Interview zur Raumfahrt«Die Starship-Rakete wird eine industrielle Revolution auslösen»
Neue Medikamente und gezüchtete Organe: Von Elon Musks Spacex und dem neuen 1800-Milliarden-Markt profitiere auch die Schweiz, sagt Raumfahrtmediziner Oliver Ullrich.
- Spacex plant wirtschaftliche Nutzung des unteren Erdorbits mit grossem Potenzial.
- Das Starship könnte die Raumfahrtkosten erheblich senken.
- Professor Ullrich erwartet eine neue Weltraumökonomie mit zahlreichen Chancen.
- Die Schweiz ist gut aufgestellt, um von dieser Entwicklung zu profitieren.
Elon Musks Raumfahrtunternehmen Spacex sorgt mit wiederverwendbaren Raketen für Aufsehen. Gerade hat die neue Grossrakete, das Starship, den sechsten Testflug absolviert. Laut Professor Oliver Ullrich, Luft- und Raumfahrtmediziner und Direktor des Space Hub der Universität Zürich, wird Spacex bis Ende dieses Jahrzehnts ein «Zeitalter der Erdumlaufbahn» auslösen, das neue technologische, medizinische und wirtschaftliche Möglichkeiten bietet. Das hätte Folgen auch für den Umwelt- und Klimaschutz.
Herr Ullrich, Elon Musk wird in der künftigen US-Regierung unter Donald Trump eine wichtige Rolle spielen. Könnte Musk bei seinen ambitionierten Weltraumplänen davon profitieren?
Die kommerzielle Raumfahrt steht im Wahlprogramm der Republikaner. Da gibt es Passagen, die sich auf die Erschliessung wirtschaftlicher Potenziale im erdnahen Weltraum beziehen. Ich gehe daher davon aus, dass die Strategien, die Elon Musk mit seiner Firma Spacex verfolgt, und die Strategien der republikanischen Partei sehr gut zueinander passen.
Musk wird die neue «Behörde für effiziente Verwaltung» leiten. Gerät er damit in einen Interessenkonflikt? Immerhin erhält Musks Weltraumfirma Spacex Staatsaufträge von der US-Weltraumbehörde Nasa.
Ich kann mir vorstellen, dass Musk versuchen wird, die behördlichen Abläufe zur Prüfung und Bewilligung von Raketenstarts zu verschlanken. Das muss aber nicht unbedingt schlecht sein.
In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch hat das Starship den sechsten Testflug absolviert. Wie wichtig ist das Starship für die kommerziellen Möglichkeiten im Erdorbit?
Enorm wichtig. Das Starship wird eine industrielle Revolution im unteren Erdorbit auslösen.
Warum?
Weil das Starship die zwei wesentlichen Hindernisse entfernt, die eine vollumfängliche Nutzung des unteren Erdorbits bisher verhindert haben. Das sind erstens die Kosten für Raketenstarts. In der Ära der Space-Shuttles hat es mehr als 50’000 Franken gekostet, um ein Kilogramm Fracht in den Erdorbit zu bringen. Mit einer Falcon-Rakete von Spacex zahlt man heute 2000 bis 3000 Franken pro Kilogramm. Mit dem grossen, wiederverwendbaren und dank Serienfertigung vergleichsweise günstigen Starship wird der Preis pro Kilogramm Fracht weniger als 100 Franken betragen. Damit wird der Weltraum für alle erschwinglich, nicht nur für die grossen und reichen Länder. Der untere Erdorbit verliert somit seinen elitären Status.
Und das zweite Hindernis?
Die orbitale Kapazität. Heute kann Europa die Internationale Raumstation ISS im Erdorbit nutzen. Aber dort hat es schlicht nicht genug Platz für eine kommerzielle Produktionsstätte. Die ISS ist eine reine Forschungsstation. Bald wird das Starship aber pro Flug 150 Tonnen in den erdnahen Orbit transportieren können. Damit lässt sich eine industrielle Produktion im erdnahen Orbit aufziehen.
Warum sollte man Produkte im Weltraum herstellen?
Weil die Schwerkraft bei etlichen technologischen Prozessen stört und sich gewisse Produkte in der Schwerelosigkeit besser, zuverlässiger, kostengünstiger oder überhaupt erst herstellen lassen.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel alles, was mit Kristallisation zu tun hat, etwa die Entwicklung von Medikamenten und die Produktion von Halbleitern. In der Schwerelosigkeit bekommt man bei der Kristallisation ungestörte Strukturen und optimierte Materialien. Eine andere Anwendung, mit der wir uns am Space Hub der Uni Zürich befassen, sind komplexe Gewebe.
Menschliche Gewebe?
Ja. Die Zellen ordnen sich in der Schwerelosigkeit spontan an. Damit können wir kleine Organe nachbauen. Das ist auf der Erde sehr aufwendig, da Hilfsstrukturen nötig sind. Im Weltall geht das quasi automatisch. Das kann die Medizin einen enormen Schritt nach vorne bringen.
Geht es um Organe für die Transplantation, etwa nach Verletzungen oder Unfällen?
