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Leser fragen Peter Schneider
Wieso sind sportliche Menschen vielfach ungeimpft?

Eine Gruppe trainiert mit Maske im Fitnessstudio Activ Fitness in Oerlikon.
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In meinem beruflichen Umfeld gibt es gefühlt viel weniger Impfskeptikerinnen und Maskengegner als in meinem Sportverein. Warum sperren sich ausgesprochen gesundheitsbewusste, trainierte und körperlich aktive Menschen so stark gegen Impfen, Zertifikat und Masken? Ich verstehe das nicht. B.P.

Liebe Frau P.

Sie wissen doch: Gesunden, körperlich aktiven, trainierten Menschen geht so ein Virus am Immunsystem vorbei. Kleiner Scherz. Muss ja auch mal sein, weil Humor bekanntlich gesund ist und vor Ansteckungen schützt. Was Ihr Gefühl hinsichtlich der Quantität der Massnahmenquengler bei der Arbeit vs. beim Sport betrifft, glaube ich, dass Sie sich täuschen. Die Arbeitswelt ist eher ein Feld, in dem sich diese Leute tendenziell zurückhalten, nach der alten Maxime «Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps». Aber auch in der Arbeitswelt gibt es genügend Tummelplätze für Maskengegnerschaft und Impfablehnung – wie etwa in Waldorfschulen, wo Eltern und Lehrer:innenschaft dieselbe esoterische Ideologie teilen.

Sportvereine zeichnen sich wahrscheinlich nicht durch eine besondere, intensive esoterisch-rebellische Durchseuchung aus, aber in diesem auf besondere Weise halb privaten, halb öffentlichen Bereich hat man für seine Maskenkritik und Impfskepsis womöglich ein geneigteres, weil geduldigeres Publikum als in der Arbeitswelt. Vor allem aber hat man auch mehr Zeit zum Quengeln, denn Sport-Zeit ist schliesslich Frei-Zeit.

Im Sportverein hat man bessere Chancen, weil die Kolleg:innen ja auch nicht gleich die Polizei holen werden.

Kleiner philosophischer Exkurs: Kant unterschied in seiner berühmten Aufklärungsschrift (etwas missverständlich) den privaten und den öffentlichen Gebrauch der Vernunft. Unter dem öffentlichen Gebrauch verstand er «denjenigen, den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publikum der Leserwelt macht» – kurz: das Argumentieren im intellektuellen Diskurs. Den Privatgebrauch nennt Kant «denjenigen, den er in einem gewissen ihm anvertrauten bürgerlichen Posten (…) von seiner Vernunft machen darf. Nun ist zu manchen Geschäften, die in das Interesse des gemeinen Wesens laufen, ein gewisser Mechanism notwendig, (...) um durch eine künstliche Einhelligkeit von der Regierung zu öffentlichen Zwecken gerichtet (...) zu werden. Hier ist es nun freilich nicht erlaubt zu räsonnieren; sondern man muss gehorchen.»

Das heisst: Der Alltag in Behörden, Geschäften, Institutionen, Firmen muss funktionieren ungeachtet dessen, was deren einzelne Vertreter:innen und Mitglieder für vernünftig halten oder nicht. Keine Beiz und keine Schraubenfabrik kann sich den Sermon von Nicolas A. Rimoldi & Co. immer wieder aufs Neue anhören; im Sportverein hat man bessere Chancen, weil die Kolleg:innen ja auch nicht gleich die Polizei holen werden.

Der Psychoanalytiker Peter Schneider beantwortet Fragen zur Philosophie des Alltagslebens. Senden Sie uns Ihre Fragen an gesellschaft@tamedia.ch.