Arnheim, Breda, Den Haag, Enschede, Roermond, Tilburg und Venlo. Am Samstagabend war bereits ein Corona-Testzentrum in der nördlichen Ortschaft Urk in Brand gesteckt worden, wie Gesundheitsminister Hugo de Jonge mitteilte.

Ausgangsverbot seit Samstag

Das Ausgangsverbot zwischen 21.00 Uhr und 04.30 Uhr war am Samstag in Kraft getreten. Verstösse werden mit einem Bussgeld von 95 Euro geahndet. Es ist die erste Ausgangssperre in dem EU-Land seit dem Zweiten Weltkrieg. Sie soll zunächst bis zum 9. Februar in Kraft bleiben und bei der Eindämmung der besonders ansteckenden Coronavirus-Variante helfen, die zuerst in England festgestellt worden war.

Mitte Januar hatte die Regierung in Den Haag bereits den Lockdown bis 9. Februar verlängert. Schulen, Restaurants und alle nicht notwendigen Geschäfte sind geschlossen. Zudem darf sich nicht mehr als ein Gast in einem Haushalt aufhalten.

Krawalle auch in Dänemark

In Dänemark wurden am Wochenende drei Männer festgenommen, die für die Verbrennung einer Puppe mit Bezug auf Ministerpräsidentin Mette Frederiksen während Protesten gegen die Corona-Restriktionen verantwortlich gemacht werden. Den Verdächtigen im Alter zwischen 30 und 34 Jahren werden nach Angaben der Polizei ein «Angriff auf die Regierung» und Gewaltandrohung angelastet.

Laut von dänischen Medien verbreiteten Bildern war die Puppe am Samstag in Kopenhagen an einem Laternenmast aufgehängt worden. Auf ihrem Gesicht klebte ein Foto Frederiksens, auch war ihr ein Zettel mit der Aufschrift «Sie muss getötet werden» angeheftet. Die Puppe wurde dann verbrannt. Der Vorfall löste in Dänemark grosse Empörung aus.

Mehrere hundert Menschen hatten am Samstagabend in Kopenhagen gegen die derzeitigen Lockdown-Massnahmen demonstriert. Sie riefen «Freiheit für Dänemark, wir haben genug!" Trotz der wütenden Sprechchöre verlief die Demonstration überwiegend friedlich. Erst nachdem die Polizei die Versammlung aufgelöst hatte, kam es zu Gewalt. Polizisten wurden mit Flaschen beworfen.

Auch in Israel brodelt es

Bei Protesten gegen die Durchsetzung der Corona-Regeln ist es in der vor allem von Strengreligiösen bewohnten israelischen Stadt Bnei Brak zu schweren Ausschreitungen gekommen. Wie die Polizei am Montagmorgen mitteilte, setzten Randalierer unter anderem einen Bus in Brand. Sie versuchten demnach auch, ein Gebäude der Feuerwehr zu stürmen. Die städtische Polizei forderte Unterstützung aus anderen Distrikten an. Medienberichten zufolge setzten die Beamten unter anderem Blendgranaten ein. Vier Verdächtige wurden nach Angaben der Polizei festgenommen.

In der Stadt nahe Tel Aviv – aber auch in Aschdod und Jerusalem – hatte es in den vergangenen Tagen wiederholt Konfrontationen zwischen der Polizei und Ultraorthodoxen gegeben. Viele Strengreligiöse befolgen die Regeln zur Pandemie-Bekämpfung nicht. Ein einflussreicher Rabbiner etwa hatte dazu aufgerufen, die Schulen im ultraorthodoxen Sektor trotz eines allgemeinen Verbots zu öffnen.

Ultraorthodoxe ignorieren Massnahmen

Viele Ultraorthodoxe fühlen sich nicht vom Staat Israel vertreten. Sie leben teilweise in einer Art Parallelwelt und folgen eher Vorgaben ihrer Rabbiner als denen des Staates. Ein grosser Teil der Corona-Neuinfektionen wurde zuletzt unter den Strengreligiösen verzeichnet. In ultraorthodoxen jüdischen Wohnvierteln leben häufig grössere Familien auf engem Raum zusammen.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte die Polizei in der vergangenen Woche dazu aufgerufen, gegen alle Gesetzesbrecher mit «eiserner Faust» vorzugehen. Die Regierungen Netanjahus hatten sich in den vergangenen Jahren auch auf ultraorthodoxe Parteien gestützt. Viele Kritiker warfen dem 71-Jährigen in der Corona-Krise wiederholt vor, zu viel Rücksicht auf die Interessen der Strengreligiösen zu nehmen. Am 23. März wird in Israel zum vierten Mal binnen rund zwei Jahren gewählt. Netanjahu will erneut Ministerpräsident werden.

Lesen Sie zum Thema:

Die Demokratie steht unter Stress. Hat die Formel «Krise als Chance» abgewirtschaftet? Das Interview mit dem Starphilosophen Markus Gabriel.

Die Welt scheint in Aufruhr, überall wird protestiert. Woher kommt die neue Lust am Protestieren? Ein Gespräch mit dem Populismusforscher Marcel Lewandowsky.

AFP