Impfstoffmangel in Südafrika«Wie wir es aus den kolonialen Zeiten kennen»
Viele Südafrikaner ärgern sich, dass am Kap abgefüllter Impfstoff nach Europa geht.
Er sei «fassungslos» gewesen, sagte Tedros Adhanom Ghebreyesus vor einigen Tagen. Der WHO-Generalsekretär hatte da gerade erfahren, dass der in Südafrika produzierte Impfstoff von Johnson & Johnson vor allem nach Europa geliefert wird, nicht aber auf den afrikanischen Kontinent. Nach Recherchen der «New York Times» blieben nur zwei Millionen Dosen in Südafrika, während mindestens 32 Millionen Dosen exportiert wurden, vor allem nach Europa.
Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Impfstoff weiter vor allem nach Europa exportiert wird, wo bereits ein grosser Teil der Bevölkerung geimpft sei und in vielen Ländern überlegt wird, einen dritten Booster-Shot zu verteilen, während auf dem afrikanischen Kontinent nur zwei Prozent der Menschen eine vollständige Impfung erhalten haben.
Keine Medikamente auf dem Markt
«Es ist so, wie wir es aus den kolonialen Zeiten kennen, als dem afrikanischen Kontinent die Ressourcen genommen wurden», sagt Moses Mulumba vom Zentrum für Menschenrechte und Entwicklung in Uganda. «Die Produktion in Südafrika könnte die Lage in Uganda verändern.» Dort sei das Ziel, ein Zehntel der Bevölkerung von 44 Millionen Einwohnern zu impfen, bisher nicht erreicht worden, nur 1,7 Millionen Menschen hätten bisher eine Dosis erhalten. «Wir finden auf dem Markt keine Medikamente.»
Während europäische Staaten ein Exportverbot für Medikamente erlassen haben, musste sich Südafrika verpflichten, keine Exportkontrollen für den im Land hergestellten Impfstoff zu verhängen. Südafrika hat mehr als 30 Millionen Dosen von Johnson & Johnson bestellt, davon wurden bisher etwa zwei Millionen Dosen geliefert.
Der Engpass liegt auch daran, dass ein Werk von Johnson & Johnson in den USA verunreinigten Impfstoff nach Südafrika geliefert hatte, der dort in Lizenz abgefüllt wird, ein technisch anspruchsvolles Verfahren, das «Fill and Finish» genannt wird. Im März hatte Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa die Fabrik besucht und gesagt, sie «gehöre allen Südafrikanern», die Hersteller forderte er damals auf, Impfstoff zur Verfügung zu stellen.
Keim für soziale Unruhen
Der J&J-Impfstoff hatte für Südafrika eine besonders grosse Bedeutung, weil er – anders als der Impfstoff von Astra-Zeneca, der hauptsächlich für Afrika vorgesehen war – sehr gut gegen die südafrikanische Beta-Variante wirksam ist. Er lässt sich im Kühlschrank aufbewahren und benötigt nur eine Impfdosis.
Hätte Südafrika mehr Impfstoffe bekommen, hätten Menschenleben gerettet werden können, sagt Matthew Kavanagh, Direktor der Global Health Policy and Governance Initiative an der Georgetown-Universität, USA. Von Februar 2021, als Südafrika die Vereinbarung mit Johnson & Johnson unterzeichnete, bis heute seien mehr als 27’000 Menschen im Land an den Folgen von Corona verstorben. Südafrikanische Aktivisten kritisieren allerdings auch, dass die südafrikanische Regierung erst sehr spät direkte Verhandlungen mit Impfstoffherstellern aufgenommen habe und so wertvolle Zeit verstreichen liess.
In vielen EU-Ländern werden wegen möglicher Nebenwirkungen mittlerweile gar nicht mehr alle vorhandenen Dosen von Johnson & Johnson verwendet, sie sollen nun an Entwicklungsländer gespendet werden, bis zu 200 Millionen Dosen bis Ende 2021. Die EU hatte mittlerweile angekündigt, etwa eine Milliarde Euro in die Impfstoffherstellung auf dem afrikanischen Kontinent zu investieren. Der Impfstoffabfüller Aspen teilt mit, dass mittlerweile 60 Prozent der Impfstoffe aus Südafrika auf dem Kontinent bleiben würden, bis zum Jahresende steige die Quote dann auf 100 Prozent.
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In Südafrika hat die lange Zeit ohne ausreichend Impfstoffe auch dazu geführt, dass die Regierung keine richtige Impfkampagne starten konnte. Nach einer Meinungsumfrage des Instituts Afrobarometer sagen 54 Prozent aller Südafrikaner, dass sie sich wahrscheinlich nicht impfen lassen werden, fast die Hälfte glaubt, dass Gebete effektiver gegen Covid sind. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler debattieren bereits, ob die Regierung eine Impfpflicht einführen sollte. Etwa 8 Prozent der Bevölkerung sind vollständig geimpft.
Mittlerweile gibt es manchmal auch mehr Impfstoffe als Interessenten. «Wenn die Lage so bleibt, wenn die Leute sich entscheiden, sich nicht impfen zu lassen, dann sollten sie verpflichtet werden, sich auf eigene Kosten alle drei oder vier Tage testen zu lassen», sagt der Impfexperte Shabir Madhi von der Wits-Universität.
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