Vor Treffen der Brics-StaatenWie Südafrika nach einem Schlupfloch für Putin sucht
Sollte Russlands Präsident im August ans Kap reisen, müssten seine Gastgeber ihn eigentlich verhaften. Das will die Regierung in Pretoria unbedingt vermeiden.
Kommt er? Oder kommt er nicht? Ob Russlands Präsident Wladimir Putin Ende August nach Südafrika reist, um am Treffen der Brics-Staaten teilzunehmen, ist nach wie vor völlig offen. Doch im Gastgeberland am Kap steigt die Nervosität derzeit spürbar. Gegen den russischen Präsidenten liegt seit März ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag (ICC) vor, wegen mutmasslicher Kriegsverbrechen in der Ukraine. Als ICC-Vertragsstaat müsste Südafrika Putin eigentlich verhaften, sobald er das Land betritt. Doch genau das will die Regierung in Pretoria auf keinen Fall.
Seitdem Russland die Ukraine überfallen hat, vermeidet es Südafrika, sich offiziell auf eine Seite zu schlagen, tut aber alles, um sich Moskau gewogen zu halten. Präsident Cyril Ramaphosa bezeichnet Putin als Freund, der Krieg in der Ukraine wurde aus Sicht der Regierungspartei ANC von den USA provoziert. Im Februar veranstalteten Südafrika, China und Russland ein gemeinsames Manöver vor der südafrikanischen Küste, pünktlich zum Jahrestag des Kriegsbeginns. Seit einem bemerkenswerten Auftritt des US-Botschafters in Pretoria Mitte Mai steht sogar der – von Pretoria bestrittene – Vorwurf im Raum, dass Südafrika Russland Waffen geliefert habe.
Die alte Freundschaft mit Moskau
Neutral sein, ohne neutral zu sein – die alte Freundschaft mit Moskau pflegen, ohne den wichtigen Handelspartner USA zu verprellen: Das ist ohnehin schon ein heikles Unterfangen, doch der Haftbefehl gegen Putin macht es endgültig unmöglich. Seit März sucht Südafrika deshalb einen Ausweg aus diesem Dilemma, umso fieberhafter, je näher der Brics-Gipfel rückt. Im April kündigte Ramaphosa an, Südafrika werde sich aus dem ICC zurückziehen und verkündete nur Stunden später den Rückzug vom Rückzug – mutmasslich umgestimmt von der Erkenntnis, dass man die Mitgliedschaft nicht über Nacht kündigen kann. Ein Ausstieg ist zwar möglich, würde aber erst nach einem Jahr wirksam werden. Der Brics-Gipfel wäre da längst wieder vorbei.
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Die Regierung versucht es deshalb mit juristischen Tricks, auch wenn diese unter internationalen Juristen bislang eher mit einer Mischung aus Befremden und Belustigung betrachtet werden. Anfang dieser Woche wurde bekannt, dass Südafrikas Aussenministerin Naledi Pandor ein Dekret unterzeichnet hat, das allen Teilnehmern des Brics-Treffens Immunität garantiert – den Staatschefs, die Ende August nach Johannesburg reisen, sowie den Ministern, die bereits am Donnerstag in Kapstadt zusammentrafen, um den Gipfel vorzubereiten. Auch Russlands Aussenminister Sergei Lawrow wurde erwartet, er reist derzeit durch Afrika.
Einseitige Dekrete sind nutzlos
An der Gültigkeit der ICC-Haftbefehle ändert das Immunitätsversprechen aber herzlich wenig: Eine völkerrechtliche Pflicht ist eine völkerrechtliche Pflicht. Einseitige Dekrete sind nutzlos. Das scheint auch Südafrikas Regierung erkannt zu haben. Es handle sich um reine Routine bei Gipfeltreffen dieser Art, versicherte ein Sprecher und fügte hinzu, dass die von Südafrika garantierte Immunität keine Haftbefehle ausser Kraft setze, die von einem internationalen Gericht gegen einen Teilnehmer der Konferenz erlassen worden seien.
Ein vielversprechendes Schlupfloch meint die südafrikanische Regierung dagegen im Gründungsdokument des ICC zu finden. Als der Gerichtshof gegründet wurde, im Jahr 1998, gaben viele der beteiligten Staaten, zu denen auch Südafrika zählte, nur sehr zögerlich Souveränität an ihn ab. Sie handelten juristische Kompromisse oder zweideutige Klauseln aus.
Die schwammige Klausel
Und so steht im Gründungsdokument des Gerichtshofs, dem Römischen Statut, eine schwammige Klausel – der Artikel 98 –, wonach der Gerichtshof die individuellen Verpflichtungen der Staaten weiterhin respektieren müsse. Selbst dann, wenn Den Haag einen Haftbefehl verhängt habe. «Damit wird man in der Praxis aber kaum durchkommen», sagt der deutsche Völkerstrafrechtler Kai Ambos, das hätten internationale Gerichte kürzlich erst in einem Streitfall zwischen Belgien und dem Kongo klargestellt.
Auch in der südafrikanischen Justiz selbst findet die Regierung wenig Unterstützung. Als zuletzt der mit internationalem Haftbefehl wegen Völkermords gesuchte sudanesische Präsident Omar al-Bashir im Jahr 2015 das Land besuchte, hatte ein Gericht im Land scharfe Worte gefunden und die Regierung verpflichtet, ihn umgehend festzusetzen und nach Den Haag auszuliefern. Auch jetzt im Fall Putin haben sich Oppositionsgruppen wieder an die südafrikanische Justiz gewandt und um Klarstellung gebeten: Der Regierung dürfe es nicht gelingen, eine Umgehungsstrasse zu bauen, auf der Putin sich am ICC-Haftbefehl vorbei frei durchs Land bewegen könne.
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