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Halloween: Die Nacht der Wiedergänger
Wenn Leichen lächeln oder stöhnen

Jemanden lebendig zu begraben, ist heute unmöglich. Halloween-Maskerade.
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Ein sicheres Zeichen dafür, dass ein Mensch nicht mehr ins Leben zurückkehren kann, ist der Hirntod. Umso verblüffender ist, dass ein US-Team vor wenigen Monaten «Zombie-Gene» entdeckte, so zumindest titelten die Zeitungen. Schliesslich handelt es sich um Gene, die erst dann im Gewebe aktiv werden, wenn der Tod eintritt – und das ausgerechnet im Gehirn.

Eigentlich sollten die Gene beim Sterben ihre Arbeit einstellen, keine Proteine mehr bilden und damit Wachstum und Stoffwechselprozesse sämtlicher Zellen stoppen. Was aber geschieht dort? Die Gruppe um Jeffrey Loeb von der University of Illinois in Chicago hatte Gewebeproben aus den Gehirnen von Lebenden untersucht. Die Forscher wollten wissen, ob sich die Aktivität aller Gene verändert, während im Labor der Sterbeprozess des Gewebes einsetzt. Sie veröffentlichten die Ergebnisse im Fachblatt «Scientific Reports».

Tatsächlich beendeten eine Reihe von Genen innerhalb weniger Stunden nach dem Tod des Gewebes die Arbeit, und zwar in den Nervenzellen, die für komplexe Aufgaben wie Erinnerung und Denken zuständig sind. Damit ist zumindest die Sorge ausgeräumt, dass Menschen nach dem Hirntod noch etwas wahrnehmen könnten.

Zellen wuchsen zur gigantischen Grösse

Merkwürdigerweise blieben aber 80 Prozent der Gene während 24 Stunden unverändert aktiv und zwar solche, die quasi für Alltagsjobs in der Zelle nötig sind und deshalb «Housekeeping-Gene» heissen. Am verrücktesten reagierten jedoch die sogenannten Gliazellen. Sie treten im Gehirn etwa bei Entzündungsprozessen in Aktion. Die Forscher beobachteten, wie in dem absterbenden Gewebe die Gliazellen zu einer gigantischen Grösse heranwuchsen und sich ausladend verästelten. Am stärksten war dieser Effekt 12 Stunden nach dem Tod des Gewebes.

In einer Presseerklärung sagte Loeb, dass die Gliazellen so gross und aktiv wurden, sei ihrer Aufgabe geschuldet, nach Gehirnverletzungen aufzuräumen, zum Beispiel wenn der Sauerstoffgehalt sinkt oder nach einem Schlaganfall. Der Rechtsmediziner Stephan Bolliger von der Universität Zürich ist nicht sonderlich überrascht: «Diese Zellen wollen das abgestorbene Gewebe im Gehirn beseitigen, ohne zu merken, dass der ganze Körper betroffen ist.»

Claas Buschmann, Rechtsmediziner am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel, erklärt: «Der Tod hat einen phasenhaften Verlauf.» Nach dem Herzstillstand gelangt kein sauerstoffreiches Blut mehr zu den Organen. Dabei reagieren die Organe aber unterschiedlich schnell auf den Sauerstoffmangel. «Das Gehirn ist am empfindlichsten und nach drei bis fünf Minuten unumkehrbar geschädigt», sagt Buschmann. «Deshalb gibt es Fahrzeuge mit Blaulicht.»

Verstorbener mit Hühnerhaut

Andere Organe widerstehen länger, und so ist zu erklären, dass Leichen noch über viele Stunden befremdliche Reaktionen zeigen können. Diese Effekte nutzen Rechtsmediziner, um den Todeszeitpunkt einzugrenzen. Beispielsweise bekommen frisch Verstorbene, wenn man sanft über die Haut streicht, noch eine Hühnerhaut, berichtet Bolliger aus seinem Alltag. Um aber die Reflexe zu testen, gibt es eine eher brachiale Methode: einen Schlag auf den Arm. Zieht sich daraufhin der Bizeps zusammen, liegt der eingetretene Tod nicht länger als etwa acht Stunden zurück.

Dass Leichen ihren Beschauern jedoch noch zuzwinkern können, sei so nicht der Fall, räumt der deutsche Rechtsmediziner Buschmann eine gängige Gruselgeschichte aus der Welt. Es gebe aber tatsächlich einen Test, bei dem die Expertinnen und Experten die Gesichtsmuskeln von Verstorbenen untersuchen. Dabei befestigen sie Elektroden an den Augenlidern, um mit leichten Stromstössen zu testen, ob die Muskeln noch zucken – und das Auge noch blinzeln kann.

