Der strenge Kontrolleur geht«Wir arbeiten für alle Steuerzahler»
Michel Huissoud nahm als oberster Finanzprüfer keine Rücksicht auf grosse Namen. Im Gespräch erzählt er von seinen wichtigsten Fällen – und seinem letzten Kampf.
Ende August wird Michel Huissoud pensioniert, doch ein Abschiedsinterview will er keinesfalls jetzt schon geben. Vielmehr möchte er das Problem schildern, das ihn, den strengen Kontrolleur, in seinen letzten Wochen als Direktor der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) umtreibt.
Sie gelten als «Mister Transparenz». Doch nun weigert sich Ihre EFK, die Transparenz in der Politikfinanzierung nach den Vorgaben des Justizdepartements zu kontrollieren. Warum?
Michel Huissoud: Wir wollen Transparenz in der Finanzierung des politischen Lebens. Die nun vorgeschlagene Verordnung entspricht aber nicht der gesetzlichen Grundlage. Sie erlaubt keine wirksame Kontrolle.
Warum nicht?
Aus zwei Gründen. Erstens können Stichprobenkontrollen vor Ort nur mit Zustimmung der politischen Akteure stattfinden.
Das heisst, die FDP oder die Grünen könnten einfach sagen: Wir wollen die Kontrolleure nicht bei uns.
Genau. Das Gesetz verbietet anonyme Spenden und Spenden aus dem Ausland. Ohne Einsicht vor Ort in die Buchhaltung und die Bankkonten ist es kaum möglich, das festzustellen.
Wo liegt das zweite Problem?
In der fehlenden Transparenz. Wenn ein Fehler oder eine Unregelmässigkeit festgestellt und nicht korrigiert wird, dürfen wir darüber nichts sagen und müssen die falsche Information ohne Hinweis veröffentlichen. Wir dürfen nicht einmal sagen, ob ein politischer Akteur einer Kontrolle vor Ort zugestimmt hat oder nicht.
Seit Sie die EFK führen, werden deren Berichte konsequent veröffentlicht.
Deswegen habe ich zugesagt, als die Anfrage vom Justiz- und Polizeidepartement kam, ob wir die Kontrolle übernehmen könnten. Aber unter der Bedingung, dass wir die nötigen Ressourcen bekommen und dass die Verordnung den Vollzug des neuen Gesetzes ermöglicht. Die zusätzlichen zwei Stellen hat uns das Parlament bewilligt. Mit der Verordnung haben wir noch ein Problem.
Und nun?
Ich hoffe, dass die Verordnung bis Mitte August korrigiert wird. Sonst müssen wir uns gegen diesen Auftrag wehren.
Sie sind seit dreieinhalb Jahrzehnten bei der Finanzkontrolle, seit acht Jahren als Chef. Nationalbank, SRG und Suva durften Sie nicht kontrollieren. Soll das ändern?
Das ist ein rein politischer Entscheid, der nicht in meine Kompetenz fällt.
Bald werden Sie pensioniert. Was denken Sie dann als einfacher Bürger?
Die Suva ist eine der grössten Sozialversicherungen, für Arbeitgeber und -nehmer obligatorisch. Deswegen verstehe ich nicht, weshalb Parlament und EFK keine Aufsichtsfunktion haben sollten. Dass die Nationalbank in der Geldpolitik unabhängig sein muss, verstehe ich gut. Das Clearingsystem zwischen den Banken sollte aber beaufsichtigt werden. Es ist lebenswichtig für den schweizerischen Finanzplatz und hat mit Geldpolitik definitiv nichts zu tun.
Und die SRG?
Für sie gilt das Gleiche: Sie bekommt mehrere Milliarden Franken. Was wir bezahlen, sind keine Gebühren, sondern eine Steuer. Auch da reicht die Programmfreiheit nicht als Argument, um Wirtschaftlichkeitsprüfungen und parlamentarische Oberaufsicht zu vermeiden. Wir prüfen ja auch die Gerichte. Und man kann uns nicht den Vorwurf machen, wir hätten damit deren Urteilsfreiheit tangiert.
Die SRG steht unter starkem Beschuss. Würde es ihre Legitimation erhöhen, wenn die EFK sie prüfen könnte?
Wahrscheinlich wäre es das beste Argument gegen all die Versuche, der SRG die Mittel zu kürzen. Allgemein bin ich der Meinung, dass die Tätigkeit der EFK vertrauensfördernd ist. Kurzfristig kritisieren wir, aber mittelfristig sieht man: Diese Organisation oder Behörde ist unter Aufsicht und verbessert sich. Das fördert das Vertrauen.
In der Verwaltung sind die Einschätzungen geteilt. Wo erfahren Sie am meisten Widerstand?
Geprüft werden ist nie angenehm. Und trotzdem: In einer Umfrage bei Geprüften gaben kürzlich 80 Prozent gute Noten an unser Personal.
Es gab aber Zeiten, da wurden Sie auch persönlich stark angegriffen.
Besonders als unsere Prüfung über die Aufsicht über Kriegsmaterialexporte in den Parlamentsdebatten thematisiert wurde. Unsere Kritik war aber richtig und hat die Aufsicht verbessert. Wegen einer Publikation kurz vor der Abstimmung über die Unternehmenssteuerreform III wurde mir vorgeworfen, ich machte Politik. Dabei hatte die Prüfung lange zuvor begonnen, der Publikationszeitpunkt war Zufall.
