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Economiesuisse-Chef im Interview
«Die Folgen eines neuen Lockdown wären verheerend»

«Wir sind weit, weit davon entfernt, ein Szenario zu sehen, bei dem ein zweiter Lockdown zwingend nötig wird»: Christoph Mäder ist der neue Präsident von Economiesuisse.
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Herr Mäder, Sie sind seit einem Monat im Amt. Wie viel Mal haben Sie in dieser Zeit mit Wirtschaftsminister Guy Parmelin gesprochen?

Das will ich nicht kommentieren. Ich stehe aber in ständigem Kontakt mit Bundesräten, sofern es nötig ist.

Jetzt ist es nötig. Der Bundesrat hat letzte Woche noch einmal Massnahmen beschlossen, aber keinen Lockdown. Haben Sie Ihre Anliegen durchgebracht?

Der Bundesrat hat mit Augenmass gehandelt. Gerade im Vergleich zum Ausland geht er moderat, ja unaufgeregt zu Werk.

Was, wenn bei uns die Fallzahlen nicht zurückgehen: Sind Sie dann einverstanden, wenn wieder Läden und Restaurants ganz geschlossen werden?

Wir alle müssen einen zweiten Lockdown unbedingt vermeiden. Die Folgen wären verheerend.

Wie teuer würde es diesmal?

Wir haben das nicht im Detail durchgerechnet, aber es würde sehr teuer werden. Ich bin aber zuversichtlich, dass sich dieses Szenario mit dem neuen Massnahmenpaket des Bundesrats vermeiden lässt. Wir sind weit, weit davon entfernt, ein Szenario zu sehen, bei dem ein zweiter Lockdown zwingend nötig wird.

«Das Wissen über Covid-19 ist noch immer lückenhaft.»

Die Spitäler füllen sich aber mehr und mehr. Genf geht erneut in den Lockdown. Neuenburg und Jura auch. Befürchten Sie, dass es nun zu einem Dominoeffekt kommen wird und weitere Kantone handeln?

Ja, einen solchen Effekt befürchten wir tatsächlich. Wir appellieren an die Politik, weiterhin verhältnismässig zu bleiben und Schutzmassnahmen möglichst spezifisch und problembezogen zu treffen.

Wissenschaftler fordern weitergehende Massnahmen.

Sie sind dazu da, ihren wissenschaftlichen Standpunkt darzulegen. Selbstverständlich steht der Schutz der Menschen an oberster Stelle. Aber auch unter diesem Aspekt gibt es andere, ebenfalls wichtige Faktoren, gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische. Hinzu kommt: Die Wissenschaft spricht nicht mit einer Stimme, das Wissen über Covid-19 ist noch immer lückenhaft.

Fokussiert die öffentliche Debatte zu sehr auf die stark steigenden Fallzahlen – und zu wenig auf die effektive Auslastung der Spitäler?

Ja. Es besteht so die Gefahr, dass man nicht mehr abwartet, ob getroffene Massnahmen wirken, und bereits die nächsten beschliesst.

Wie wollen Sie verhindern, dass der Bundesrat nicht doch noch einen Lockdown beschliesst?

Wir legen unseren Unternehmen nochmals nahe, die Schutzkonzepte, die sie ausgearbeitet haben, weiterhin strikt einzuhalten. Meines Wissens hat es in keinem Unternehmen hierzulande einen Superspreader-Event gegeben. Es hängt nun sehr viel an der persönlichen Disziplin jedes Einzelnen von uns.

Vielleicht glaubt ein wachsender Teil der Bevölkerung nicht mehr, dass Corona so schrecklich ist, wie es die Behörden darstellen.

Das ist möglich. Wegen der vergleichsweise tiefen Fallzahlen im Sommer haben sich wohl viele von uns in falscher Sicherheit gewiegt.

Haben Sie persönlich Angst vor dem Virus?

Nein, aber ich habe Respekt. Ich befolge die Anweisungen der Behörden. Bei der ersten Welle etwa habe ich meine betagten Eltern nicht besucht und auch meine Geschwister nicht.

Müssen Unterstützungsmassnahmen wie Kurzarbeit, Kredite, Erwerbsersatz und Härtefallentschädigungen verlängert werden?

Der Staat darf nun keinesfalls mit der Giesskanne Gelder verteilen. Vielmehr muss er genau prüfen, wer wie stark von der Krise betroffen ist. Hilfe sollen jene erhalten, die unmittelbar betroffen sind. In der Hotellerie der städtischen Agglomeration etwa ist die Situation dramatisch. Es gibt weder Geschäftsreisende noch ausländische Touristen. Vom Wintersport können diese Betriebe auch nicht profitieren.

Ausgerechnet die SP stellt sich als jene Kraft dar, die der Wirtschaft mit Geld zu Hilfe eilt, und zeigt auf die Bürgerlichen, die dagegen seien.

