Interview mit WeltraumphysikerSatelliten und Raketenstufen lösen sich in der Atmosphäre auf – entsteht da ein neues Umweltproblem?
Megakonstellationen wie Starlink von Spacex bestehen aus Tausenden Kleinsatelliten. Nach wenigen Jahren werden diese ausgemustert, verglühen in der Atmosphäre und verschmutzen diese.

Allein im Januar sind 120 Starlink-Satelliten von Elon Musks Firma Spacex in die Erdatmosphäre eingetreten und verdampft. Die entstehenden Metallpartikel verschmutzen die obere Atmosphäre.
Die Situation spitzt sich immer weiter zu. Bis 2030 wird durch den Aufbau von Schwärmen mehrerer Tausend kleiner Satelliten im erdnahen Weltraum, sogenannter Megakonstellationen, mit rund 50’000 zusätzlichen Satelliten gerechnet. Bis 2050 könnten es mehrere Hunderttausend sein. Doch schon nach rund fünf Jahren haben die Kleinsatelliten meist ausgedient und stürzen ab. Entsprechend mehr Metalldämpfe werden künftig in die Atmosphäre gelangen.
Schädigt das zum Beispiel die Ozonschicht, die uns vor der gefährlichen UV-Strahlung schützt? Der Weltraumphysiker Leonard Schulz forscht zu diesem Thema an der Universität Braunschweig.
Herr Schulz, entsteht über unseren Köpfen gerade ein neues Umweltproblem?
Das ist die grosse Frage, die wir uns auch in der Wissenschaft stellen. Wir wissen, dass die Megakonstellationen in den letzten Jahren enorm angewachsen sind. Das ganze Material kommt irgendwann wieder runter und verdampft durch Reibung mit den Luftteilchen respektive verglüht durch die Hitze. Wir sprechen von Ablation. Es sind aber nicht nur die Satelliten, die viele verschiedene Partikel in die Atmosphäre einbringen. Mindestens so wichtig, wenn nicht sogar wichtiger, sind die abstürzenden Raketenstufen, die ebenfalls Metalldämpfe in die Atmosphäre injizieren.
Wie viel künstliches Material gelangt denn so in die Atmosphäre?
2019 waren es rund 400 Tonnen, 2023 schon fast doppelt so viel.
Meteoroide bringen pro Jahr rund 12’000 Tonnen kleine Partikel in die Atmosphäre. Spielen die Satelliten und die Raketenstufen überhaupt eine Rolle?
Ja. Und zwar aus mehreren Gründen. Wir haben in einer Studie gezeigt, dass die Menge an Material durch abstürzende Satelliten und Raketenstufen künftig auf bis zu 4900 Tonnen pro Jahr ansteigen könnte. Das wäre dann in der Grössenordnung der Einträge durch Meteoroide.
Aber es ist immer noch weniger.
Das schon. Aber während Meteoroide aus steinigem Material bestehen, also aus verschiedenen Mineralien, bestehen Satelliten und Raketenstufen vorwiegend aus Metallen. Schon 2019 kamen daher mehr Metalle wie Aluminium, Kupfer, Lithium, Blei und Arsen durch menschgemachte Objekte in die Atmosphäre als durch Objekte natürlichen Ursprungs. Und in Zukunft wird das noch für weitere Metalle der Fall sein.
Ist das denn so schlimm?
Es ist zunächst einmal ein Alarmsignal. Wenn wir etwas in die Atmosphäre bringen, das die natürlichen Mengen übersteigt, dann sollte man sich Gedanken darüber machen, welche Effekte das hat.

