Proteste in SpanienWer sind diese jungen Leute, und warum sind sie so wütend?
Eine Protestwelle hat sämtliche grösseren Städte Spaniens erfasst. Die Wut richtet sich vordergründig gegen die Festnahme eines Rappers. Ein Grund für die Revolte der Jugend ist die schlechte Wirtschaftslage.
Im Schein der Leuchtreklame für ein neues Handy stehen ein paar Hundert Leute in der Abenddämmerung. Sie klatschen und skandieren: «Hier sind die Antifaschisten.» An einer Ecke der Kundgebung auf der Plaza de Callao im Zentrum Madrids hat sich ein Kreis gebildet. Die Demonstranten machen Platz für ein paar Breakdancer, die über den Asphalt wirbeln. Vor ihnen hat sich eine Reihe Polizisten in Schutzausrüstung aufgebaut. Die Polizisten, steif in schusssicheren Westen und dicken Handschuhen, stehen da wie ein unfreiwilliges Publikum. Aus den Boxen tönt der 90er-Jahre-Rap-Klassiker «It’s the Sound of da Police».
Seit einer Woche demonstrieren Abend für Abend Tausende Menschen in mehreren spanischen Städten für Meinungsfreiheit und für die Freilassung des inhaftierten Rappers Pablo Hasél. «Rap ist kein Verbrechen» ist noch so ein Satz, den man auf den Demonstrationen häufig hört. Die Kundgebung an diesem Samstag in Madrid blieb friedlich, was wohl auch daran lag, dass auf jeden Demonstranten ein Polizist kam.
Bankfilialen verwüstet
Aus Sicht der Behörden galt es zu verhindern, dass sich Szenen wiederholten, wie sie sich letzten Mittwoch in Madrid zugetragen hatten und seither jeden Abend in Barcelona: Dort liefern sich im Anschluss an die Demonstrationen gewaltbereite Autonome Strassenschlachten mit der Polizei. Müllcontainer brennen, Fensterscheiben splittern. Bankfilialen wurden verwüstet. Auch die Beamten gehen nicht zimperlich vor: Anwohner in der Innenstadt von Barcelona filmten, wie Polizisten Demonstranten mit Schlagstöcken vor sich durch die Strasse treiben.
Nicht nur in Katalonien kam es zu Zusammenstössen zwischen Polizei und Demonstranten: Von Bilbao bis Granada und von Madrid bis Valencia – die Protestwelle hat sämtliche grösseren Städte des Landes erfasst. Die Bilanz nach einer Woche: 150 Festnahmen, 200 Verletzte, davon etwa ein Drittel Polizisten.
Es sind auch die Bilder, die Europa nach Spanien blicken lassen: Wer sind diese jungen Leute und warum sind sie so wütend? Nach Angaben der Behörden sind die Festgenommenen der vergangenen Nächte zwischen 16 und 25 Jahre alt. Die meisten von ihnen gehören demnach keiner politischen Vereinigung an, und auch ihr ideologischer Hintergrund sei schwer festzustellen, zitiert die Zeitung «El Periódico» aus Polizeikreisen in Barcelona.
Hasél bezeichnet sich als Kommunisten, in seinen Texten geht es immer wieder auch um soziale Ungerechtigkeit.
Ein Grund für ihre Wut mag in der ökonomischen Situation liegen: Nach einem Jahr Pandemie gehört die Generation der Millennials zu den grössten Verlierern in Spanien. Die Arbeitslosigkeit in dieser Altersgruppe beträgt in Katalonien mittlerweile 38 Prozent, sie ist dreimal so hoch wie im Rest der Bevölkerung. Doch ist es nur Frust über verlorene Zukunftschancen und die nicht enden wollende Pandemie?
Auf der Demonstration in Madrid tragen die Teilnehmer durchgängig Masken, viele auch solche mit FFP2-Standard. Hier scheint es durchaus um die Sache selbst zu gehen. Sie singen Textzeilen von Pablo Hasél, von dem sie vor ein paar Monaten vielleicht noch nie gehört hatten. Nun aber kämpfen sie für seine Freiheit.
Hasél ist kein Star in der spanischen Rap-Szene. Der Sänger, der mit bürgerlichem Namen Pau Rivadulla Duró heisst, gehört zu einer Szene linksextremer, antimonarchistischer Aktivisten und Musiker. 1988 in der katalanischen Stadt Lleida geboren, wuchs Hasél in einem bürgerlichen Elternhaus auf. Die Schule hat er abgebrochen, 2005 nahm er sein erstes Demo-Tape auf. Hasél bezeichnet sich als Kommunisten, in seinen Texten geht es immer wieder auch um soziale Ungerechtigkeit.
Gemäss den Konventionen des Rap schiesst Pablo Hasél in seinen Songs scharf. Zu scharf, befand die spanische Justiz mehrmals. Seine Gefängnisstrafe, die er am vergangenen Dienstag antreten musste, erhielt er, weil er in seinen Texten die Monarchie beleidigt und den Terror verherrlicht habe. Er nannte den spanischen Alt-König Juan Carlos «Parasit» und «Mafioso» und gab sich in Anspielung auf Eta-Attentate gegen konservative Politiker brutalen Gewaltfantasien hin.
Unterschriften für eine Begnadigung
Das Verhängen einer Haftstrafe für solche Texte ist international umstritten. Dunja Mijatovic, Menschenrechtskommissarin des Europarates, bewertet den Fall Hasél angesichts der spanischen Gesetzesgrundlage kritisch: «Die übermässige Anwendung der Antiterrorgesetzgebung bedroht die Meinungsfreiheit.» Amnesty International sammelt Unterschriften für eine Begnadigung des Rappers.
Inzwischen entzweit die Bewertung des Falls auch die spanische Regierung: Während der kleinere Koalitionspartner, die linkspopulistischen Unidas Podemos, sich auf die Seite der Demonstranten schlägt und die Gewalt der Polizisten verurteilt, distanzierte sich Ministerpräsident Pedro Sánchez nicht nur von den Krawallmachern, sondern indirekt auch gleich von seinem Koalitionspartner. Für Podemos, die einst aus der Protestbewegung der «Empörten» hervorgegangen sind, ist die Situation besonders heikel: Den etablierten Parteien gelten sie als verlängerter Arm der Krawallmacher. Doch für die jungen Menschen auf der Strasse sind sie längst Teil jener Macht, die sie kritisieren und bekämpfen.
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