Geld und Maulkörbe für MedienWie die Politik in den Journalismus eingreift
Das Parlament spricht Millionen, um Zeitungen zu fördern. Doch zugleich drohen Entscheide, die den Journalisten und Journalistinnen die Arbeit erschweren.
Der Polizeifunk Polycom sorgt immer wieder für Ärger. Über eine Milliarde Franken haben Bund und Kantone schon in das Funksystem gesteckt; trotzdem gibt es nun jahrelange Verzögerungen und grosse technische Probleme mit ungewissem Ausgang. Das deckte diese Zeitung vor einem Monat auf. Das Öffentlichkeitsgesetz erlaubte den Zugang zu internen Dokumenten, aus denen das Ausmass der Polycom-Misere hervorging.
Doch es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie die Verwaltung den Zugang zu solchen Dokumenten erschweren oder faktisch verhindern kann. Die beliebteste: Man verlangt Gebühren für die Bearbeitung eines Zugangsgesuchs. Dies geschah auch im Fall Polycom: In der Recherche dazu bat diese Redaktion um Einsicht in eine rund sechsseitige Zusammenarbeitsvereinbarung zwischen dem zuständigen Bundesamt für Bevölkerungsschutz und der Lieferfirma Atos.
Das Amt weigerte sich anfänglich, später verlangte es dafür 1000 Franken – wegen des angeblichen Aufwands für die «Entklassifizierung» und Prüfung der sechs Seiten. Das entspricht einem Aufwand von 20 Stunden, also fast dreieinhalb Stunden pro Seite.
Nach kritischen Rückfragen halbierte das Amt die Summe auf 500 Franken. Doch auch ein solcher Betrag übersteigt die meisten Redaktionsbudgets, um ein einzelnes Dokument zu erhalten.
Leichter gegen Zeitungen klagen
Der Fall Polycom veranschaulicht einen der Widerstände, mit denen Medienschaffende bei ihrer Arbeit konfrontiert sind – und die derzeit die Politik umtreiben. In der laufenden Sommersession beschäftigen sich die eidgenössischen Räte in einem Ausmass wie schon lange nicht mehr mit der Presse. Allerdings sieht es keineswegs danach aus, als ob bessere Rahmenbedingungen die Maxime der Parlamentarier und Parlamentarierinnen wären. Insbesondere im Ständerat könnte eine Reihe von Entscheiden zuungunsten der Journalistinnen und Journalisten ausfallen:
Am Donnerstag hat es die kleine Kammer in der Hand, die Gebühren für den Zugang zu amtlichen Dokumenten abzuschaffen. Traktandiert ist eine parlamentarische Initiative der Thurgauer SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher, nach der Gebühren nur noch in Ausnahmefällen erhoben werden dürften. Im Nationalrat fand der Vorstoss vor wenigen Wochen eine breite Mehrheit. Die vorberatende Kommission des Ständerats empfiehlt nun aber überraschend mit 6 zu 4 Stimmen ein Nein. Es müssten bisweilen «Gesuche mit beträchtlichem Aufwand bearbeitet werden», schreibt die Kommission in ihrer Begründung. Dank der Gebühr sei sichergestellt, dass nur Gesuche mit berechtigten Anliegen eingereicht würden. In den allermeisten Fällen werde «schon heute keine Gebühr erhoben», so die Kommission.
Geht es nach der ständerätlichen Rechtskommission, wird es künftig einfacher, kritische Zeitungsberichte zu verhindern. Nächste Woche wird der Ständerat die neue Zivilprozessordnung beraten – und dabei womöglich eine weitreichende Neuerung im Medienrecht beschliessen: Künftig sollen Gerichte die Publikation eines Berichts untersagen können, wenn einem Kläger oder einer Klägerin ein «schwerer Nachteil» droht. Eine solche «vorsorgliche Massnahme» ist schon heute möglich, allerdings nur bei einem «besonders schweren Nachteil». Die Streichung des Wortes «besonders» würde das gerichtliche Vorgehen gegen recherchierende Journalisten und Journalistinnen nach Einschätzung von Medienrechtlern massiv erleichtern. Es sei ein «Angriff auf die Medienfreiheit», sagte Stefan Wabel, Geschäftsführer des Verbands Schweizer Medien, letzte Woche in einem Interview des Branchenportals Persoenlich.com. Anders sieht es Mitte-Ständerat Beat Rieder, Präsident der Rechtskommission: «Es gibt immer noch zu viele Presseartikel, die auf Sensationen aus sind, ohne die Privatsphäre der betroffenen Personen zu respektieren», erklärte er nach dem Kommissionsentscheid.
Indirekt auf die Medien zielt auch eine Motion von Benedikt Würth (Mitte, SG), über die am Dienstag abgestimmt wird. Würth fordert «Massnahmen gegen das System von Indiskretionen», wobei er vor allem die vorab publik gewordenen Bundesratsanträge zur Corona-Pandemie im Visier hat. Es brauche «neue Instrumente» wie etwa ein systematisches Monitoring, um Indiskretionen aus der Verwaltung vorzubeugen. Der Bundesrat lehnt die Motion ab; sie hat aber dennoch gute Chancen, zumal sie von Mitgliedern aller bürgerlichen Fraktionen unterzeichnet wurde.
Geldsegen für die Presse
In auffälligem Kontrast zu diesen Angriffen steht das «Massnahmenpaket zugunsten der Medien», das derzeit zwischen National- und Ständerat hin- und hergeschoben wird. Es sieht Millionen an Fördergeldern für die unter Spardruck und strukturellen Problemen leidende Branche vor: Der Vertrieb der gedruckten Presse würde neu mit 120 Millionen statt wie heute 50 Millionen Franken jährlich verbilligt.
Geld gäbe es erstmals auch für Onlinemedien, nämlich 30 Millionen Franken pro Jahr. Weitere Hilfen sind für die Nachrichtenagentur Keystone-SDA, die Journalistenschule MAZ und den Presserat vorgesehen.
Auch wenn die beiden Ratskammern noch über einige Details streiten, dürfte das Paket die Beratungen doch passieren. Die Chancen sind damit gross, dass diese Session für die Medien ein zwiespältiges Ergebnis hervorbringt: zusätzliches Geld für die Verlage – und Maulkörbe für die Redaktionen.
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