Das ist Teil des politischen Lärms. Wer sich dagegen verwehrt, nicht all den vielen Wünschen stattzugeben, die nun aufgekommen sind, ist noch lange nicht unverantwortlich oder wirtschaftsfeindlich. Wichtig ist, dass wir am Ende vernünftige Lösungen haben, die wir auch finanziell stemmen können.

Die Schweiz könnte sich noch mehr verschulden.

Dieses Szenario gilt es unbedingt zu verhindern. Hier noch ein paar hundert Millionen, dort einige Milliarden: Ich bin irritiert, mit welcher Leichtigkeit die Politik mittlerweile riesige Beträge spricht oder noch sprechen will.

Wir sind in einer Krise.

Trotzdem, mit weiteren Schulden bürden wir der nächsten Generation eine gewaltige Last auf; das dürfen wir auch jetzt nicht vergessen. Deshalb befremden mich jene Stimmen, die nun sagen, die Gesamtverschuldung der Schweiz sei noch immer halb so gross wie im europäischen Durchschnitt, man könne also problemlos ein Hilfspaket von 80 Milliarden Franken schnüren. Es kann nicht sein, dass die Schweiz über die nächsten 50 Jahre eine massive Schuldenwirtschaft betreibt, nur weil der Zinssatz der Schulden derzeit tief ist.

Die düsteren wirtschaftlichen Prognosen vom Frühling haben sich als übertrieben entpuppt.

Wir haben die Krise bisher recht gut gemeistert, weil wir auf einer soliden Finanzpolitik der letzten Jahre aufbauen können.

Trotzdem ...

Wir hatten im Sommer in der Tat eine überraschend schnelle Erholung. Die Fallzahlen sind sehr schnell gesunken, die Leute begannen wieder zu konsumieren. Trotzdem bin ich vorsichtig. Die Signale sind gemischt, die Lage ist kritischer, als viele glauben. Die Exportindustrie hat zuerst noch von gut gefüllten Auftragsbüchern profitiert, mittlerweile aber gehen weniger Aufträge ein, weil wegen Covid-19 die Situation in den wichtigen Exportmärkten weiterhin angespannt ist. Die Wirtschaftsauguren schauen auch nur in eine Glaskugel.

«Die Beschimpfung ‹Halunke› sagt genügend über den Absender aus.»

In der Corona-Diskussion werden Wirtschaft und Gesundheit gegeneinander ausgespielt. Was tun Sie dagegen?

Wissen Sie, die Wirtschaft sind wir alle, und wir machen alles, um das zu betonen.

Das gelingt Ihnen aber immer weniger. Auch bei der Abstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative steht die Wirtschaft am Pranger.

Der Versuch der Initianten, einen Gegensatz zwischen Wirtschaft und Gesellschaft zu konstruieren und zu bewirtschaften, macht uns grosse Sorge. Dem ist mit Sachlichkeit schwer beizukommen. Wir versuchen, den Gefühlen den Initiativtext entgegenzuhalten, um den geht es.

Sie haben auch schon mit der Operation Libero zusammengearbeitet. Jetzt bezeichnet diese Sie plötzlich als Halunken.

Die Beschimpfung «Halunke» sagt genügend über den Absender aus.

Wie meinen Sie das?

Harte Wörter verdecken meist das Fehlen von Argumenten.

Sie sind Sohn eines Pfarrers. Was sagen Sie zum Engagement der Kirchen für die Initiative?

Als Mitglied einer Landeskirche bin ich schon sehr erstaunt, mit welcher Leichtigkeit da eine Parole gefasst und ein Abstimmungskampf geführt wurde.

Sind Sie nur erstaunt – oder auch verärgert?

Ich bin auch verärgert. Vor allem über die Art und Weise der Argumentation. Nur weil Umweltschutz und Menschenrechte christliche Werte darstellen, wird die Initiative befürwortet. Das ist zu einfach. Auch die Kirche muss sich überlegen, ob der vorgeschlagene Weg tatsächlich zum Ziel führt.

Wenn Sie die Abstimmung verlieren, dann wäre das eine schwere Niederlage. Was für Konsequenzen ziehen Sie dann?

Das müssten wir uns überlegen, wenn es so weit wäre. Aber ich will darüber nicht spekulieren.

Economiesuisse ist vor allem eine Kampagnenorganisation zur Ablehnung von Initiativen von Links-Grün und von der SVP. Genügt das?

Nein, das genügt nicht. Unsere Kernaufgabe ist, die wirtschaftlichen Interessen im politischen Prozess zu vertreten. Die Kampagnentätigkeit ist in den letzten Jahren wohl oder übel stärker in den Vordergrund gerückt. Ich würde viel lieber Ressourcen einsetzen für die konstruktive Lösung von anstehenden Problemen, zum Beispiel in der Frage der Nachhaltigkeit – ökonomisch, ökologisch und sozial.