Mamablog: Hassfach MathematikWieso Mathe? Habe ja mein Handy!
Wer gut mit Zahlen umgehen kann, gilt als Nerd. Gastautorin Clarita Kunz hat Vorschläge, wie Mathe cooler werden könnte.
Wer Mathematik liebt, wird oft als Nerd oder als Streberin bezeichnet. Doch weshalb eigentlich gilt dieses Fach als uncool? Wenn man Jugendliche fragt, weshalb viele das Fach Mathematik hassen, antworten sie etwa: «Mit Mathematik kann man ausser in der Schule nicht viel anfangen.»
Frustrierte Kinder und Erwachsene verweisen auf zahlreiche Persönlichkeiten, die ohne (mathematische) Schulbildung erfolgreich und bekannt geworden sind – Steve Jobs und Mark Zuckerberg etwa haben beide die Schule abgebrochen. Man könnte auch sagen: «Wie viel ich bezahlen muss, kann ja auch mein Tablet oder mein Handy berechnen.»
Doch Mathematik ist eine Schlüsselkompetenz und zwar nicht nur für den Eintritt in weiterführende Schulen oder in eine Berufslehre. Sie begegnet uns oft im Alltag: beim Einkaufen, beim Bezahlen von Rechnungen, beim Ausfüllen der Steuererklärung. Es ist von Vorteil, wenn wir im Kopf überprüfen können, ob wir genug oder zu viel bezahlt haben. Mathematik ist eine Denkschulung. Wer mathematisches Verständnis hat, kommt in Alltagssituationen besser zurecht, versteht komplexe Problemlösungen und absolviert in der Regel erfolgreichere Karrieren.
Die einen zählen bis zehn, andere nehmen noch die Finger
Viele hassen das Fach jedoch bereits in der Unter- und Mittelstufe. Und dies, obwohl in der Primarschule überwiegend realitätsnahe Mathematik gelehrt wird, die im Alltag anwendbar ist. Die didaktischen Methoden beruhen dabei aber oft auf einem Missverständnis: Nicht nur Lernende, auch Lehrpersonen, die denken, Schülerinnen und Schüler würden motivierter arbeiten, wenn die Mathematikaufgaben anwendungsorientierter sind, irren sich.
Die Aversion hat andere Ursachen. Bereits bei der Einschulung verfügen Kinder über ungleiche Kompetenzen. Bei einigen ist der Mengen- und Zahlbegriff von null bis zehn bereits gefestigt. Andere nehmen noch die Finger, wenn sie von eins bis fünf zählen. Ungeachtet dessen, werden in der Schule allen Gleichaltrigen zur gleichen Zeit dieselben Lerninhalte vermittelt, was bis zu zwei Drittel der Kinder über- beziehungsweise unterfordert. Die Folge? Erste Therapien werden verordnet. Das ist weder zeitgemäss, noch zukunftsfähig.
In den Schulen wird Individualisierung bisher zu wenig konsequent umgesetzt.
Um dies zu ändern, muss der Mathematikunterricht nicht «interessanter» gestaltet werden, und die Lehrpersonen müssen nicht noch mehr Engagement zeigen oder «achtsamer» unterrichten. Vielmehr sollte den Lernenden in diesem kulturtechnisch bedeutenden Fach die Freiheit zugestanden werden, selbst darüber zu bestimmen, wann sie sich mit den einzelnen Lerninhalten beschäftigen wollen. Nur so arbeiten sie intrinsisch motiviert und nachhaltig. Entmutigung und Hass werden ersetzt durch Lernfreude und Selbstbewusstsein.
«Inklusion» heisst das Zauberwort
Wie kann man das im Unterricht konkret umsetzen? Das Zauberwort heisst «Inklusion». Pädagogische Hochschulen und der Lehrplan 21 fordern dies schon länger. In den Schulen wird Individualisierung bisher aber zu wenig konsequent umgesetzt: Schülerinnen und Schüler dürfen in Mathematik nur jeweils in zeitlich begrenzten Projekten oder, bei den Hausaufgaben, anhand von Wochenplänen im eigenen Tempo arbeiten. Um der genannten Diskrepanz bei der schulischen Entwicklung der Lernenden gerecht zu werden, genügt dies aber nicht. Folgendes wäre zu ändern:
Es ist unfair, wenn Gleichaltrige immer wieder an ein und demselben Lernort versammelt werden und sie alle zum gleichen Lernziel dieselbe Prüfung ablegen müssen. Warum? Weil so immer die gleichen Kinder versagen. Wir müssen uns von dem an Defiziten orientierten Unterricht verabschieden und den Lernenden die Freiheit zugestehen, dass sie selbst darüber entscheiden dürfen, wann sie zu welchem Thema eine Prüfung schreiben. In Schulen, die so arbeiten, zeigt sich zweierlei. Erstens: Die Stigmatisierung der mathematisch wenig begabten Kinder fällt weg. Motivation und Lernfreude bleiben erhalten. Zweitens: Mathematisch Hochbegabte werden angemessener gefordert und mutieren nicht mehr zu Minimalisten.
Liebe Leserinnen und Leser, gibt es Lehrpersonen unter euch? Wie geht ihr mit dem Hassfach Mathematik um und was denkt ihr über die Forderungen unserer Gastautorin? Schreibt eure Meinung in die Kommentarspalte!
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