Design und KlimaWie nachhaltig sind recycelte Möbel wirklich?
Stühle aus wiederverwertetem Plastik sind gefragt. Doch ob sie tatsächlich die Umwelt schonen, hängt von mehreren Faktoren ab.
Der «Monobloc» steht auf der ganzen Welt rum. Der Stuhl, der aus einem einzigen Stück Plastik gefertigt ist und ein überaus trauriges Dasein als anspruchslose Sitzgelegenheit an Imbissständen und in Vereinslokalen fristet.
Bei dem milliardenfach verkauften weissen Plastikstuhl dürfte wohl kaum einer die Frage wagen: Sitzen Sie gut? «Der Monobloc wird als hässlich und billig angesehen, und man ist sich einig, dass seine weitverbreitete Verwendung unseren Planeten verschmutzt», sagt der deutsche Star-Designer Konstantin Grcic. Und doch, man kann durchaus gut auf einem Plastik-Block sitzen, auch mit gutem Gewissen – wenn er aus voll recyceltem und recycelbarem Kunststoff besteht.
So wie der «Bell Chair», den Gcric auf Anfrage für das norditalienische Designunternehmen Magis entworfen hat. Begeistert von der Idee einer Neuinterpretation des Monoblocs war er anfangs indes nicht. Braucht die Welt wirklich noch einen Plastikstuhl? Überzeugen konnte ihn letzten Endes der Werkstoff: ein zu 100 Prozent recyceltes Polypropylen, hergestellt aus den Kunststoffabfällen der eigenen Magis-Produktion und lokalen Automobilindustrie. Ausserdem gebe es eben «einen Bedarf an Stühlen, die sowohl erschwinglich als auch vielseitig einsetzbar sind», während die Produkte auf dem Markt dazu neigten, entweder billig oder zu exklusiv zu sein.
Für rund 70 Franken ist der «Bell Chair», die nachhaltige Variante des verpönten Klassikers, nun also in drei Farben zu haben, schwarz, weiss und orange. Mit seinem Gewicht von 2,7 Kilogramm ist er laut seinem Designer nur halb so schwer wie der durchschnittliche Armlehnstuhl – entsprechend weniger Energie verbraucht er in der Herstellung. «Die Verantwortung des Designs endet aber nicht mit dem Produkt selbst», betont Gcric.
Demnach entwickelte die Designfirma Magis ein ganzes Logistikkonzept für den Stuhl, um zusätzliche Ressourcen zu sparen. Dazu gehört eine speziell konstruierte wiederverwendbare Lieferpalette, die bis zu 24 Stühle sauber stapeln kann. «Dadurch wird weniger Verpackungsmaterial verbraucht und die vertikale Stapelung reduziert den Platzbedarf beim Transport.»
Der vollständig recycelbare Tip Ton RE von Vitra besteht aus aufbereiteten Hausabfällen.
Auch, was einst als Shampoo-Flasche im Badezimmer oder als Joghurtbecher in Kühlschranken lagerte und später achtlos im Abfall landete, kann sich irgendwann in einen 280 Euro teuren Stuhl verwandeln. So besteht der schon im Jahr 2011 von den Briten Edward Barber und Jay Osgerby für Vitra designte Schaukelstuhl und vollständig recycelbare «Tip Ton RE» aus aufbereiteten Haushaltsabfällen. «Nach der Aussortierung von Metallen und Verbundmaterialien wird das Plastik geschreddert, gereinigt und zu einem Mehrweggranulat verarbeitet», erklärt Christian Grosen, Chief Design Officer bei Vitra.
Weil die natürliche Farbe des Recylingwerkstoffs ein dunkles Grau ist, und man auf den Einsatz von Farbstoffen habe verzichten wollen, gibt es den Tip Ton RE ausschliesslich in dem Anstrich, aber mit winzigen Einsprengseln, die von Stuhl zu Stuhl variieren können. «Durch diese kleinen Unterschiede ist jeder Stuhl eine Persönlichkeit. Das ist wie bei einem Stück Holz, bei dem die Struktur etwas über die Wachstumszyklen des Baumes aussagt», sagt Grosen.
