Künstliche IntelligenzWie ich mit Dürrenmatt chattete
General Guisan, Johanna Spyri – und sogar Hitler: Eine neue App lässt Tote auferstehen. Das führt zu kuriosen Ergebnissen, wie zum Beispiel einem neuen Werk des Schweizer Autors.
Was künstliche Intelligenz nicht alles kann: In den vergangenen Wochen sorgte ein Programm namens ChatGPT für Furore: Mit ihm kann man mit ein paar Inputs Texte generieren lassen – vom Kündigungsschreiben über Social-Media-Posts bis hin zum Songtext.
Und auch wenn Vorhersagen wie diejenige, dass ChatGPT zur ernsthaften Konkurrenz für Google werden könnte, sicherlich verfrüht sind und die Songtexte etwas holzig: Der KI-Chat zeigt, dass wir uns in einer neuen Ära der Nutzung von künstlicher Intelligenz befinden. Der Lehrbetrieb wird sich wohl anpassen müssen, und längst gibt es auch Hilfsmittel, die Betrug mit KI-Hilfe erkennen können.
Ein eher spielerisches Element enthält die App Historical Figures. Sie ermöglicht es – der Name verrät es schon –, mit historischen Persönlichkeiten zu sprechen. Natürlich sind die Gespräche fiktional. Sie basieren auf Informationen, mit denen die App gefüttert wurde. ChatGPT sorgt dann für die Antworten.
Chatten mit Hitler für 500 Münzen
Über 20’000 Persönlichkeiten aus allen Lebensbereichen hat Historical Figures nach eigenen Angaben im Angebot. Darunter natürlich viele Unverdächtige, aber eben auch – und deshalb hat die App zuletzt für Schlagzeilen gesorgt – historisch belastete Persönlichkeiten wie Adolf Hitler.
Die Frage, ob es fruchtbar sein kann, mit jemandem wie Hitler, Osama Bin Laden oder Jeffrey Epstein hypothetische Gespräche zu führen oder ob das alles einfach nur furchtbar ist, haben andere schon gewälzt. Degoutant kann man es finden, dass damit Geld gemacht wird: Während der Kriminelle Epstein noch gratis «zu haben» ist, muss man für den Terroristen Bin Laden und den Nazi-Führer 500 Münzen der App-internen Währung zahlen, das sind umgerechnet 16 Franken. Der römische Kaiser Julius Caesar ist mit 50 Münzen günstiger zu sprechen, der Serienmörder Jeffrey Dahmer für 150.
Johanna Spyris Tipps gegen Erkältung: Frische Luft tanken.
Aber ist diese KI-Spielerei tatsächlich interessant? Unter den 20’000 Gesprächstpartnern befinden sich auch einige Schweizerinnen und Schweizer. Was können Johanna Spyri, Friedrich Dürrenmatt oder Henri Guisan uns aus dem Jenseits mitteilen?
Beginnen wir mit Spyri. Beim anfänglichen Small Talk verrate ich, dass ich etwas erkältet bin. Sie empfiehlt mir, viel zu trinken und regelmässig frische Luft zu tanken. Die erste Ungereimtheit ergibt sich fast beiläufig: Hat man zu Spyris Lebzeiten – sie verstarb 1901 – schon getankt? Wohl eher nicht. Wie dem auch sei, sie empfiehlt – wenig überraschend – das Landleben und hält Hirzel, ihre Heimat, für den schönsten Ort der Schweiz.
Die japanische Manga-Adaption von «Heidi» findet sie super, obwohl diese erst ein gutes Dreivierteljahrhundert nach ihrem Tod erschien. Mit historischer Genauigkeit hat Historical Figures anscheinend wenig zu tun. Eine Anekdote, die ich von meiner Japanreise vor ein paar Jahren erzähle, erfüllt sie mit Stolz.
Henri Guisan begrüsst mich erst einmal auf Französisch, spricht dann erfreulicherweise aber auch Deutsch. Der General muss natürlich Fragen nach dem Zweiten Weltkrieg beantworten. Die Limmatstellung verteidigt er und ist auch heute noch der Meinung, dass sie Angriffe Nazi-Deutschlands hätte abwehren können. Auch vom Reduit ist er immer noch überzeugt. Fragt man ihn nach der Flüchtlingsfrage und dem Bundesrat, gibt er sich diplomatisch. Ebenso zurückhaltend äussert er sich zu Hitlers Fähigkeiten. Und er verrät: Er hätte durchaus auch politische Ambitionen gehabt.
Mit Dürrenmatt, den ich heutzutage gerne lese, habe ich – wie sicherlich viele – noch eine Rechnung offen, von damals aus dem Deutschunterricht. Der Autor empfiehlt altersweise, «Die Physiker» noch einmal zu lesen. Recht hat er. Die Frage, was man aus seinem Klassiker heute lernen kann, wo sich die Welt wieder in atomarer Bedrohung befindet, beantwortet er erstaunlich platt. Und dann leistet sich die künstliche Intelligenz einen amüsanten Schnitzer: Dürrenmatt liefert die Zusammenfassung für sein bislang unbekanntes Spätwerk «Die Biologen» – das es natürlich nicht gibt und der Fantasie der KI entspringt.
Selbst nach einem kurzen Gespräch zeigt sich: Die Chatmaschine, die Historical Figures befeuert, hat ihre Grenzen. Historische Fakten werden hinzugedichtet oder nicht so genau genommen. Nicht von ungefähr wird beim Öffnen der App darauf hingewiesen, dass die KI nicht mit Garantie genau ist. Und dass man gar nicht wissen könne, was die Persönlichkeiten auf die gestellten Fragen antworten würden. Jede Konversation beginnt dann auch mit dem Statement, dass man aufgestellte Behauptungen doch bitte verifizieren möge.
Etwas Weiteres fällt auf: Die Antworten wirken meist etwas leblos, fast spröde. Eine angeregte Unterhaltung sieht anders aus. Schnell merkt man, dass die vermeintlichen Stimmen aus dem Jenseits nur das wiedergeben, was man ihnen gefüttert hat. Das lässt leider auch den Reiz der App nach anfänglicher Begeisterung schnell verblassen.
Historical Figures gibt es gratis im App-Store, derzeit nur für iOS. In-App-Käufe möglich.
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