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Blockierte Verhandlungen
WHO-Pandemie­pakt gescheitert – das sind die Gründe

epa08305695 Sanitization operation in the streets of the Quartieri Spagnoli of Naples, to stem the danger of contagion and spread of  Covid-19 Coronavirus, in Naples, Italy, 19 March 2020.  EPA/CIRO FUSCO
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Es war ein ambitioniertes Ziel: Angetrieben von den bitteren Erfahrungen der Corona-Pandemie, wollten die 194 Mitgliedsstaaten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sich dazu verpflichten, bei der nächsten weltumspannenden Epidemie schneller und fairer zu reagieren. Mehr als zwei Jahre lang wurde um einen Pandemievertrag gerungen. Ein Ergebnis aber kam innerhalb der vorgesehenen Frist nicht zustande. Nun soll weiterverhandelt werden. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was soll das Abkommen regeln?

Das Abkommen soll Verpflichtungen für die Länder umfassen, wie sie Pandemien vorbeugen, sich auf sie vorbereiten und im Ernstfall reagieren sollen. Dazu werden im Entwurfstext Dutzende Massnahmen aufgezählt: etwa Überwachung von Krankheitserregern, der Kampf gegen antimikrobielle Resistenzen, die Stärkung von Gesundheitssystemen und die Verteilung von Medikamenten und Impfstoffen.

Der Vorteil eines solchen Vertrags: «Im Falle einer Pandemie gäbe es bereits Regelungen, auf die man sich berufen kann», sagt Remco van de Pas, Experte für globale Gesundheit am Centre for Planetary Health Policy in Berlin und am Tropenmedizinischen Institut in Antwerpen. Im Idealfall stünde bereits eine Infrastruktur zur Verfügung, beispielsweise ausreichend Labore oder Kühlketten für den Transport hitzeempfindlicher Impfstoffe.

Wie viel Macht würde der Vertrag der WHO verleihen?

In vielen Ländern hatten Populisten vor zu viel Macht der WHO in Pandemiezeiten gewarnt. Tatsächlich aber stand im Vertragsentwurf schon früh, dass Entscheidungen über Infektionsschutzmassnahmen wie Lockdowns oder Impfvorschriften nach wie vor bei den Ländern liegen. Das Abkommen würde Länder dagegen unter Umständen verpflichten, mehr in den Infektionsschutz zu investieren, Ressourcen zu teilen und transparenter zu agieren.

Um den Regelungen möglichst viel Gewicht zu verleihen, ist geplant, dass der Pakt rechtlich bindend wird. Er soll die Rechtsform eines Vertrags oder einer Vorschrift annehmen. Dennoch hätte die WHO auch in diesem Fall keine Möglichkeiten, Vertragsbrüche zu sanktionieren.

Die Erfahrung zeigt, dass Länder wenig Scheu haben, diese fehlende Macht der WHO auszunutzen. So ratifizierte der Grossteil der Mitgliedsländer das 2005 in Kraft getretene Tabakrahmenabkommen – und verpflichtete sich damit rechtlich bindend zu umfangreichen Massnahmen des Nichtraucherschutzes. Doch komplett umgesetzt haben diese Massnahmen bis heute nur vier Länder: Mauritius, Brasilien, die Niederlande und die Türkei.

Was sind die Knackpunkte in den Verhandlungen?

Schwierig war vor allem die Frage der Finanzierung. Es ist klar, dass ärmere Länder Unterstützung benötigen, um eine bessere Pandemievorsorge aufzubauen. Doch auf verbindliche und konkrete Zusagen konnten sich die Länder bisher nicht einigen.

