Innovative GerichtsmedizinerinSie gibt den Toten einen Kreislauf zurück
Silke Grabherr leitet die Gerichtsmedizin der Westschweiz und hat täglich mit Gewaltopfern zu tun. Um mehr Fälle zu lösen, hat sie eine besondere Methode entwickelt, die sich weltweit durchgesetzt hat.
«Man ist für diesen Beruf gemacht, oder man ist es nicht», sagt Silke Grabherr (41) auf die Frage, wie sie die psychische Belastung in ihrem Job aushält. Schreckliche Bilder würden sich bei ihr nie im Kopf festsetzen, nur so könne man diese Arbeit machen. Die Österreicherin leitet die universitäre Gerichtsmedizin der Westschweiz und des Tessins. Zu ihrem Alltag gehört es, Gewaltopfer und Tote in teilweise schlimmem Zustand zu obduzieren.
Kürzlich hat das Westschweizer Fernsehen die Arbeit Grabherrs in der Sendung «Mise au Point» dokumentiert. Schaut man den Beitrag, fällt auf, wie häufig die Rechtsmedizinerin lacht, wie unbeschwert sie wirkt. Und man fragt sich, ob sie wohl auch abseits der Kamera so fröhlich ist. «Ohne Kamera bin ich sogar noch fröhlicher», sagt sie, dafür sei sie bekannt.
Bekannt ist sie auch in der internationalen Rechtsmedizin-Gemeinschaft. Noch als Doktorandin an der Universität Bern entwickelte sie ein neues Verfahren, das Autopsien genauer macht und nun weltweit Anwendung findet.
Mit elf Geschwistern wuchs sie in Österreich auf
Bildgebende Verfahren wie Computertomografien und Magnetresonanz-Aufnahmen kommen in der Gerichtsmedizin schon länger zum Einsatz. Trotzdem gibt es Fälle, bei denen sich die Todesursache nicht eindeutig klären lässt. Oftmals liegt des Rätsels Lösung irgendwo im weitverästelten System der Blutgefässe. Bei Lebenden lassen sich Probleme mit gespritzter Kontrastflüssigkeit sichtbar machen, bei Toten ist das nicht mehr möglich.
So kam Grabherr die Idee, man müsste den Verstorbenen einen Blutkreislauf zurückgeben. Sie erfand das Verfahren der Postmortem-CT-Angiografie, wie es in der Fachsprache heisst. Dabei spritzt man den Toten eine ölhaltige Flüssigkeit in die Adern und rekonstruiert den Kreislauf mit einer externen Pumpe. Für ihre Idee wurde sie anfangs belächelt, inzwischen haben internationale Studien nachgewiesen, wie effizient die Methode ist.
Für ihre steile Karriere hat Grabherr hart gearbeitet. Sie wuchs mit elf Geschwistern auf, hat als einziges Kind der Familie studiert und musste sich das Medizinstudium mit Zusatzjobs finanzieren. Heute ist sie Chefin von 250 Angestellten, eilt von Termin zu Termin. Im TV-Porträt sieht man sie zwischendurch noch schnell einen Kuchen backen, einen Forschungsbericht über gewalttätige Sexpraktiken liest sie auf dem Hometrainer im Büro.
«Ich weiss zwar inzwischen, wozu Menschen fähig sind», sagt sie, «trotzdem versuche ich vor allem das Positive zu sehen.»
Letztes Jahr publizierte Grabherr das Buch «La mort n’est que le début» über ihre Arbeit. Damit wollte sie auch das verfälschte Bild korrigieren, das US-Fernsehserien von ihrem Alltag zeichnen. Medizin studierte sie ursprünglich, um den Menschen zu helfen. Und die Toten, so sei ihr dann klar geworden, seien jene, für die sich niemand mehr einsetze. Als Gerichtsmedizinerin kümmert sich Grabherr allerdings nicht nur um Tote, zum Jobprofil gehört es auch, die Verletzungen überlebender Gewaltopfer zu dokumentieren.
Und sie hat noch viel mehr vor: die Versorgung von Gewaltopfern weiter verbessern und die Rechtsmedizin in Länder exportieren, wo sie technisch noch nicht auf so hohem Niveau ist. Und es gibt noch einen Traum, der nichts mit ihrem jetzigen Job zu tun hat. «Irgendwann möchte ich in der Westschweiz ein Restaurant mit österreichischen Spezialitäten aufmachen.»
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