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Hierarchie-Problem
Wie sich Clariant nach dem Börsencrash neu aufstellt

Clariant-Werk im deutschen Straubing, in dem Ethanol aus Agrarabfällen produziert wird.
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Der Baselbieter Chemiekonzern Clariant hat Probleme mit seinen eigenen Mitarbeitenden. Dabei geht es noch nicht einmal nur um diejenigen, die offenbar versucht haben, die Buchhaltung zu manipulieren – was zu einem eindrücklichen Absturz der Aktie führte. Das Problem sitzt tiefer. 

Eine Reihe von Mitarbeitenden ist unzufrieden. Wer dieser Tage mit Leuten von unten bis ganz oben bei Clariant redet, hört immer wieder, die Firmenkultur sei viel zu hierarchisch. Clariant erscheint so als das genaue Gegenteil der Unboss-Kultur von Novartis.

Sogar der Clariant-Präsident sieht ein Problem

Selbst Clariant-Präsident Günter von Au bekennt, es gebe ein Problem: Eine Konzernumfrage unter den rund 11’500 Mitarbeitenden vom letzten Herbst – von ihnen nahmen allerdings nur wenige teil – habe bei der Firmenkultur ein «nicht so positives Ergebnis» gezeigt. Von Au berichtet, dass einige Clariant-Mitarbeitende sich von ihren Vorgesetzten nicht ernst genommen fühlen. Ihre Chefs seien nicht bereit, auf Ideen und Rückmeldungen einzugehen.

Der neue Chef Conrad Keijzer soll dies nun ändern. Der Nachfolger von Hariolf Kottmann ist seit einem Jahr am Ruder. Er hat es inzwischen geschafft, dass bei Clariant keine Krawatten- und Siezkultur mehr herrscht. «Das ist erfrischend und schafft eine viel bessere Atmosphäre», berichtet ein Manager. Er hat Keijzer zwar noch nie persönlich getroffen, doch über seine Videoansprachen ist die offenere Kultur auch zu ihm durchgesickert. 

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Clariant wurde sehr lange – über dreizehn Jahre – von Kottmann mit fester Hand und meist mit Krawatte geführt. Als er 2008 als Firmenchef antrat, wechselte er das Management aus. Er installierte eine Reihe Führungskräfte, die intern «Friends of Kottmann», kurz FOK, genannt wurden.

Sie verkauften die wenig lukrativen Divisionen des Konzerns, schrumpften das Personal von 20’000 auf rund 13’000 und schafften es trotz zahlreicher Krisen, Clariant unabhängig zu halten. Der Respekt gegenüber den Mitarbeitenden beschränkte sich aber weitgehend auf die Sozialpläne für den Jobabbau. 

Chef alter Schule: Hariolf Kottmann.

Bislang stellt das Unternehmen auf Erdöl basierende Fette und Wachse für Schmiermittel oder Waschmittelzusätze her. Nun ist es dabei, sich als Klimawende-Konzern aufzustellen, und entwickelt neue Lösungen für die Produktion von Bioethanol oder grünem Wasserstoff. Dafür braucht es engagierte und mitdenkende Angestellte und weniger Hierarchien. «Unsere Leute sind hoch motiviert dafür», sagt Keijzer. 

«Es geht darum, zugänglicher zu werden, wir als Management müssen das vorleben.» 

Conrad Keijzer, Clariant-Chef

Clariant ist nun dabei, die Top-75-Manager des Konzerns auf einen anderen Führungsstil zu trimmen. Auf Vertrauen, Offenheit, Zuhören. Vom Verwaltungsrat bekommt Keijzer dafür Unterstützung. «Wir haben dieses Jahr Organisationsänderungen vorgenommen», sagt Präsident von Au.

Inwiefern Hierarchien verändert werden, ist noch unklar. Auf jeden Fall braucht es auch eine andere Haltung, wie Keijzer betont: «Es geht darum, zugänglicher zu werden, wir als Management müssen das vorleben.» 

Novartis baut Unboss-Kultur weiter aus, bei Clariant beginnt sie

Eine offenere Unternehmenskultur ist ohnehin ein Megatrend, wie Heike Bruch betont. Sie ist Direktorin des Instituts für Leadership der Universität St. Gallen. «Das hat sich auch in der Schweiz absolut durchgesetzt und durch die Pandemie noch verstärkt», sagt Bruch. Novartis sei da Vorbild. 

Der Pharmakonzern habe im Zuge der Pandemie den Mitarbeitenden noch mehr Freiheiten eingeräumt: Sie erhalten noch umfassendere Entscheidungsspielräume bezogen auf die Wahl von Arbeitsort und -zeit, sollen diese jedoch mit Verantwortung für ihre eigene Leistung, ihre Gesundheit und ihr Team nutzen. 

«Der Fall ist zwar traurig, aber er zeigt doch, dass die Angestellten keine Angst haben, Missstände anzusprechen.»

Conrad Keijzer, Clariant-Chef

Clariant nimmt als Beweis dafür, dass sich durch die aufgedeckte Buchhaltungsmanipulation mehr Offenheit durchzusetzen beginnt. «Der Fall ist zwar traurig, aber er zeigt doch, dass die Angestellten keine Angst haben, Missstände anzusprechen», sagt Keijzer. Über die interne Whistleblower-Hotline kam die Meldung, dass womöglich an verschiedenen Rückstellungen geschraubt wurde.

Umstrukturierungskosten, Entschädigungen, Garantien und Umweltrückstellungen könnten so ausgefallen sein, dass der Konzern bei den Quartalsergebnissen die Erwartungen der Börse erfüllte, die Rückstellungen konnten dazu nach unten oder auch nach oben korrigiert werden.

«Dabei verfolgte niemand ein persönliches Gewinnziel», betont Keijzer. Es werde noch untersucht, welches genaue Motiv dahinterstecke. Es scheint eher falsch verstandene Loyalität zum Konzern als eine boshafte Sabotage gewesen zu sein. 

Wann genau die externe Buchhaltungsüberprüfung abgeschlossen ist, ist laut Keijzer noch offen. Erst dann kann Clariant seine Zahlen für 2021 und womöglich auch revidierte Zahlen für 2020 publizieren. Auch der Aktienkurs wird sich wohl erst dann erholen – er ist bei Bekanntgabe der Manipulationen rund 20 Prozent eingebrochen.