Kommentar zu EinbürgerungenWie divers ist Ihr Freundeskreis? Beweisen!
Der Kanton Zürich stimmt bald über seine Einbürgerungspraxis ab. Schön! Aber jetzt ist es Zeit, dass auch Schweizerinnen und Schweizer mit Pass eine Prüfung ablegen.
Im Briefkasten liegt ein dickes Couvert. Am 15. Mai stehen Abstimmungen an. Im Kanton Zürich entscheidet die Stimmbevölkerung unter anderem über das Kantonale Bürgerrechtsgesetz. Wird es angenommen, bürgern Behörden in Zukunft einheitlicher und fairer ein.
Abstimmungsbroschüre des Kantons Zürich, Seite 13, eine Liste springt mir entgegen: die «16 Prüfschritte auf drei staatlichen Ebenen» zur Einbürgerung, geprüft von Zürcher Gemeinden, dem Kanton und dem Bund. Wenn man diese Liste so klar abgedruckt vor sich liegen hat, drängt sich wieder einmal die Frage auf, nach welchen Kriterien hierzulande eingebürgert wird. Und auch: an wen sie sich richtet.
«Kontakte zu Schweizerinnen und Schweizern», «Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben», «Teilnahme am Wirtschaftsleben oder Teilnahme am Erwerb von Bildung».
Aber gehören da nicht zwei Seiten dazu?
Wer prüft die Gesellschaft, vor allem all jene, die diese Schweizer-Pass-Prozedur nicht durchlaufen müssen, ob sie gewillt sind, sich wie Bürgerinnen und Bürger eines multikulturellen, offenen Landes zu verhalten? Wer stellt sicher, ob sie geeignet sind, die Einbürgerungswilligen so zu behandeln, dass letztere die Kriterien für eine Einbürgerung erfüllen können?
«Warum haben Sie erst einmal an einem Iftar teilgenommen?»
Vor meinem geistigen Auge läuft ein Film ab. Gemeinden, Kantone schicken Beamtinnen und Beamte los. Sie würden ganz andere Sachen als Sprachkenntnisse sogenannter «Ausländer» (Zitat aus der Abstimmungsbroschüre) prüfen.
Stattdessen erhalte ich als Person mit Pass eine Aufforderung, mich beim Kreisbüro in Zürich-Wiedikon zu melden, um Fragen zu beantworten. Zum Beispiel, ob ich prinzipiell allen Menschen gegenüber gleich kontaktfreudig bin – oder ob ich Vorbehalte habe. Wie ich wirklich auswähle, wenn ich eine Stelle zu besetzen habe oder hätte, eine freie Wohnung zu vergeben. «Darf ich dazu Ihren Leistungsausweis sehen?», würde die Beamtin dann fragen.
«Warum haben Sie erst einmal an einem Iftar teilgenommen? Was Iftar ist, wissen Sie aber, oder? Sind Ihnen die Religionen und Traditionen Ihrer Mitmenschen nicht wichtig? Wie divers ist Ihr Freundeskreis? Sind im Chor, in dem Sie singen, wirklich alle willkommen? Können Sie das beweisen?»
Absurd? Aber wieso sollte es nicht so sein?
Wir alle sind gefordert, wenn es darum geht, zu einer Gesellschaft, der Schweiz, immer wieder neu zusammenzuwachsen und weiterzuwachsen. Ich plädiere für eine Einbürgerungspraxis, bei der alle beweisen müssen, dass sie bereit sind, etwas für die Schweiz zu tun.
Visionär. Radikal sogar?
Das hiess es beim Frauenstimmrecht erst auch.
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