Etwa 3,6 Kilogramm recyceltes Polypropylen wird bei der Produktion des Schaukelstuhls, der sich um einige Grade nach vorne neigen lässt, fällig; zu seinem Besitzer kommt er in einem wiederverwertbaren Karton. Laut Grosen ist die Nachfrage nach dem Tip Ton RE gross; bei Vitra arbeite man daher aktuell an weiteren Produkten aus upgecyceltem Plastikabfall.
Eines davon könnte womöglich aus der Zusammenarbeit mit Schülerinnen und Schülern des Schweizer Elite-Internats Institut auf dem Rosenberg entstehen; dort forschen die Jugendlichen in einem Workshop zu nachhaltigem Produktdesign mit dem Vitra-Team an neuartigen und nachhaltigen Materialien.
Nicht alle können sich mit einem Kunststoffstuhl anfreunden, so umweltverträglich er sein mag. Für das Münsteraner Unternehmen Conmoto hat Werner Aisslinger den «Chairman»-Stuhl designt, bei dem zumindest die Sitzschalen aus einem vollständig recycelbarem Material gefertigt sind, während das Untergestell wahlweise aus Eiche oder Metall besteht. «Wir experimentieren im Studio schon seit einigen Jahren mit nachhaltigen, kompostierbaren und recyclebaren oder upcyclebaren Materialien», sagt Aisslinger.
Formfleece sei dabei eine relativ junge Technologie, die durch das Recycling von PET-Flaschen möglich wurde und im Vergleich zu Verformungsverfahren aus erdölbasierten Kunststoffen sehr viel günstigere 3D- verformte Shapes ermögliche – so auch bei Sitzschalen, wie der Berliner Designer erklärt.
«Cradle to Cradle» nennt sich das Designprinzip – Wiege zu Wiege -, bei dem alle Ressourcen irgendwann wieder in den Kreislauf zurückgeführt werden. Neben Werkstoffen, die upgecycelt und recycelt werden können, experimentieren immer mehr Designer mit neuen Materialen, die Kunststoffe oder Metalle ersetzen sollen. Auf den Ausstellungen dieser Welt sei er in den vergangenen Jahren immer öfter auf beeindruckende Ideen und Entwicklungen gestossen, erzählt Aisslinger. «Wir leben gerade in einer spannenden Zeit, in der Lederersatz aus Ananasblättern gefertigt wird oder Verbundplatten aus Muschelresten der Fischereiindustrie.
Wie nachhaltig ein Möbelstück tatsächlich ist, hängt von mehreren Faktoren ab, erklärt Matthias Held, Professor für Design an der Hochschule für Gestaltung im deutschen Schwäbisch Gmünd. Neben dem Werkstoff an sich spielten die Funktionalität, Stabilität und Haltbarkeit des Möbels, eine schadstoff- und emissionsarme Herstellung, aber auch die Ästhetik und die Frage, wie es sich reinigen lässt, eine Rolle.
«Irgendeine Form des Anreizes muss man schaffen.»
So sei ein weisser Stuhl, der schnell schmutzig werde und schwer zu reinigen sei, in Hinblick auf die Nachhaltigkeit ebenso problematisch wie einer, der ein zu extravagantes Design habe, an dem man sich womöglich schnell satt sieht. Zeitlos sollte das Design also sein. «Wenn ich jetzt einen Kunststoffstuhl aus recyceltem Plastik habe, dann mag das zwar erstmal gut klingen», so Held. Gehe der Einsatz des Materials jedoch auf Kosten der Haltbarkeit oder einer der anderen Kriterien, sodass der Stuhl bald wieder ersetzt werden müsse, dann sei er in der Gesamtbilanz schlechter zu bewerten.
Schliesslich stelle sich die Frage, ob ein recycelbarer Stuhl wirklich in den Werkstoffkreislauf zurückgeführt werde, wenn er am Ende seiner Lebensdauer angekommen ist. «Da habe ich momentan noch meine Zweifel», sagt Held.
Held schlägt eine Pfandpflicht für recycelbare Möbelstücke vor. «Irgendeine Form des Anreizes muss man schaffen.» Denn künftig werde die Nachhaltigkeit im Möbeldesign und der -produktion zunehmend an Bedeutung gewinnen.
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