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Lage in Afghanistan
Wenn der Westen abzieht, übernehmen die Taliban schnell die Macht

Der längste Kriegseinsatz in der amerikanischen Geschichte: Ein US-Soldat in der afghanischen Provinz Kandahar.
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Die US-Geheimdienste haben eine neue Erkenntnis, die sie mit der Regierung von Präsident Joe Biden geteilt haben: Wenn keine Friedenslösung zwischen Gesandten der afghanischen Regierung von Präsident Ashraf Ghani und den Taliban erzielt wird und die ausländischen Truppen tatsächlich wie geplant am 30. April das Land verlassen, werden die Islamisten innerhalb von zwei bis drei Jahren die komplette Macht im Land übernehmen. Das schreibt die im Washingtoner Sicherheits- und Politikapparat immer gut unterrichtete «New York Times».

Diese Entwicklung, so haben es hochrangige Regierungsbeamte der Zeitung vertraulich erzählt, könnte al-Qaida «die Tür öffnen, um zu alter Stärke zurückzufinden». Das bedeutet: Dann könnte die Terrororganisation ausgerechnet wieder von Afghanistan aus operieren, wo sie einst die Anschläge vom 11. September 2001 geplant hat. Für die Einordnung hätte es indes keinen gut finanzierten Sicherheitsapparat gebraucht. In Kabul, Kundus oder Kandahar wäre jeder «politische denkende Afghane» zu einer ähnlichen Analyse gekommen, sagt ein Journalist in der afghanischen Hauptstadt, der aus Furcht vor Repressalien namentlich nicht genannt werden möchte. Wobei die Menschen am Hindukusch davon ausgehen, dass es schneller gehen könnte mit einer Machtübernahme der Taliban, wenn der Westen überhastet abzieht. Sie schauen nach 20 Jahren westlichem Einsatz auf eine Zukunft, die ihnen Angst macht. Denn keine der zentralen Machtfragen ist geklärt, sicher ist nur: Die Taliban kommen zurück, inwieweit sie gezähmt werden können, ist nicht absehbar.

Der längste Kriegseinsatz

Die Analyse der US-Geheimdienste war noch unter der Regierung von Donald Trump begonnen worden. Der inzwischen abgewählte Präsident wollte unbedingt die Truppen aus Afghanistan abziehen und den längsten Kriegseinsatz der amerikanischen Geschichte beenden. Der neue Oberbefehlshaber Biden ist da etwas zurückhaltender. Am Donnerstag betonte der Präsident, dass ihn die anstehende Frist nicht unter Druck setze, dass er sich aber auch nicht vorstellen könne, im kommenden Jahr noch Soldaten in Afghanistan stationiert zu haben. «Wir werden gehen. Die Frage ist, wann wir gehen», sagte Biden.

Der westliche Einsatz ist endlich, er orientiert sich nicht mehr an den Gegebenheiten in Afghanistan.

In diesen Sätzen liegt genau das Signal, das die Taliban nach ihren militärischen Erfolgen auch auf diplomatischer Bühne in eine komfortable Situation bringt: Der westliche Einsatz ist endlich, er orientiert sich nicht mehr an den Gegebenheiten in Afghanistan. Im Land selbst haben die Taliban in den vergangenen Jahren ihre Macht in vielen Regionen ausbauen können und die westlichen Streitkräfte in ein militärisches Dauerpatt gezwungen, während die US-Regierungen aus innenpolitischen Erwägungen heraus ihr Engagement immer weiter zurückgefahren haben.

«Wir werden gehen. Die Frage ist, wann wir gehen»: Joe Biden über den Einsatz der US-Truppen in Afghanistan.

Die diplomatischen Gespräche, die in Doha für eine Friedenslösung in Afghanistan laufen, haben die Taliban ganz nach ihren Bedingungen gestalten können: Zunächst hatten sie den Unterhändlern von Trump Anfang vergangenen Jahres den Abzugstermin Ende April 2021 abgerungen und darauf gepocht, dass die Regierung von Präsident Ghani zunächst nicht mit am Tisch sitzen durfte. Nun sprechen sie zwar seit September in Doha mit einer afghanischen Delegation, aber sie verweisen dabei immer wieder auf ihre bereits bestehende Vereinbarung mit den USA. Ein klarer Vorteil für die Islamisten.

Taliban drohen mit Angriffen

Entsprechend selbstbewusst reagierten die Taliban auf die Ankündigung Bidens, dass das Abzugsdatum 30. April vielleicht doch noch verschoben werden müsste. Wenn die USA sich nicht an den Termin hielten, werde das als «Verletzung des Abkommens» gewertet, liess ein Sprecher der Taliban kühl wissen. Dann werde auch wieder der «bewaffnete Kampf gegen ausländische Truppen aufgenommen». Seit der Vereinbarung mit den USA hatten die Taliban keine US-Soldaten mehr angegriffen, sondern sich ausschliesslich auf Attacken gegen afghanische Streitkräfte und Einrichtungen des Staates konzentriert.

So befinden sich die USA auch diplomatisch in der Defensive und suchen öffentlich nach Erklärungen, um die Taliban zu besänftigen: «Man kann nicht in sechs Wochen mehr als 10’000 Soldaten irgendwie abziehen», sagte der Vorsitzende des Streitkräfteausschusses des US-Repräsentantenhauses, Adam Smith. Die Regierung Biden solle nun mit den Taliban darüber verhandeln, dass die US-geführte Truppe «noch ein wenig länger» bleiben dürfe.

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