SVP und Mass-voll warnenDroht der Schweiz eine Gesundheits-Diktatur? Das steht im WHO-Pandemiepakt
Corona-Skeptiker schiessen gegen ein internationales Abkommen gegen künftige Pandemien. Ein Blick in die Vertragsentwürfe zeigt: Die Kritik hat sich weitgehend erledigt.

«Unsere Grundrechte und unsere Menschenrechte würden aufgehoben», rief SVP-Volksvertreter Andreas Glarner Mitte April in den Nationalratssaal. Die erste Debatte über den Pandemiepakt der Weltgesundheitsorganisation WHO hatte damit gleich am Anfang Siedetemperatur erreicht.
Aber Glarner legte noch nach: «Gesundheitsrelevante Informationen und Wissenschaftler, deren Meinung von der WHO abweicht, würden weltweit zensiert werden können», wenn der Pandemiepakt in Kraft trete.
Glarners Partei will darum verhindern, dass der Bundesrat den Vertrag mit der WHO unterschreibt. Mindestens soll das Parlament und allenfalls sogar das Volk zu der Unterschrift seinen Segen geben.
Zu mehreren Vorstössen im Parlament kommt eine Petition gegen den Pakt mit 37’000 Unterschriften. Ein SVP-dominiertes Komitee hat sie Ende April in Bern eingereicht. Eine ähnliche Petition in Deutschland wird schon im Titel deutlich: «Bekämpfe die Machtergreifung der WHO – sag Nein zum Pandemiepakt.»

In diesem Geist ruft die massnahmenkritische Organisation Mass-voll am 25. Mai zu einer Demonstration auf dem Bundesplatz auf. Diese richtet sich gegen «Bestrebungen der WHO, die Souveränität der Schweiz zu beschränken».
Besser vorbereitet für die nächste Pandemie
Der Pandemiepakt, den die Internationale der Corona-Skeptiker so heftig bekämpft, hat ein hehres Ziel: dafür sorgen, dass die Welt besser auf die nächste Pandemie vorbereitet ist als 2020 auf Covid-19.
Er soll Grundlagen dafür schaffen, dass Länder bei der Seuchenbekämpfung besser zusammenarbeiten. Dafür will die WHO die internationalen Frühwarnsysteme stärken. Die Staaten sollen neue Erreger rasch melden, die Informationen sollen frei mit allen geteilt werden.
Das Bundesamt für Gesundheit BAG sagt, der Pakt sei im Interesse der Schweiz. Sprecher Simon Ming erklärt: «So wird der Schutz der Gesundheit der Schweizer Bevölkerung gestärkt.» Den Kritikern entgegnet das BAG: «Die Schweiz wird in jedem Fall auch in Zukunft souverän über die eigene Gesundheitspolitik und Massnahmen entscheiden.»
Diktaturvorwürfe von Anfang an
Allerdings: Der Vorwurf, mit dem Pandemiepakt wolle sich WHO-Generaldirektor Tedros Ghebreyesus mehr und allenfalls diktatorische Macht zuschaufeln, steht seit Beginn der Verhandlungen im Mai 2021 im Raum.
Aber in zähen Verhandlungsrunden haben die WHO-Mitgliedsstaaten den ursprünglichen Entwurf stark verändert. Das zeigt sich in den Versionen des Papiers, die die WHO jeweils dokumentiert. Die wesentlichen Kritikpunkte wurden damit beseitigt. Mindestens dem Buchstaben nach.
So wurden etliche Stellen aus dem Text getilgt, die der WHO mehr Einflussmöglichkeiten auf die Gesundheitspolitik einzelner Staaten gegeben hätten.
Im Entwurf vom März dieses Jahres haben die Unterhändler in Genf zudem einen neuen Abschnitt eingefügt. Danach ist «keine Bestimmung des Pandemie-Abkommens so auszulegen», dass sie der WHO oder ihren Generaldirektor befugt, «innerstaatliche Rechtsvorschriften oder die Politik» der beteiligten Länder «zu ändern oder etwas anzuordnen».
Insbesondere darf gemäss diesem Passus die WHO den Mitgliedsstaaten nicht vorschreiben, spezifische Massnahmen zu ergreifen, also etwa Einreiseverbote, Impfvorschriften oder Lockdowns.

Eine zweite wichtige Änderung am Pandemievertrag: In den frühen Vertragsversionen wurden die Staaten dazu angehalten, «falsche und irreführende Fehlinformationen» zu «bekämpfen», was als Zensur ausgelegt werden kann.

In der aktuellen Version heisst es nun auf Seite 20, die Vertragsparteien sollen «den rechtzeitigen Zugang zu glaubwürdigen und faktengestützten Informationen» ermöglichen, «mit dem Ziel, Fehlinformationen oder Desinformationen entgegenzuwirken».

Dass die Diktatur-Vorwürfe gegen die WHO damit entkräftet sind, bestätigt auch ein Fachmann. «Das vorgeschlagene Pandemie-Abkommen würde die Souveränität der Mitgliedsstaaten achten», sagte der Gesundheitsrechtler Pedro A. Villarreal von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik Ende April vor einem Ausschuss des Deutschen Bundestags.
Keine Lockdown-Befugnisse
Dort wird der Pandemiepakt ebenfalls heiss diskutiert. Villareal bestätigte insbesondere, es gebe im jüngsten Vertragsentwurf «keine neuen Bestimmungen», die es der WHO ermöglichen, bei künftigen Pandemien «Impfpflichten oder Lockdowns» anzuordnen.
Die Verhandlungen über den Pandemiepakt dauern immer noch an. Aber der Streit unter den WHO-Mitgliedern dreht sich aktuell nicht um Diktaturvorwürfe, sondern um die Rolle der Pharmaindustrie: Soll sie auf ihre Patente verzichten, damit auch ärmere Staaten sich Impfstoffe leisten können?
Baume-Schneider verhandelt in Genf
Ursprünglich war geplant, dass der Pandemiepakt Anfang Juni unterschriftsreif vorliegt. Ob die Delegationen die Streitpunkte aber in der nächsten Verhandlungsrunde ab vom 27. Mai bis 1. Juni bereinigen können, ist laut BAG ungewiss.

Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider persönlich wird die Schweizer Delegation bei der Konferenz am WHO-Hauptsitz in Genf leiten. Noch will sie sich nicht zum Pandemiepakt festlegen.
In der Nationalratsdebatte sagte sie: «Erst nach Abschluss der Verhandlungen und in Kenntnis des endgültigen Inhalts entscheidet die Schweiz, ob sie sich daran binden möchte oder nicht.»
Mitentscheiden will, so oder so, der Nationalrat: Die Mehrheit aus SVP, FDP und Mitte stimmte Ja zur Forderung, dass der Bundesrat den Pandemiepakt dem Parlament zur Genehmigung vorlegt. Die Debatte im Ständerat steht noch aus.
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