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Wenn ein Kind im Bauch stirbt

Einsame Traurigkeit: Trotz ihrer Häufigkeit sind Fehlgeburten noch immer ein Tabu.
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Ich habe nie verstanden, warum werdende Mütter ihre Schwangerschaft meist erst nach den ersten drei unsicheren Monaten verkünden. Nicht nur, dass es mir zu blöd gewesen wäre, mein ungewohntes Glas Orangensaft beim Apéro mit «Ich detoxe!» zu erklären, sondern vor allem, weil ich am eigenen Leib erfahren habe, dass es von grosser Tragweite sein kann, bereits von Anfang an über eine Schwangerschaft zu reden.

Ich habe zweimal ein Baby verloren. Das erste Mal war schlimm, das zweite Mal noch viel schlimmer. War beim ersten Kind das Muttersein noch ein abstrakter Gedanke, war es beim zweiten schon sehr konkret. Und das Ultraschallbild am Kühlschrank erfüllte mich stets mit Freude darüber, dass alle Untersuchungen bisher gut verlaufen waren. Doch als bei der dritten Kontrolle meine sonst immer so fröhlich plaudernde Ärztin lange und konzentriert meinen Bauch abhörte, wusste ich es, bevor sie es sagte: Da waren keine Herztöne mehr.

Dieses Mal war der Embryo bereits zu gross, um ihn medikamentös abzutreiben. Ich musste ins Spital zur sogenannten «Ausschabung» – ein Wort, das definitiv verboten gehört, weil es an Hässlichkeit kaum zu überbieten ist. Ich ging schwanger in die Klinik und kam leergeräumt raus. Es war furchtbar.

Woher diese Schuldgefühle?

«Du, ich habe es nie jemandem erzählt, aber ich habe das auch erlebt», wurde mir danach immer wieder hinter vorgehaltener Hand zugeflüstert. Und ich begann zu ahnen, dass die Statistik stimmt, die besagt, dass 30 Prozent der Schwangerschaften in einem Abort enden. Aber warum hat mir zuvor nie jemand davon berichtet? Es müsste ja jede dritte Frau in meinem Umfeld schon getroffen haben? Und warum wurde mir diese Erfahrung nun auf solch eigentümlich verlegene Art und oft nur unter dem Mantel der Verschwiegenheit mitgeteilt? Aus Scham? Aus einem Gefühl heraus, es nicht gut gemacht zu haben? Weil man befürchtete, von nun an mit einem Makel behaftet zu sein? Oder liegt es an der Verletzlichkeit, die man nicht teilen will, weil sie zu intim und in unserer Gewinnergesellschaft einfach nicht gefragt ist?

Ich kenne all diese Gefühle gut. Insbesondere bei der ersten Fehlgeburt hatte ich mich für das Ableben des Würmchens unglaublich verantwortlich gefühlt. Und dies, obwohl mir sämtliche Ärzte versichert hatten, dass ich nicht schuld daran sei und es sich um eine Art natürliche Abtreibung handle, wenn im unglaublichen Zauberwerk der Zellteilung etwas schieflaufe. Und es im Gegenteil ganz und gar nicht selbstverständlich sei, wenn der Körper die Komplexität einer Schwangerschaft einfach leistet. Doch allem Wissen zum Trotz blieben bei mir Schuldgefühle, Trauer und Verstörtheit zurück.

Offene Trauer statt Grippe-Lüge

Aber gerade weil es eine solch schmerzhafte Erfahrung war, war ich unglaublich froh, dass ich bereits von Anfang an von meiner Schwangerschaft erzählt hatte. Und dies nicht nur, weil ich meine Abwesenheit im Büro auf diese Weise nicht mit einer Grippe-Lüge begründen musste. Sondern vor allem, weil die Erfahrung, einen Abort zu erleben, um ein Vielfaches einsamer gewesen wäre, hätte ich meine Schwangerschaft die ersten Monate verdeckt gehalten. Keine Hand hätte auf meinem Rücken gelegen, wenn mir im Büro die Tränen kamen. Keine Nachbarin hätte mir ungefragt einen Topf Gulaschsuppe vorbeigebracht. Und der wunderbarste Satz einer Freundin, die zu mir sagte: «Du musst nicht reden. Ich bin einfach da», wäre nie zu mir gelangt.

Denn tatsächlich gibt es in dieser Situation nicht viel zu sagen. Es gilt einzig anzunehmen, dass der eigene Einfluss auf das Leben letztlich klein ist und Sicherheit eine Illusion bleibt. Und darum bin ich überzeugt: Würden mehr von uns über all das reden und den anderen die eigene Verzweiflung und Ängste zumuten, könnten wir anders füreinander da sein, wenn ein Kind im Bauch stirbt.

Dieser Artikel wurde erstmals am 3. Oktober 2019 publiziert und am 22. Juli 2023 in dieses Redaktionssystem übertragen.