Draghi verschärft MassnahmenWie die Italiener die Impfpflicht für über 50-Jährige umsetzen wollen
Als erstes grosses Land in Europa führt Italien eine generelle Impfpflicht für eine gewisse Altersklasse ein. Ab 50 darf nur noch arbeiten gehen, wer immunisiert ist – unter Androhung von Strafen.
Italien prescht einmal mehr vor und beschliesst eine berufsübergreifende Impfpflicht für Menschen über 50 Jahre – und zwar für alle Bewohner des Landes, auch für Ausländer. Nach einer langen und offenbar sehr bewegten Sitzung des Ministerrats sagte Premier Mario Draghi, man wolle mit den neuen Massnahmen jene Altersklassen schützen, die besonders gefährdet seien bei einer Ansteckung mit Sars-CoV-2, und damit den Druck auf die Krankenhäuser verringern.
Italien zählte zuletzt 219’000 Neuinfektionen binnen eines Tages, die Anzahl der Todesfälle betrug am Donnerstag 198. Mehr als 1400 Plätze auf Intensivstationen sind von Patienten mit Corona belegt. Experten warnen davor, dass das System bereits im Februar an seine Grenzen stossen könnte.
Zunächst gab es Verwirrung um die praktische Umsetzung der neuen Verfügung. So viel ist nun bekannt: Ab Anfang Februar müssen über 50-Jährige belegen können, dass sie mindestens ein erstes Mal geimpft oder nach einer Ansteckung genesen sind, wobei Letzteres nicht länger als sechs Monate her sein darf. Für die aktive Bevölkerung gilt: Ab dem 15. Februar dürfen nur noch Geimpfte oder frisch Genesene über 50 arbeiten, sowohl im öffentlichen Dienst als auch in privaten Unternehmen. Die Abwesenheit vom Arbeitsplatz läuft unter «unentschuldigt» und wird nicht entlöhnt.
Mittlerweile sind über 90 Prozent der über 12-Jährigen geimpft
Wer ohne gültigen «Super Green Pass», also ohne den Nachweis für 2-G, bei der Arbeit erwischt wird, dem drohen Geldstrafen von 600 bis 1500 Euro. Gebüsst werden sollen auch die Unternehmen und Ämter, die für die Kontrollen zuständig sind und sie unterlassen – von 400 bis 1000 Euro. Ungeimpftes Personal kann von den Firmen ersetzt werden, doch entlassen werden dürfen renitente Angestellte nicht. Die Impfpflicht betrifft auch Arbeitslose, doch wie die sich kontrollieren lassen, ist noch unklar. Ausgenommen sind Menschen mit einem ärztlichen Attest.
Vorerst gilt die Verordnung bis Mitte Juni. Alle, die vor dem 15. Juni 50 Jahre alt werden, müssen sich impfen lassen. Zählt man alle Menschen in Italien ab 50 zusammen, die noch nicht geimpft sind, kommt man auf etwa 2,3 Millionen – mit 1,07 Millionen tragen die 50- bis 59-Jährigen am meisten zu dieser Kategorie bei. In Italien sind mittlerweile 90 Prozent der über 12-Jährigen geimpft.
Draghis Kompromiss brachte alle auf Linie, das Dekret wurde einstimmig angenommen.
Die Zeitung «La Repubblica» schreibt von einem «historischen Moment» in der Geschichte zwischen Staat und Bürgern. Zwar hat Italien eine lange Tradition auf dem Gebiet der Impfpflicht: Gegen zehn Krankheiten müssen italienische Kinder geimpft werden, damit sie zur Schule gehen dürfen. Zum ersten Mal aber wird eine generelle Impfpflicht für Erwachsene einer gewissen Altersklasse erlassen.
Verfassungsrechtler Michele Ainis erinnert an Artikel 32 des italienischen Grundgesetzes, da steht: «Die Republik hütet die Gesundheit als Grundrecht des Einzelnen und als Interesse der Gemeinschaft und gewährleistet den Bedürftigen kostenlose Behandlung. Niemand kann zu einer bestimmten Heilbehandlung angehalten werden, ausser durch eine gesetzliche Verfügung.» In diesem Fall zählt das kollektive Wohl.
Für den Besuch von Banken und Postämtern gilt 3-G
Die sozialdemokratischen und linken Regierungsparteien wären gern noch weiter gegangen, manche plädierten für eine generelle Impfpflicht ab 18. Draghi selbst machte sich im Verlauf der Sitzung für Ü-40 stark, doch der Widerstand von Cinque Stelle und der rechten Lega war zu gross. Vor allem die Minister der Lega stellten sich quer, weil sie finden, da würden die Freiheiten allzu vieler Bürgerinnen und Bürger eingeschränkt, wo doch das durchschnittliche Alter der Hospitalisierten mit schweren Krankheitsverläufen viel höher sei als 50 Jahre. Sie drohten damit, der Abstimmung im Ministerrat fernzubleiben. Draghis Kompromiss brachte dann aber alle auf Linie, das Dekret wurde einstimmig angenommen.
Es beinhaltet eine Reihe weiterer Massnahmen. Neu muss sich auch das gesamte Personal an den Universitäten impfen lassen. Bisher galt diese berufsbedingte Impfpflicht bereits für alle Angestellten im Gesundheitswesen und in den Altersheimen, an den Schulen und bei den Sicherheitskräften. Zudem ist die Zertifikatspflicht ausgeweitet worden. Draghi und die Linke hätten gern 2-G für den Besuch von Banken, Postämtern, Friseursalons und Einkaufszentren vorgeschrieben. Doch auch in diesem Punkt war die regierungsinterne Opposition zu gross: Am Ende einigte man sich auf 3-G für all diese Orte. Mindestens ein frischer Negativtest ist also nötig.
Draghi rechtfertigte die neuen Massnahmen so: «Wir wollen mit diesen Verfügungen das gute Funktionieren der Krankenhäuser sichern und gleichzeitig die Schulen und die Wirtschaft offen behalten.» Es gehe jetzt darum, die Kurve der Neuinfektionen zu bremsen und all jene Italienerinnen und Italiener zu einer Impfung zu bewegen, die noch nicht geimpft seien.
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