Sind diese Metalle denn problematischer als die Minerale der Meteoroiden?
Wie die Mineralien der Meteoroiden chemisch reagieren und wie sie langsam zur Erde sinken, darauf hat sich die Umwelt seit Jahrmillionen eingestellt. Jetzt stören wir dieses Gleichgewicht, indem wir neue Substanzen in die Atmosphäre hineinbringen. Deswegen muss man sich das genau anschauen.
Die Metalldämpfe werden auf die ganze Atmosphäre verteilt und verdünnt. Wird das dennoch zum Problem?
Ja, das kann es werden, und zwar wegen der sogenannten katalytischen Effekte. Das bedeutet: Schon geringe Mengen gewisser Substanzen können eine ganze Lawine an Auswirkungen haben. So ist aus einer Studie bekannt, dass man inaktive Chlormoleküle unter Bedingungen, wie sie in der Stratosphäre herrschen, mit Aluminiumoxid aktivieren kann. Falls nun durch die Satelliten und Raketenstufen vermehrt Aluminiumoxid in die Atmosphäre gelangt, könnte das über die Aktivierung von Chlor die Ozonschicht schädigen. Und das ist nur einer von vielen denkbaren katalytischen Prozessen.
Wie stark sind diese katalytischen Effekte?
Das können wir leider noch nicht quantifizieren. Wir wissen nicht genau, welche Partikel in welcher Grösse beim Eintritt in die Atmosphäre entstehen. Es macht aber einen grossen Unterschied, ob die Partikel zum Beispiel rund 500 Nanometer oder nur rund 50 Nanometer gross sind. Die grösseren Partikel sinken recht schnell zur Erdoberfläche, die kleineren bleiben womöglich für Jahrzehnte in der Atmosphäre.
Lassen sich Art und Grösse der Partikel nicht einfach in der Atmosphäre messen?
Leider nein. Weder Flugzeuge noch Ballone schaffen es in eine Höhe von 70 bis 80 Kilometern, wo die meiste Ablation stattfindet. Aufgrund von Messflügen der US-amerikanischen Nationalen Ozean- und Atmosphärenbehörde in bis zu 19 Kilometer Höhe ist immerhin bekannt, dass dort mehr als 20 Elemente vorhanden sind, die in Raumfahrzeugen verwendet werden und nach der Ablation abwärts transportiert wurden. Nur wissen wir nicht, wie viel Prozent von dem, was hoch oben in die Atmosphäre injiziert wird, für längere Zeit im Bereich der Ozonschicht bleibt und dort seine Wirkung entfalten kann. Wir wissen auch nicht, ob und falls ja wie stark die Partikel den Klimawandel beeinflussen, da Russteilchen und Aerosole die Sonnenstrahlen streuen und die Schwebeteilchen generell die Wolkenbildung beeinflussen können.

Was wäre zu tun, um mehr darüber herauszufinden?
Es braucht Laborstudien, zum einen von der atmosphärischen Chemie, zum anderen vom Ablationsprozess. Allerdings ist Letzterer sehr schwierig im Labor nachzustellen. Das Wichtigste sind aber Beobachtungen. Zum Beispiel könnte man mit einem speziellen bodengestützten Laser die Grössenverteilung der entstehenden Partikel messen.
Besteht heute schon Handlungsbedarf?
Da gehen die Meinungen auseinander. Ich denke aber, dass einfach nur Abwarten grosse Risiken birgt. Das sehen wir bei der Verschmutzung der Meere mit Plastik und beim Klimawandel. In beiden Fällen hat man zu lange zu wenig unternommen. Und jetzt haben wir die Probleme. Das sollten wir bei der Verschmutzung der oberen Atmosphäre unbedingt vermeiden.
Was könnte man denn tun?
Ein Ansatz besteht darin, die Lebenszeit der Kleinsatelliten zu verlängern. Dann würde sich die Masse, die in die Atmosphäre gelangt, schon mal deutlich reduzieren. Und wenn wir feststellen, dass zum Beispiel Kupfer ein besonders problematisches Metall ist, dann sollte man nach alternativen Materialien für die Raumfahrzeuge suchen.
Müssen wir uns jetzt ernsthafte Sorgen machen über die Verschmutzung der oberen Atmosphäre?
Wirklich beantworten kann ich diese Frage nicht – dafür fehlt uns schlicht das Wissen. Daher besteht sicher eine dringende Notwendigkeit für mehr Forschung. Aber Panik ist nie ein guter Ratgeber. Wir müssen das jetzt sorgfältig untersuchen und gleichzeitig politisch überlegt und gemäss der existierenden Risiken agieren.
Fehler gefunden?Jetzt melden.