Gastkommentar zur AgrarökologieWie kommen wir aus der Ernährungskrise raus?
Um den Hunger in der Welt zu bekämpfen, braucht es uns alle. Unsere Ernährungssysteme müssen wieder lokaler, diversifizierter und nachhaltiger werden – sowohl in der Schweiz wie auch anderswo.
Unser globalisiertes Ernährungssystem steckt in einer Krise: Jeden Abend gehen mehr als 820 Millionen Menschen hungrig zu Bett. 345 Millionen Menschen sind zudem von akutem Hunger bedroht. Diese Zahl hat sich seit 2019 laut Welternährungsprogramm mehr als verdoppelt.
Wie wir heute Lebensmittel produzieren, verarbeiten und konsumieren, trägt viel zu den aktuellen Krisen wie etwa Klimaerhitzung, Biodiversitätsverlust und Umweltverschmutzung bei. Gleichzeitig ist das globalisierte Ernährungssystem sehr anfällig, wie Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg gezeigt haben. Die jüngste Explosion der Getreidepreise hat die dramatische Abhängigkeit vieler Länder von Importen und die unsichere Ernährungssituation, insbesondere in der südlichen Hemisphäre, verdeutlicht.
Um unsere Ernährung in Zukunft zu sichern, braucht es einen Paradigmenwechsel: Bei Ernährungssystemen in der Schweiz wie auch im Süden müssen künftig die Bedürfnisse der Menschen und nicht die Interessen einzelner Staaten oder die Profite der Konzerne im Zentrum stehen. Wir benötigen eine Landwirtschaft, die resilienter gegenüber dem Klimawandel ist und unseren Planeten nachhaltig schützt. Die Agrarökologie bietet hier Lösungsansätze: Ziel sind lokal und fair produzierte Lebensmittel aus intakten Ökosystemen. Zudem braucht es auf allen Ebenen – Bauernhof, Märkte, Ernährung etc. – mehr Diversität.
«Monat der Agrarökologie»
Swissaid arbeitet seit vielen Jahren mit den Ansätzen der Agrarökologie. Unsere Erfahrung auf drei Kontinenten zeigt, dass diese funktionieren und den Betroffenen ermöglichen, ihre Situation nachhaltig zu verbessern: Statt anfälliger Monokulturen bauen Kleinbäuerinnen und -bauern in Kolumbien ausgewählte Pflanzen gemischt an, sodass diese sich gegenseitig mit Nährstoffen versorgen und vor Krankheiten und Schädlingen schützen. Statt ihr Saatgut teuer von Saatgutkonzernen zu kaufen, vermehren sie es selbst und tauschen es untereinander. Statt auf chemische Düngemittel setzen die Bauernfamilien in Indien auf natürliche Lösungen. Statt für den Export auf die Weltmärkte produzieren sie primär für den eigenen Haushalt, das eigene Dorf oder das eigene Land. Viele dieser Ansätze sind nicht neu, aber sie müssen wiederentdeckt, verbreitet und weiterentwickelt werden.
Auch in der Schweiz setzen sich immer mehr Menschen für einen agrarökologischen Wandel ein: Ein Netzwerk von Organisationen hat für Oktober, den «Monat der Agrarökologie», Landwirtinnen, Forscherinnen, Konsumentinnen, Firmen, Kooperativen, Ernährungsnetzwerke und Hilfswerke eingeladen, um Wege zu einem zukunftsfähigeren Ernährungssystem aufzuzeigen. Veranstaltungen in der ganzen Schweiz bieten Gelegenheit, sich zu informieren und auszutauschen – denn für einen Neubeginn braucht es uns alle.
* Simon Degelo ist Verantwortlicher des Dossiers Saatgut und Biodiversität bei Swissaid, einer Organisation für Entwicklungszusammenarbeit.
Fehler gefunden?Jetzt melden.