«Mit dieser Methode können wir auch Leichen zum Lächeln bringen», beschreibt Silke Grabherr die Anwendung an den Muskeln am Mund. «Diese Reaktionen zeigen Verstorbene noch etwa acht bis zehn Stunden nach dem Tod», sagt die Rechtsmedizinerin. Sie leitet die universitäre Gerichtsmedizin der Westschweiz und des Tessins.

Panische Angst vor Scheintod

Offenbar verhält sich selbst ein toter Körper zum Teil noch – scheinbar – lebendig. Wie können Mediziner da den sicheren Tod eines Menschen feststellen? Die Angst, lebendig begraben zu werden, weil man fälschlicherweise für tot erklärt wurde, ist uralt. Vor allem im 18. Jahrhundert waren die Menschen geradezu panisch und tüftelten an belüfteten Särgen und Vorrichtungen, mit denen Scheintote durch Glocken auf ihre Misere im Grab hätten auf sich aufmerksam machen können.

«Heute ist es ausgeschlossen, dass jemand lebendig begraben wird», sagt der Zürcher Rechtsmediziner Bolliger. An einen Fall erinnert er sich zwar, wo ein alter Mann, der in einer Badewanne gefunden wurde, von einem Arzt um neun Uhr für tot erklärt worden war. «Als wir von der Rechtsmedizin mittags kamen, hatte der Mann aber noch keine Totenflecken», sagt Bolliger. Er sei also zum Zeitpunkt der Todesfeststellung noch am Leben gewesen und verstarb erst später.

Ärztinnen und Ärzte halten sich an vier sichere Kriterien, mit denen sie den Tod eines Menschen bestimmen können: Totenflecken, Leichenstarre, Fäulnis oder offensichtlich tödliche Verletzungen. Totenflecken treten etwa 20 bis 30 Minuten nachdem das Herz ausgesetzt hat auf, weil sich das Blut gemäss Schwerkraft unten im Körper ablagert. Bei der Leichenstarre, die nach zwei bis vier Stunden zu beobachten ist, versteifen die zuvor schlaffen Muskeln, weil sie nicht mehr mit Energie versorgt werden. Deshalb können sich dann die Muskelfasern nicht mehr voneinander lösen. Schliesslich beginnt der tote Körper zu verwesen, sobald die Mikroben in Magen und Darm nicht mehr vom Immunsystem in Schach gehalten werden und sich unkontrolliert vermehren.

Da die Menschen früher diese Prozesse nicht kannten, kamen sie auf makabere Erklärungen, die noch heute durch Horrorgeschichten spuken. Beispielsweise erklären sich die Fachleute den Mythos um Vampire so: «Wenn jemand einen Sarg öffnete und darin eine Leiche mit einem ungewöhnlich dicken Bauch erblickte, so dachte er vielleicht, der Verstorbene habe nach dem Tod noch gegessen», sagt Bolliger. Wenn dazu noch eine rötlich-braune Flüssigkeit aus dem Mund lief, war die entsetzliche Schlussfolgerung nicht fern, dass die letzte Mahlzeit der Leiche Blut gewesen sei.

«Heute können wir alle Zombie-Geschichten erklären»

Auch komme es vor, dass plötzlich ein Arm von dem aufgeblähten Bauch hinunterrutscht. «Wenn diese Inspektion möglichst noch im Schein einer flackernden Kerze geschah, muss das Grauen gross gewesen sein», gibt Bolliger anschaulich zu Protokoll. Damals wusste man nicht, dass sich der Bauch von Toten wegen der Fäulnisgase aufbläht und auch die Flüssigkeit im Mund von Verwesungsprozessen stammt.

«Heute können wir all diese Zombie-Geschichten erklären», fügt Silke Grabherr an und gibt eine weitere zum Besten. Nämlich, dass Verstorbene, die erstickt oder ertrunken sind, beim Umdrehen laut seufzen können. «Das kommt bei unseren Autopsien öfter mal vor», sagt die Rechtsmedizinerin. Manch einem Polizisten, der zugegen war, sei dabei schon mulmig geworden. Die Erklärung ist, dass beim Verlagern aus den Lungen der Toten Luft oder Schaum an den Stimmbändern vorbeiströmt und zu dem Ton führt.

Der Spruch «Man stirbt nur einmal» stimme eigentlich nicht, fasst Grabherr zusammen. Bei jedem Toten sterben nach und nach die Organe, Gewebe, Zellen. «Für den Menschen ist es zwar nicht optimal, dass ausgerechnet das wichtigste Organ, das Gehirn, zuerst die Funktion einstellt», sagt Grabherr. «Dafür aber spüren die Toten dann definitiv nichts mehr von den anschliessenden Sterbeprozessen.»

Dieser Artikel erschien erstmals am 30. Oktober 2021. Anlässlich des diesjährigen Halloween haben wir ihn für Sie aktualisiert.