Ein kompletter Ersatz von Organen durch Transplantation ist der Heilige Gral. So weit sind wir noch nicht. Aber schon kleinere Gewebestücke sind enorm nützlich, beispielsweise für die Medikamententestung. Heute testen wir die meisten Medikamente zunächst an Tieren und erst ganz am Ende am Menschen. Wenn wir die Medikamente schon viel früher an kleinen gezüchteten menschlichen Organen testen könnten, sähen wir viel früher, wenn sie beim Menschen nicht funktionieren.
Wie gross ist dieser neue Markt im Weltraum?
Eine Schätzung wurde dieses Jahr am World Economic Forum publiziert. Demnach könnte die neue Weltraumökonomie bis 2035 ein Volumen von etwa 1800 Milliarden US-Dollar erreichen. Das wäre mindestens viermal so viel wie der Umfang der heutigen Raumfahrt. Allerdings zeigen verschiedene Studien eine gewisse Bandbreite bei diesen Schätzungen.
Eine Rakete wie das Starship besitzen weder die Schweiz noch Europa. Kann die Schweiz dennoch von dieser Entwicklung profitieren?
Die neue Weltraumökonomie ist kein Wettrennen um die beste und grösste Rakete, kein Space Race. Vielmehr geht es um die Wertschöpfungskette, es ist also eher ein Value Race. Und dafür ist die Schweiz hervorragend aufgestellt.
Weshalb?
Die Schweiz hat ideale Voraussetzungen, weil sie eine starke Wirtschaft und ein hohes Innovationspotenzial hat. Hinzu kommt, dass diejenigen Branchen, die vermutlich als Erstes von der neuen Weltraumökonomie profitieren werden, in der Schweiz sehr stark sind. Das sind Biotechnologie, Pharma und Medizintechnik.
Wo beteiligt sich die Schweiz bereits an der Weltraumökonomie?
Im Kanton Zürich hat beispielsweise der Regierungsrat die neue Weltraumökonomie dieses Frühjahr zu einem von drei Innovationsschwerpunkten erklärt. Wir vom Space Hub der Uni Zürich betreiben im Innovationspark Zürich auf dem Gelände des Flughafens Dübendorf eine Multi-User-Anlage mit Laboren, Büros, Werkstätten und Hangarflächen. Wir kümmern uns um Raumfahrtmedizin, Erdbeobachtung, Astrophysik und Drohnentechnologien. Wir kooperieren mit vielen Hochschulen im In- und Ausland. An der ETH Zürich gibt es einen neuen Studiengang zu Weltraumwissenschaft und -technologie. Und kürzlich hat die Europäische Weltraumorganisation (ESA) gemeinsam mit dem Paul-Scherrer-Institut hierzulande das «European Space Deep-Tech Innovation Centre» gestartet. Die Schweiz ist also sehr gut aufgestellt, um von der neuen Weltraumökonomie ein grosses Kuchenstück abzukriegen.
Steht die Förderung der Weltraumökonomie nicht im Widerspruch zu den Bestrebungen, Klimaemissionen zu senken und die Umwelt zu schützen?
Diese Frage ist berechtigt. Man muss das rational anschauen. Denn wir profitieren enorm von den Aktivitäten im Erdorbit. Nur dank Satelliten können wir die Erde vom All aus genau beobachten, was zum Beispiel für das quantitative Verständnis des Klimawandels und der Biodiversität essenziell ist.
Trotzdem verursachen vermehrte Raketenstarts auch mehr Emissionen, die der Umwelt schaden.
Natürlich müssen wir den Erdorbit möglichst nachhaltig nutzen. Das heisst erstens, dass wir keinen Weltraumschrott erzeugen und zweitens keine unnötigen oder gefährlichen Emissionen in der Atmosphäre verursachen. Was den Weltraumschrott anbelangt, sind die neuen wiederverwendbaren Raketen ein grosser Vorteil. Da kommt alles wieder zurück. Und die Emissionen durch Raketenstarts sehe ich relativ entspannt.
Weshalb? Der Start eines Starship erzeugt in etwa so viel CO₂-Emissionen wie drei Transatlantikflüge. Wenn das Starship künftig jeden Tag startet, kommt einiges zusammen.
Das ist immer noch unglaublich wenig. Selbst bei täglichen Starts entspricht das ungefähr zwei Milliardstel des globalen CO₂-Ausstosses. Diese recht kleine Menge muss man abwägen mit dem enormen Nutzen für die Menschheit durch die erwähnten Möglichkeiten der neuen Weltraumökonomie.
Wollte Elon Musk mit seinen Raketen nicht eigentlich zum Mars?
Ja, die Entwicklung des Starship begründet Musk interessanterweise weniger mit der ökonomischen Nutzung des Erdorbits als vielmehr mit der Mars-Exploration. Schon 2026 möchte er fünf Starships zum Mars schicken, um zu prüfen, ob die Landung gelingt.
Allerdings noch ohne Besatzung.
Genau. Eine astronautische Mission zum Mars halte ich noch für sehr weit entfernt. Vor allem in der Raumfahrtmedizin sind wir noch nicht annähernd so weit, um eine Crew unter einigermassen sicheren Bedingungen zum Mars schicken zu können. Heute wäre das eine Todesmission.
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