Papablog: Elterliche SelbstreflexionWie hört mich eigentlich mein Kind?
Papablogger Tschannen möchte seine erzieherischen Fähigkeiten auf die Probe stellen – und wagt einen experimentellen Rollentausch.
Beebers ist mit seinen drei Jahren in die Hochphase des Rollenspiels eingetreten. Man erkennt seine Prioritäten daran, was er am Morgen als Erstes sagt. Wie vom Beelzebub besessen setzt er sich aus dem Tiefschlaf hin, reisst die Augen auf und fragt: «Können wir Hund spielen?» Ich habe seither ein ganz besonders glänzendes Fell, denn Beebers kümmert sich liebevoll um mich. Ich kriege das gute Futter (Pedigree PAL Senior Active+), werde regelmässig gebürstet und entwurmt. Mit Zäpfchen. Keine Ahnung warum. Ich sei ein Hund und könne keine Fragen stellen.
Doch ich bin nicht immer ein Hund. Manchmal muss ich auch ein Baby spielen. Ich liege dann auf dem Rücken, fuchtle mit den Extremitäten und mache Kackgeräusche, worauf mich Beebers wickelt. Nach zehn frischen Windeln probiere ich etwas Neues aus und fange bitterlich an zu weinen. Beebers tröstet mich: «Pschscht, ganz ruhig … es ist nicht schlimm!»
Was «nicht schlimm»? Ich weine ja wohl kaum zum Spass. Natürlich ist es schlimm. Was erlaubt sich Beebers? Aber natürlich merke ich rasch: Das sind nicht Beebers Worte, sondern meine, die er mir spiegelt. Undurchdacht dahingesagte Floskeln in der naiven Hoffnung auf eine rasche Beruhigung. Ich weine noch etwas weiter, während Beebers monoton wiederholt: «Alles gut, du musst nicht weinen.»
In jedem modernen Erziehungsratgeber steht, man soll die Emotionen der Kinder ernst nehmen und sie nicht kleinreden. Offensichtlich brauche ich ein Rollenspiel, um zu merken, wie schlecht es um meine erzieherischen Basics steht. Und jetzt frage ich mich: Wie nimmt mich eigentlich der Brecht wahr?
Das Erstgeborene packt die Gelegenheit
Also krabble ich hinfort, suche das grosse Kind auf und schlage ihm ein Vater-Kind-Rollenspiel vor. Wortlos erhebt es seinen Kopf aus «Schule der Magischen Tiere 13». Dann schaut es mir tief und ernst in die Augen, legt ganz langsam das Buch weg.
Brecht: Ich arbeite. Was ist denn?
Ich: Ich habe Hunger.
Brecht: Schon wieder? Es gab gerade Essen!
Ich: Ja.
Brecht: Dann hol dir selber was und iss nächstes Mal…
Ich: Aber…
Brecht: Ich rede noch, lass mich doch ausreden!
Ich: Aber…
Brecht: Warum ist deine Hose dreckig? Das ist die Schulhose. Die hast du heute Morgen frisch angezogen und jetzt ist sie schon dreckig? Wie oft soll ich eigentlich waschen? Ich hab dir taaausend Mal gesagt, du sollst dich umziehen. Warum rede ich eigentlich? Weisst du was, vielleicht ist mir ab heute alles egal. Du kannst ja selber wasch…
Ich: Kann…
Brecht: Ich rede immer noch! Hast du heute schon geübt? Machst du das jetzt bitte, sonst kommt das Schlagzeug wieder weg. Wir haben abgemacht, dass du täglich übst.
Ich: Das hast du einfach bestimm…
Brecht: Aha? Weisst du eigentlich, wie viel die Schlagzeuglektionen kosten? Das Geld muss ich mir mühsam verdienen!
Ich: Aber du arbeitest gar nicht. Mama verdient das Ge…
Brecht: Ich arbeite nicht? Was soll das heissen, ich arbeite nicht? Ich putze hier den ganzen Tag und niemand hilft mir. Was ist eigentlich mit deinen Ämtli? Hä?
Ich: Hab ich doch gemacht.
Brecht: So, ich muss jetzt auf mein Handy starren und will nichts mehr hören. Lalalala!
Der Brecht hält sich ein imaginäres Smartphone vors Gesicht und stampft genervt davon. Ich finde, er steigert sich da etwas rein. Keine Ahnung … äh … wo er diesen Ton her hat. Bestimmt von Youtube oder so. Immerhin kommt er nach fünf Minuten wieder zurück, streichelt mir liebevoll übers Köpfchen und sagt in wattig weichen Worten: «Auch wenn ich oft mit dir schimpfe, ich habe dich trotzdem sehr lieb.»
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