Zweiter NationalfeiertagWie viel ein freier Tag kostet – und warum 52 davon nicht 52-mal teurer wären
Der Nationalrat will, dass die Bevölkerung am 12. September freihat und die Verfassung feiert. Die Befürworter finden die Kosten vertretbar. Einige von ihnen wollen jede Woche einen zusätzlichen freien Tag.
Als sich Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider am Donnerstag im Nationalrat gegen die Einführung eines zweiten Nationalfeiertags am 12. September wehrte, liess sie ein wichtiges Argument aus. Der 1. August sei der einzige nationale Feiertag, sagte die Sozialdemokratin im Namen des Bundesrats. Die Feierlichkeiten zur 175-Jahr-Feier der Bundesverfassung, die am 12. September 1848 in Kraft trat, würde man dieses Jahr auch ohne offiziellen Feiertag würdig begehen.
Die Frage nach den finanziellen Auswirkungen einer solchen Entscheidung hatte der Bundesrat hingegen bloss in seiner schriftlichen Stellungnahme angeschnitten. Baume-Schneider erwähnte sie mit keinem Wort. Ob eine Mitte-links-Mehrheit im Nationalrat der entsprechenden Motion von Heinz Siegenthaler (Mitte) auch deswegen zustimmte?
In jüngerer Vergangenheit wurden ähnliche Anträge jeweils erfolgreich mit Verweis auf die volkswirtschaftlichen Konsequenzen gebodigt: 2017 verwarf der Nationalrat die Idee eines Feiertags hochkant, der an die Einführung des Frauenstimmrechts erinnern sollte. Dies, nachdem die damalige Justizministerin Simonetta Sommaruga unter anderem mit den Kosten dagegen argumentiert hatte. Fünf Jahre zuvor hatte das Volk die Initiative «6 Wochen Ferien für alle» deutlich abgelehnt. Die grösste Sorge: Wer soll das bezahlen?
Kostenpunkt: Hunderte Millionen Franken
Während nicht ganz geklärt ist, wer am Schluss die grössten Einbussen hinnehmen müsste, kann das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) zumindest eingrenzen, wie hoch die Kosten total wären: Ein zusätzlicher Arbeitstag erhöhe das reale BIP eines Jahres, also die Wirtschaftsleistung der Schweiz, um 0,04 Prozent, schätzt das Seco.
Im Umkehrschluss würde die Wirtschaftsleistung um diesen Wert sinken, sofern der neue Feiertag auf einen Wochentag fiele und tatsächlich einen Arbeits- zum freien Tag machte. Das entspräche 300 Millionen Franken. Die NZZ hat sich der Rechnung ebenfalls angenommen, stützte sich dabei auf die internationale Forschungsliteratur und kommt auf rund 800 Millionen Franken.
Der vom Seco errechnete Wert wirft eine reizvolle Frage auf: Würden die Kosten für 52 freie Tage das 52-Fache des genannten Werts betragen, also 2 Prozent des BIP beziehungsweise 16 Milliarden? Dann hätte die Schweiz die Viertagewoche für alle eingeführt.
«Die hohe Arbeitsbelastung in der Schweiz führt zu körperlichen und mentalen Krankheiten, die der Wirtschaft grossen Schaden zufügen.»
«Wie sich eine allgemeine Verringerung der Arbeitswoche auf vier Tage – eine deutlich stärkere und systematische Veränderung der Arbeitszeit – auswirken würde, lässt sich anhand dieses Ergebnisses nicht beantworten», schreibt das Seco.
Auch für Michael Siegenthaler, Arbeitsmarktökonom an der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich, ist eine solche Extrapolierung nicht zulässig. «Einen einzelnen Feiertag können viele Branchen abfedern, zum Beispiel durch eine temporäre Steigerung der Produktivität vor und nach dem arbeitsfreien Tag», sagt Siegenthaler. «Einen Tag weniger pro Woche zu arbeiten, würde aber eine völlig neue Organisation der Arbeitsabläufe erfordern.»
Die Berner SP-Nationalrätin Tamara Funiciello ist überzeugt, dass kein wirtschaftlicher Schaden resultieren würde. Sie hat im März eine Motion eingereicht, in der sie eine Reduktion der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden oder die Einführung der Viertagewoche fordert.
«Die hohe Arbeitsbelastung in der Schweiz führt zu körperlichen und mentalen Krankheiten, die der Wirtschaft grossen Schaden zufügen», sagt Funiciello. Weiter würde mit weniger Arbeitsstunden die Umwelt geschont.
Funiciello verweist auf Studien aus dem Ausland, gemäss denen die Produktivität einer Volkswirtschaft bei einer verordneten Senkung der Regelarbeitszeit dank Produktivitätssteigerungen nicht zurückgehe. Die Allgemeingültigkeit dieser Studien ist jedoch umstritten.
Viertagewoche funktioniert zumindest im Einzelfall
Für die Schweiz gibt es bisher bloss Untersuchungen zu den Erfahrungen einzelner Unternehmen: Die Urteile fallen grösstenteils positiv aus. Doch beschränken sich diese Beobachtungen auf einzelne Branchen. Vor allem jedoch leiden die Untersuchungen darunter, dass die Unternehmen die neue Arbeitsform selbst für ihre Umstände als geeignet erachtet haben: Nur deswegen wurden sie von den Wissenschaftlern überhaupt untersucht.
Oftmals ging es den untersuchten Unternehmen ausserdem bei der Entscheidung für die neue Arbeitsform darum, für Angestellte attraktiver als andere Arbeitgeber zu sein. Dieser Effekt würde bei einer Ausweitung auf die gesamte Wirtschaft hinfällig. Der Fachkräftemangel würde möglicherweise vielmehr auf ganzer Front verschärft. «Aus diesen Erfahrungsberichten und der Forschung wissen wir nicht, ob eine Viertagewoche in der Schweiz ohne grösseren wirtschaftlichen Schaden eingeführt werden könnte», sagt darum ETH-Ökonom Siegenthaler.
Mit Tamara Funiciellos Motion befasst sich als Nächstes der Bundesrat, bevor sie in den Nationalrat kommt. Über die Einführung eines zweiten Nationalfeiertags am 12. September entscheidet in einer der kommenden Sessionen der Ständerat.
Fehler gefunden?Jetzt melden.