Die Vorwürfe kamen von bürgerlicher Seite.
Damals ja. Allerdings fühlte sich auch schon die Unia von uns angegriffen, wegen Audits bei der Arbeitslosenkasse und den flankierenden Massnahmen. Kritik kommt von allen Seiten, und das ist gut so. Wir arbeiten nicht für eine Partei, sondern für alle Steuerzahler.
Einige wollen lieber gar nicht erst kontrolliert werden. Was war die absurdeste Begründung, mit der man Ihre Kontrollen verhindern wollte?
Krass war ein Gutachten eines Uniprofessors im Auftrag der Ruag, das behauptete, wir dürften beim Rüstungskonzern keine Prüfungen durchführen. Dies widersprach diametral dem geltenden Recht. Zum Glück stellte das Bundesamt für Justiz die Sache klar. Unsere Prüfung zeigte, dass die Ruag Firmen aufkaufte, ohne sich gross um die Risiken zu kümmern. Heute verfügt sie über ein deutlich verbessertes Compliance-Management.
Welches ist Ihr liebster Fall aus 35 Jahren als Kontrolleur?
Etwas bewirken konnten wir im Fall einer multinationalen Firma im Kanton Waadt, die in den Genuss einer Steuererleichterung gekommen war.
Das war der Fall des Rohstoffkonzerns Vale.
Genau. Wir haben geprüft, ob die Bedingungen für die Steuererleichterung erfüllt waren. Es gab dafür Kriterien, wie zum Beispiel die Schaffung hundert neuer Stellen oder den engen Kontakt zur ETH, die aber nicht erfüllt waren. Deshalb flossen schliesslich über 200 Millionen Franken in die Bundeskasse.
Sie sagten einmal, Sie wollten das Dreifache der Kosten der Finanzkontrolle wieder reinholen. Eine Gewinnmarge von 300 Prozent – das schafft fast niemand. Gelang Ihnen das?
Ich bin davon überzeugt. Beweisen ist schwierig. Die 30 Millionen Franken pro Jahr, die die EFK kostet, bringen wir problemlos zurück. Dazu kommen Verbesserungen etwa in der IT-Sicherheit, den Prozessen und Subventionen, die man nicht genau beziffern kann, sowie die präventive Wirkung. Einiges bessert sich nur, weil eine Prüfung auf dem Jahresprogramm steht.
«Unser Job ist gefährlich.»
Sicher gingen Sie auch schon einem falschen Verdacht nach.
Als Prüfer können wir zwei Fehlertypen machen. Einer geht meist relativ harmlos aus: zu Unrecht kritisieren. Die Geprüften bekommen unsere Berichte zur Stellungnahme und können richtigstellen. Viel riskanter ist es für Prüfer, wenn sie einen Fehler übersehen und ein positives Urteil abgeben. Den Fall hatten wir 2010 bei der Hochseeschifffahrt. Wir hatten den Betrug leider nicht gesehen.
Das hat den Staat auch einen dreistelligen Millionenbetrag gekostet.
Wenn wir ein Problem nicht sehen, darf man uns kritisieren. Unser Job ist insofern gefährlich.
Ein grosser – noch nicht vollständig bewältigter – Fall ist Postauto. Wie sehen Sie ihn?
Der Bundesrat setzte Ziele, die miteinander in Konflikt standen. Das rechtfertigt aber nicht die fehlende Ethik in der Leitung der Transportunternehmen des Bundes und von Kantonen. Ein Problem sehe ich auch in der Tatsache, dass Angehörige derselben Partei verschiedene wichtige Stellen besetzen. Dann fehlt die notwendige Distanz. Leider ist die Gewohnheit auch nach Postauto erhalten geblieben, wichtige Posten an Parteikollegen zu vergeben. Das ist ungesund, unschön und nicht vertrauensfördernd. Da sind wir wieder bei der Parteienfinanzierung angelangt.
Inwiefern?
Es wird erwartet, dass die Person, die einen solchen Posten innehat, einen Prozentsatz des Einkommens an die Partei abgibt. Ich möchte aber auch noch etwas Positives sagen: Der Postauto-Fall wurde ins Rollen gebracht durch Pascal Stirnimann, den Chefrevisor des Bundesamts für Verkehr. Er wird jetzt mein Nachfolger.
Was machen Sie ab September?
Sicher ist, was ich nicht mache: Für eine der kontrollierten Stellen arbeiten. Ich bin einer der wenigen in Bundesbern, bei denen das vertraglich so festgelegt ist. Und das ist gut so, auch wenn mir nur noch die Hälfte des Schweizer Arbeitsmarkts offensteht. Was ich tun werde, weiss ich nicht.
Das glauben wir Ihnen nicht.
Ich weiss, was mich weiterhin interessieren würde: die Schweiz zu vereinfachen. Mit einem Existenzminimum könnte man zum Beispiel die Komplexität einiger Sozialversicherungen reduzieren. Selten stellt die Verwaltung die Komplexität infrage. Das ist schade. Toll finde ich, dass sich das Wallis vor einigen Jahren Gedanken gemacht hat, die Anzahl Strassenkilometer zu reduzieren. Bislang bauen wir immer wieder neue Strassen und unterhalten die alten weiterhin – was endlos Kosten verursacht.
Also wollen Sie in den Nationalrat?
Nein, sicher nicht. Wenn schon in den Bundesrat. (lacht)
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