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Christine Brand im Interview
«Wieso schiesst jemand aus Wut auf Frauen um sich?»

Die gebürtige Emmentalerin Christine Brand (50) ist die derzeitige Königin des Schweizer Kriminalromans. 

Frau Brand, in Ihrem neuen Buch «Der Feind» geht es um sogenannte Incels – heterosexuelle Männer, die ungewollt sexfrei leben und Frauen dafür hassen. Was fasziniert Sie daran?

Ich war früher Gerichtsreporterin und habe mich schon immer auch für reale Kriminalfälle interessiert. Im deutschen Hanau hat 2020 ein Attentäter zehn Menschen getötet. Als Motiv gab die Polizei neben Rassismus auch Frauenhass an. Ich konnte das kaum glauben. Wieso schiesst jemand aus Wut auf Frauen um sich? Beim Nachforschen stiess ich auf einen sehr gut recherchierten Artikel über die Welt der Incels. Ich wusste sofort, dass ich das Thema in ein Buch verpacken will.

Wie gross ist die reale Gefahr, die von Incels ausgeht?

Auch in Amerika haben Incels schon Attentate verübt. Zuerst dachte ich, in der Schweiz sei das Risiko klein. Doch jetzt hatte ich gerade eine Lesung in Zürich, an der eine forensische Psychologin teilnahm. Sie erzählte mir von einem Tötungsdelikt, das von einem Incel verübt wurde. Die Schweiz ist keine heile Welt.

Frauenhass gab es schon immer. Nennt man ihn heute einfach anders?

Man muss nicht nur auf die Incel-Szene blicken, um zu sehen, dass verschiedenste Gruppierungen aggressiver werden. Wir leben offensichtlich in einer Zeit, in der in vielen Bereichen eine gewisse Radikalisierung stattfindet. Das bereitet nicht nur mir Sorgen.

In Ihrem Buch gibt es – wie in der Realität – Verbindungen zwischen der Incel-Szene und Pick-up-Artists, also Männern, die behaupten, sie wüssten genau, wie man erfolgreich Frauen anbaggert. Das sind doch zwei völlig widersprüchliche Welten?

Eigentlich schon. Aber manche Pick-up-Artists glauben, sie könnten den Incels beibringen, wie man Frauen anspricht. Allerdings setzen sie dabei nicht auf Charme, sondern gehen in aller Regel sehr forsch und frauenverachtend vor.

Was kaum funktionieren dürfte im wahren Leben. Doch es scheint bei jungen Männern auf Anklang zu stossen, wenn man sich etwa den chauvinistischen Influencer Andrew Tate anschaut. 

So ist es. Aber Incels haben ja ohnehin nicht das Gefühl, es liege an ihnen, dass sie keine Frauen finden, sondern an der angeblich feministischen Gesellschaft. Es handelt sich oft um Menschen, die wenig soziale Kontakte haben, nur im Internet sind sie verbunden mit ähnlich Denkenden. So verlieren sie den Bezug zur Wirklichkeit – genauso, wie man es bei Verschwörungstheoretikern beobachten kann.

«Tote Tiere verzeihen die Lesenden weniger als tote Menschen.»

Sie waren als Gerichtsreporterin tätig, kennen also die Polizeiarbeit bestens. Gleichzeitig ist Ihre Protagonistin Milla Nova eine Journalistin, die beim Schweizer Fernsehen arbeitet – wie Sie früher. Wie viel Recherche ersparen Sie sich dadurch?

Es hilft mir sehr, dass ich über 20 Jahre lang in Gerichtssälen sass. Ich habe viele Täter gesehen und konnte auch mit Opfern reden. Gleichzeitig rercherchiere ich immer wieder gerne bis ins letzte Detail. Zum Beispiel, wenn es um meinen blinden Protagonisten Nathaniel geht. Ich muss genau wissen, was ein Blinder alles kann und was nicht.

In Ihren Büchern lassen Sie auch mal Figuren, die einem ans Herz gewachsen sind, Schlimmes erleben. Haben sich Leserinnen und Leser schon darüber beschwert?

Bisher nicht. Heftige Kritik bekam ich aber, als der Blindenhündin Alisha etwas zustiess. Eine Leserin sagte mir: «Wenn Alisha stirbt, lese ich nie mehr ein Buch von Ihnen.» In einem alten Krimi habe ich mich sogar erfrecht, einen Mörder eine Katze umbringen zu lassen. Das kam gar nicht gut an. Tote Tiere verzeihen die Lesenden einer Autorin offenbar weniger als tote Menschen.

«Im November erscheint ein weiteres Buch zu wahren Verbrechen in der Schweiz.»

Sie leben den grössten Teil des Jahres auf der afrikanischen Insel Sansibar. Was vermissen Sie aus der Schweiz?

Knorr-Haferflöckli, Kambly-Güetzi und richtig grünen Salat. Das Erste, was ich in der Schweiz esse, ist übrigens ein Fondue.

Auch im Hochsommer?

Ja, das spielt gar keine Rolle. Ein Fondue geht immer.

Wie gehen Sie mit dem Druck um, ständig Abgabetermine einhalten zu müssen?

Es ist manchmal schwierig. Heute hätte ich zwei Abgabetermine gehabt, die ich beide verpasst habe. Irgendwann bin ich vielleicht locker genug, um weniger Verträge zu unterschreiben. Aber jetzt getraue ich mich noch nicht, zu sagen, ich nehme mir mal ein Jahr lang Zeit für nur ein Buch.

Was sind Ihre nächsten Projekte?

Im November erscheint ein weiteres Buch von mir zu wahren Verbrechen in der Schweiz. Im Juli fliege ich zurück nach Sansibar. Dann will ich meinen nächsten grossen Krimi in Angriff nehmen. Dieses Mal stehen aber nicht die Journalistin Milla Nova und der blinde Nathaniel im Zentrum, sondern die Polizistin Malou Löwenberg, die sich als Privatdetektivin selbstständig macht.

Eine Art Spin-off – wie bei einer Netflix-Serie?

Genau!

Dieses Interview ist die schriftliche Version eines Live-Gesprächs vor Publikum an der BEA-Messe in Bern.