Narasimhans Programm im GegenwindNovartis-Manager sehen Firmenkultur kritisch
Der neue Novartis-Chef propagiert eine hierarchiefreie sogenannte Unboss-Kultur. In grossen Konzernteilen herrscht das genaue Gegenteil, wie hohe Manager erzählen.
Novartis-Chef Vas Narasimhan will mit seinem Unboss-Programm Mitarbeitenden so viel Verantwortung und Kompetenzen wie möglich geben und ruft sie zu Kritik und Offenheit auf. «Die Pandemie beschleunigt die Transformation», sagt Narasimhan. Mit einer alten Top-down-Kultur hätte der Pharmakonzern nie so flexibel und erfolgreich auf die Herausforderungen reagieren können. Der Führungsstil des 2018 an die Spitze gerückten Amerikaners gilt als Revolution und wird in den Medien immer wieder als spannendstes Konzernprojekt Europas gefeiert.
Mehrere Personen aus dem mittleren und höheren Management des Konzerns sehen das Programm kritisch. Ihren Namen wollen sie nicht öffentlich nennen, denn wer nur schon intern den Mund aufmache und Kritik übe, werde entlassen, heisst es. «Hinter der Fassade läuft es ganz anders», erzählt ein Manager aus dem Gebiet des globalen Bereichs Business Services dieser Zeitung. «Bei uns herrscht ein Klima der Angst.» Auch im Bereich Technische Operationen (Medikamentenproduktion) sprechen Manager von einem «toxischen Umfeld» in den letzten Jahren.
Der Vorwurf: Nicht Unboss, sondern das Sparprogramm sei der Boss bei Novartis. «Uns allen tut das in der Seele weh», sagt ein langjähriger Manager. Dabei habe er gar nichts dagegen, dass der Konzern effizienter werden wolle. Wichtig sei aber das Wie. Nämlich, dass Projekte mit Einsparpotenzial gemeinsam diskutiert und vollzogen würden – wie das die neue Führungskultur an sich auch vorsehe. «Wir bekommen aber nur Befehle von oben, die wir umzusetzen haben», so seine Kritik. Der Transfer von Produktion und Administration liefe viel besser, wenn man offener miteinander umgehen und die Verlagerung gemeinsam erarbeiten könnte.
Spannend ist, dass die Achtung vor dem Novartis-Chefs auch bei den Managern hoch ist, die beklagen, dass das Unboss-Programm bei ihnen nicht ankommt. Er wird reihum Vas genannt, was zwar dem amerikanischen Allerwelts-Du entspricht, aber bei ihm schwinge darin auch Nähe mit. «Er ist sympathisch und meint es mit Unboss ernst», so der Tenor. Das Problem sei ein anderes: Innerhalb der Hierarchie könne er sich zum Teil nicht durchsetzen.
«Behauptungen stehen im Widerspruch»
Novartis passt die Kapazitäten seiner weltweit 60 Produktionsanlagen an. Dabei kommt es auch zu Verlagerungen einzelner Herstellungslinien. «Das ist alles ein unglaublicher Aufwand», sagt ein weiterer Manager. Werden Medikamente auf einer anderen Anlage hergestellt, muss das erst zertifiziert werden. Für den Produktionsausfall während dieser Zeit müssen daher zuvor Lagerbestände aufgestockt werden, es gibt also viel zu planen.
12’300 Personen arbeiten bei Novartis in der Schweiz, die Medienstelle konstatiert, dass Berichte von ein paar Mitarbeitenden nicht repräsentativ seien. Angesichts der Position der Manager erscheinen die Berichte jedoch relevant. Ein Novartis-Sprecher hält dagegen: «Die Behauptungen stehen völlig im Widerspruch zu den Ergebnissen unserer vierteljährlichen Umfragen, die wir weltweit im Unternehmen durchführen.» Diese belegten statistisch signifikant konsistente Verbesserungen über alle Massstäbe – sowohl für Einheiten als auch die weltweiten Regionen.
Auch verschiedene Personen aus dem Umfeld von Novartis berichten, dass beim Konzern die Finanzabteilung die Leistungskennzahlen und damit auch die Sparziele für bestimmte Bereiche vorgebe. Es herrsche ein reines Top-down-Regime. «Das ist Gift für jede Teamkultur», so ein Konzernkenner. Auch er versteht, dass es aus Kostengründen eine Verlagerung in Länder wie Indien geben müsse. Das aber berge die Gefahr, dass es bei weiteren Abbauplänen noch härtere Schnitte gebe. «Denn die Leute sind einem nicht mehr so nah, und Entlassungen sind damit noch leichter auszusprechen.»
Novartis wolle die neue Unternehmenskultur weltweit über alle Bereiche und Standorte einführen, betont ein Konzernsprecher. «Beim von Novartis verfolgten Kulturwandel geht es darum, unsere Arbeitsweisen zu verändern und die Kreativität und das Leistungspotenzial unserer Mitarbeitenden freizusetzen.» Das stehe in keinem Widerspruch zu Effizienzprogrammen.
Kündigungen kurz vor Weihnachten
Was die allgemeine Angst bei Angestellten offenbar schürt, ist der Stil beim Jobabbau. Ein hoher Manager sagt, dass er im Rahmen der laufenden Entlassungswelle Mitarbeitenden in der Schweiz kurz vor Weihnachten 2018 die Kündigung habe aussprechen müssen und in den USA in der ersten Januarwoche. Auch einem Mitarbeiter, der sich wegen seiner krebskranken Frau im Sonderurlaub befand, wurde gekündigt, obwohl der Chef wusste, dass die Frau im Sterben lag.
«Weil die Pharma-Margen zu den höchsten überhaupt zählen, stand die Kostenoptimierung bislang nicht so im Vordergrund wie etwa bei Industriefirmen.»
Durchgreifende Sparprogramme mit Verlagerungen in Billiglohnländer sowie die Zusammenlegung von Dienstleistungen sind in der Pharmaindustrie erst seit kurzem üblich, wie Fritz Heese von der Beratungsfirma Oliver Wyman sagt. Er äussert sich zur Branche allgemein. «Weil die Pharma-Margen zu den höchsten überhaupt zählen, stand die Kostenoptimierung bislang nicht so im Vordergrund wie etwa bei Industriefirmen.» Die Zeiten haben sich jedoch geändert: Inzwischen setze sich die Kosteneffizienz auch bei der Medikamentenherstellung durch.
In der Forschung und Entwicklung herrscht bei Novartis dagegen eine andere Kultur. Dort wird das Unboss-Programm offenbar gelebt. Manager aus der Pharma- und Onkologiesparte beschweren sich jedenfalls nicht. Bei konzernweiten Führungstelefonkonferenzen sind es lediglich Manager aus der Produktions- und Serviceabteilung, bei denen Kritik anklingt. «Die von den anderen Abteilungen fordern uns dann auf, nicht so negativ und zynisch zu sein», so ein hoher Manager der Business Services.
Laut Novartis ist die freiwillige Fluktuationsrate bei Produktion und Service nicht höher als in den anderen Einheiten. Auch im Vergleich mit anderen Firmen liege sie im Rahmen.
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