Interview mit IPCC-Autorin Sonia Seneviratne «Wer auf technologische Hilfe hofft, ist auf dem falschen Weg»
ETH-Klimaforscherin Sonia Seneviratne erklärt, warum nicht alles gut wird, selbst wenn wir die Pariser Klimaziele erreichen würden.
Was ist Ihre Botschaft an alle, die künftig Entscheidungen im Klimaschutz treffen müssen?
Das Bild hat sich seit dem letzten Bericht vor acht Jahren dank einer noch besseren Datenlage weiter geschärft und ist noch schlechter geworden. Änderungen bei Klimaextremen werden jetzt in jeder Region der Welt beobachtet. Zuwarten im Klimaschutz ist definitiv ein No-go. Wer nach wie vor die Idee hat, man könne weiterhin die CO2-Emissionen so langsam wie bisher reduzieren und dann auf technologische Hilfe hoffen, ist auf dem falschen Weg.
Sie sprechen die negativen Emissionen an?
Ja, die Mengen an CO2, die man derzeit aus der Atmosphäre mit Aufforstung oder technischen Methoden extrahieren kann, sind schlicht zu begrenzt, um eine Rolle einzunehmen. Wir müssen einfach so schnell und so viel CO2-Emissionen wie möglich reduzieren, damit wir möglichst wenig auf solche technischen Lösungen angewiesen sind. Die Zeit reicht einfach nicht mehr, um auf zukünftige Lösungen zu wetten. Die Emissionen müssen bereits in zwei Jahren sinken.
Der neue Bericht zeigt eigentlich, dass das Fenster für das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens bereits zu ist, zumal jetzt auch noch der Amazonas zur CO2-Quelle geworden ist?
Dies würde ich nicht so interpretieren. Die 1,5-Grad-Grenze wurde noch nicht erreicht, und es gibt im neuen Bericht ein Szenario, das diesem Ziel sehr nahe ist. Die Grenze würde nur um 0,1 Grad überschritten. Dafür müssen die Emissionen bis 2030 um 50 Prozent abnehmen und nachher so schnell wie möglich netto null erreichen, am besten vor 2050. Aber es ist klar, dass das Zeitfenster sich schnell schliesst. Wenn wir weitermachen wie bisher, wird es global 1,5 Grad wärmer sein, vielleicht noch vor dem nächsten IPCC-Bericht.
Aber es ist doch unrealistisch, die Emissionen so schnell zu reduzieren.
Das ist eine gesellschaftliche Frage. Man hätte 2019 auch sagen können: Lockdowns in mehreren Ländern gleichzeitig lassen sich nicht realisieren, das ist unvorstellbar. Trotzdem ist das als Folge der Covid-Krise geschehen, weil wir die Krise wahrgenommen haben.
Aber die Klimakrise hat doch eine viel grössere Dimension.
Es scheint, dass das Bewusstsein für die Dringlichkeit von Klimamassnahmen in der Politik noch immer nicht überall angekommen ist, auch in der Schweiz nicht. Aber jedes Zehntel Erwärmung, das wir verhindern, ist ein Fortschritt.
Dennoch: Alles wird nicht mehr gut.
Das stimmt. Es gibt Entwicklungen, die sind nicht mehr aufzuhalten, selbst wenn wir die Erderwärmung auf 1,5 Grad oder nur wenig darüber stabilisieren. Der Meeresspiegel wird weiterhin steigen, so lange, bis das Klimasystem wieder im Gleichgewicht ist. Auch die Gletscher werden weiter schmelzen, weil grosse Gletscher sehr träge sind und sich verzögernd auf neue Bedingungen einstellen. Und die Änderungen bei den Klimaextremen, sprich die Zunahme von Hitzewellen und Starkniederschlägen wie diesen Sommer, werden nicht verschwinden und sich mit einer zusätzlichen globalen Erwärmung weiter verschärfen.
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