Lockdown-Partys ohne EndeJetzt klopft bei Johnson die Polizei an
Gegen den britischen Premier und Party-Gänger wird ermittelt. Offenbar wiegen die Erkenntnisse so schwer, dass sich Scotland Yard gezwungen fühlte, einzugreifen. Das muss dem Regierungschef aber nicht unbedingt schaden.
In London hat am Dienstag die Polizei offiziell Ermittlungen zu den inzwischen berühmt-berüchtigten Lockdown-Partys in No 10 Downing Street und im Regierungsviertel Whitehall aufgenommen. Erwartet wird nun, dass ausser seinen Mitarbeitern in Kürze auch Premierminister Boris Johnson zum Verhör vorgeladen wird.
Bei den erst jüngst enthüllten Partys handelt es sich um mehr als ein Dutzend geselliger Zusammenkünfte aus den Jahren 2020 und 2021, die gegen die jeweils geltenden Covid-Restriktionen verstossen haben sollen. Die landesweite öffentliche Empörung über entsprechende Berichte hat viel Unruhe in Johnsons Konservativer Partei ausgelöst und zu Spekulationen geführt, dass sich der Regierungschef einer Misstrauensabstimmung in der eigenen Fraktion stellen muss.
Metropolitan Police ist auf dem Laufenden
Die Vorwürfe gegen Johnson waren in den letzten zwei Wochen bereits intern von der hohen Staatsbeamtin Sue Gray untersucht worden. Viele Tories hatten erklärt, sie wollten das Ergebnis dieser Untersuchungen abwarten, bevor sie etwas gegen den Premier unternähmen. Diese Woche stand der Gray-Report zur Veröffentlichung an.
Grays Team hatte unterdessen, während es Informationen und Zeugenaussagen sammelte, die Metropolitan Police, auch bekannt als Scotland Yard, pflichtgemäss auf dem Laufenden gehalten. Und nach einer Erklärung der Londoner Polizeipräsidentin Cressida Dick vom Montag erwiesen sich einige der übermittelten Erkenntnisse als so schwerwiegend, dass die Polizei sich ihrerseits zum Einschreiten gezwungen fühlte. Damit hat die für Boris Johnson brisante Affäre eine neue Dimension erreicht.
«Wie um Himmels willen glaubt Boris Johnson, Premierminister bleiben zu können, wenn gegen Downing Street jetzt polizeilich ermittelt wird?»
Britische Oppositionspolitiker, die bereits seit Tagen Johnsons Rücktritt fordern, finden nun, dass niemand mehr den Verbleib Johnsons im Amt rechtfertigen könne. «Wie um Himmels willen glaubt Boris Johnson, Premierminister bleiben zu können, wenn gegen Downing Street jetzt polizeilich ermittelt wird?», fragte die Vizechefin der Labour Party, Angela Rayner. Ed Davey, der Vorsitzende der Liberaldemokraten, meinte: «Boris Johnson steht nicht über dem Gesetz. Er muss behandelt werden wie jedermann sonst.»
Auch in Johnsons Partei regt sich neuer Unmut angesichts der Polizeimassnahmen. Johnsons Lage werde «zunehmend schwierig», räumte gestern der Tory-Abgeordnete Simon Hoare ein. Ex-Minister David Davis, der Johnson schon vorige Woche nahegelegt hatte abzutreten, äusserte sich entsetzt darüber, «dass dieser Albtraum nur immer noch schlimmer wird».
«Unsere Regierung geht von Stärke zu Stärke.»
Dagegen erklärte Jacob Rees-Mogg, Johnsons Minister für parlamentarische Angelegenheiten, man solle den Premier endlich in Ruhe lassen. «Unsere Regierung geht von Stärke zu Stärke», sagte Rees-Mogg – und Johnsons Führungsvermögen sei «brillant». Johnson selbst sagte im Parlament, die polizeilichen Untersuchungen würden erlauben, «Klarheit zu schaffen» und «einen Strich unter diese ganze Sache zu ziehen».
Für die gegen Johnson angetretenen Tory-Rebellen hat die Einschaltung der Polizei die Lage freilich auch kompliziert. Denn nun wird der Sue-Gray-Report, der kurz vor seiner Fertigstellung stand und auf den die gesamte Tory-Fraktion ungeduldig wartete, erst einmal hintangestellt.
Gray-Report verzögert sich, was Johnson hilft
Gray will ihre Untersuchungen zwar weiter vorantreiben, aber die Veröffentlichung ihres Reports wird auf unbestimmte Zeit verschoben. Viele Gegner Johnsons bei den Tories sind sich nun unsicher, ob sie auf die Polizeiermittlungen warten sollen, die sich wochen- oder sogar monatelang hinziehen können, oder ob die Zeit für einen unverzüglichen Aufstand gegen Johnson gekommen ist.
Neuen Zorn hatte am Dienstag die Nachricht ausgelöst, dass im Juni 2020 eine Geburtstagsfeier für Boris Johnson in Downing Street stattfand, als solche Partys noch strikt verboten waren. Zu der von Carrie Johnson organisierten Feier, bei der gesungen und Torte aufgetischt wurde, waren 30 Gäste eingeladen. Boris Johnson war wenigstens eine Zeit lang mit dabei.
«Wir alle müssen unseren Teil dazu beitragen, Leben zu retten.»
In No 10 mühte man sich, die Feier erneut als Teil des Arbeitslebens in Downing Street dazustellen. Viel Aufmerksamkeit erzielte aber die Veröffentlichung eines Briefs in den britischen Medien, in dem ein siebenjähriges Mädchen namens Josephine dem Premier mitgeteilt hatte, sie habe ihre Geburtstagsfeier verschoben, um sich an die Regeln zu halten. Johnson hatte ihr damals geantwortet: «Wir alle müssen unseren Teil dazu beitragen, Leben zu retten – und du gehst mit tollem Beispiel voran!»
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