Besonders umstritten waren Regelungen, wie Wissen über Krankheitserreger schnell und gerecht geteilt werden kann. In der Corona-Pandemie hatten weniger wohlhabende Länder wie Südafrika Erregerproben oder -daten zur Verfügung gestellt, doch kommerziell profitierten Firmen in den reichen Ländern, indem sie auf der Basis dieser Informationen Tests oder Pharmazeutika entwickelten. Daher sah der Entwurf ursprünglich vor, dass Hersteller 20 Prozent der Produkte, die auf der Basis von geteilten Daten entwickelt werden, zu einem stark gesenkten Preis an die WHO abgeben. Diese hätte die Produkte dann entsprechend dem Bedarf verteilt. Durchsetzen liess sich die Idee jedoch vorerst nicht.

Warum gelang bisher keine Einigung?

Anna Holzscheiter, Professorin für Internationale Politik an der TU Dresden, hält den Ausgang der bisherigen Verhandlungen für nicht überraschend: «Es war schon sehr ambitioniert, binnen zwei Jahren einen Vertrag mit so vielen Facetten und so grossen Fragen wie der nach der globalen Gerechtigkeit erstellen zu wollen.»

Clare Wenham, Professorin für globale Gesundheitspolitik an der London School of Economics, schrieb auf X, dass die Verhandlungen zu früh begonnen hätten, noch ehe die Länder Zeit gehabt hätten, die Versäumnisse während der Corona-Krise umfassend zu analysieren. Sie machte zudem die Pandemiemüdigkeit für das Fehlen einer Einigung verantwortlich. Auch die aktuelle geopolitische Lage habe eine Rolle gespielt, sagt Remco van de Pas. Die Kriege in Nahost und der Ukraine beeinflussten auch die Haltungen und Kooperationsbereitschaft der Länder.

Wie soll es jetzt weitergehen?

Diese Frage hatte das Verhandlungsteam an die Weltgesundheitsversammlung delegiert. Sie ist das höchste Beschlussorgan der WHO und entschied kürzlich, dass die Verhandlungen für maximal ein weiteres Jahr und mit demselben Verhandlungsteam fortgesetzt werden sollen. Spätestens die in einem Jahr turnusmässig tagende Weltgesundheitsversammlung soll dann über das Abkommen abstimmen. Käme eine Einigung früher zustande, könnten die Mitgliedsländer ihr Votum auf einer Sondersitzung abgeben. Experten hatten sich zuvor dafür ausgesprochen, den Verhandlern mehr Zeit zu geben. «Es ist wichtig, dass die Fortschritte, die bisher in den Verhandlungen erreicht werden konnten, beibehalten werden», sagt Melissa Scharwey, Expertin für globale Gesundheitspolitik bei der Organisation Ärzte ohne Grenzen.

Was ist mit dem zweiten Vertragswerk, den Internationalen Gesundheitsvorschriften?

Unabhängig von dem Pandemieabkommen wurden in den vergangenen zwei Jahren auch die Internationalen Gesundheitsvorschriften überarbeitet. Sie sind bereits seit Jahrzehnten in Kraft und regeln unter anderem, dass Länder ungewöhnliche Ausbrüche von Infektionskrankheiten an die WHO melden müssen und wann ein globaler Gesundheitsnotfall ausgerufen wird.

Neu ist nun, dass neben dem Gesundheitsnotfall auch eine Pandemiegefahr ausgerufen werden kann. Sie ist sozusagen eine weitere Eskalationsstufe, die im Falle einer drohenden oder bereits eingetretenen Pandemie zu einer wirksameren internationalen Zusammenarbeit führen soll. In der bisherigen Fassung der Vorschriften war die offizielle Ausrufung einer Pandemie gar nicht mehr vorgesehen, was während der Corona-Krise zu Verwirrung geführt hatte. Ausserdem wird in der neuen Fassung festgehalten, dass ärmere Länder bei der Beschaffung wichtiger medizinischer Güter besser unterstützt werden sollen.

Dass die Gesundheitsvorschriften getrennt vom Pandemieabkommen verhandelt wurden, hat politische, juristische, aber auch praktische Gründe. Die Gesundheitsvorschriften gelten für Krisensituation, die nicht unbedingt eine Pandemie sein müssen, sondern auch regional begrenzte Epidemien sein können.

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