Analyse zur Kunstfreiheit in SpanienDie jungen Spanier haben genug vom «Maulkorbgesetz»
Ein Rapper wurde zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Der Fall ist beispielhaft, mit welcher Härte der spanische Staat gegen Künstler vorgeht.
Jene Demonstranten, die am Donnerstagabend das Redaktionsgebäude der Zeitung «El Periódico» in Barcelona attackiert haben, zeigen ein krudes Verständnis von Freiheit. Sie richten ihre Aggression gegen ein unliebsames Medium, während sie für Meinungsfreiheit demonstrieren. Drei Nächte in Folge kam es zu massiven Ausschreitungen in mehreren Städten Spaniens. Müllcontainer brannten, Polizisten wurden verletzt und traktierten die Demonstranten mit Knüppeln und Gummigeschossen, eine 19-Jährige verlor ein Auge.
Anlass für den Aufruhr ist die Festnahme des Rappers Pablo Hasél, der sich weigerte, eine Haftstrafe anzutreten, und nun als Märtyrerfigur der antifaschistischen Szene für zweieinhalb Jahre ins Gefängnis geht. Richter sahen es als erwiesen an, dass seine Rap-Texte und Tweets Institutionen des spanischen Staates wie den König beleidigen und den Terrorismus verherrlichen. Die zugrunde liegende Gesetzeslage ist inner- und ausserhalb Spaniens höchst umstritten.
«Maulkorbgesetz», sagt der Volksmund
2015 hat der damals regierende Konservative Mariano Rajoy sowohl das Strafrecht zur «Verherrlichung von Terrorismus» verschärft als auch ein Gesetz durchgesetzt, das schönfärberisch «zum Schutz der Sicherheit der Bürger» beitragen soll. Der Volksmund hat es längst umgetauft in «Maulkorbgesetz». Im Zusammenspiel dieser beiden Gesetzestexte, die so vage formuliert sind, dass den Gerichten ein weiter Interpretationsspielraum bleibt, ergingen in den vergangenen Jahren Urteile gegen Journalisten, Fotografen und Privatpersonen. Eines der vergleichsweise harmlosen: 800 Euro Strafe für ein Foto von einem Streifenwagen, der einen Behindertenparkplatz zuparkt.
Schon als die Gesetze vor sechs Jahren verschärft wurden, warnten Menschenrechtsorganisationen vor einer Einschränkung zentraler Grundrechte. Die «New York Times» fühlte sich an die «dunklen Tage der Franco-Ära» erinnert. Und auch spanische Juristen mahnten, das Maulkorbgesetz sei vor allem Symptom eines schwachen demokratischen Selbstbewusstseins.
«Die Proteste gegen die Verhaftung des Rappers zeigen, dass für junge Spanier die Freiheit der Kunst keine Nebensächlichkeit ist.»
2018 kam der Machtwechsel. Direkt nach Amtsantritt kündigte der Sozialist Pedro Sánchez an: Das Gesetz aufzuheben oder zumindest zu entschärfen, habe für ihn Priorität. Schliesslich passt es so gar nicht zum progressiven Image, das er Spanien zu verpassen versucht. Passiert ist nichts. Inzwischen regiert Sánchez zusammen mit den Linkspopulisten von Unidas Podemos, deren Sprecher Pablo Echenique diese Woche sogar so weit ging, auf Twitter seine «volle Unterstützung» auszudrücken «für die jungen Antifaschisten, die für Gerechtigkeit und Meinungsfreiheit auf den Strassen sind». Podemos sitzt seit einem Jahr in der Regierung – aber das Maulkorbgesetz ist noch immer nicht reformiert.
Dieses Versäumnis führt nun dazu, dass gewaltbereite Krawallmacher die Regierung vor sich hertreiben können. Die Proteste gegen die Verhaftung des Rappers, die grösstenteils friedlich ablaufen, zeigen, dass für junge Spanier die Freiheit der Kunst keine Nebensächlichkeit ist. Jene Tausende Menschen, die Abend für Abend auf die Strassen gehen, zeigen, was die Regierung jahrelang ignoriert hat: dass Meinungsfreiheit auch bedeutet, jene zu tolerieren, die lustvoll die Grenzen dieser Freiheit austesten.
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