Legendärer Moment in WengenAls ein Österreicher nackt das Lauberhorn runterfuhr
Vor 18 Jahren sorgt Rainer Schönfelder mit seinem füdliblutten Wahnsinn weltweit für Schlagzeilen. Er wird bestraft – und nervt viele.
- Rainer Schönfelder fuhr nackt am Lauberhorn, um eine Wettschuld zu begleichen.
- Ein Fotograf hielt die Aktion fest, das Bild verbreitete sich weltweit.
- Zur Strafe musste Schönfelder für einen wohltätigen Zweck arbeiten.
Es geht ihm nicht gut. Die Schmerzen sind so gross, dass Rainer Schönfelder bereits seine Sachen gepackt hat und aus Wengen abreisen will. Er spürt die Nachwirkungen eines schweren Trainingssturzes, vor allem die Folgen des erlittenen Schleudertraumas. Der österreichische Slalomspezialist hat verschiedene Therapien versucht, doch alles ist nur noch schlimmer geworden. Der bunteste Hund im Skizirkus und selbst ernannte Gute-Laune-Bär ist genervt und angefressen.
Am Dienstagnachmittag also schaut er sich die Zugverbindungen runter nach Lauterbrunnen an, doch der Physiotherapeut will ihn zum Bleiben überreden. Er hat noch ein Ass im Ärmel und schlägt als Behandlungsform eine spezielle Manualtechnik vor. Schönfelder, der noch drei Jahre zuvor der beste Stangenkünstler der Welt war, hält nichts von Hokuspokus und glaubt erst recht nicht mehr an eine Wunderheilung. Aber er willigt ein und sagt: «Wenn ich morgen fast nichts mehr spüre, fahre ich splitternackt den Berg runter.»
Die Fahrt bleibt nicht unbemerkt
Nach einer erstaunlich ruhigen Nacht steht Schönfelder auf – und wähnt sich noch immer im Traum. Tatsächlich hat er kaum mehr Schmerzen, beim Frühstück entscheidet er: ein Mann, ein Wort. Will heissen: Er will das Versprechen einlösen. Was gar nicht so einfach ist.
Das Abfahrtstraining, das der vierfache Medaillengewinner an Grossanlässen als Vorbereitung für die Super-Kombination bestreiten möchte, fällt kurzerhand aus.
Schönfelder muss improvisieren, er wartet einige Minuten, bis sich die anderen Athleten auf den Weg ins Hotel gemacht haben. Dann zieht er sich aus – und saust nackt neben der gesperrten Piste das Lauberhorn runter. Wobei er dem widerspricht: «Ich hatte ja einen Helm auf», sagt der mittlerweile 47-Jährige. Zudem trägt er Brille, Ski- und Handschuhe. Dass es an jenem 10. Januar 14 Grad warm ist, kommt ihm beim – nun ja – runterwedeln, gewiss nicht ungelegen.
Schönfelders Fahrt im Adamskostüm bleibt nicht unbemerkt. Ein Fotograf der Sportbildagentur Gepa will den trainingsfreien Tag für Landschaftsaufnahmen nutzen; er steht am Pistenrand, als ihn ein Soldat mit Schneeschaufel in der Hand darauf hinweist, er habe via Funk vernommen, dass bald einer in FKK-Manier vorbeifahre. Sofort richtet der Fotograf die Kamera neu aus – und wird mit dem Bild seines Lebens belohnt.
In Japan und Mexiko wird darüber berichtet
Seine Aufnahmen gehen um die Welt, bei Gepa heisst es später, nur die Unfallbilder von Hermann Maiers Sturz in der Olympia-Abfahrt 1998 in Nagano hätten eine ähnliche Dynamik entwickelt. Sogar auf Zypern, in Mexiko, Tunesien, Australien und Japan erscheint das Bild von Schönfelders nacktem Hintern in Zeitungen, auch CNN und die «New York Times» berichten.
Die Aktion passt zum extrovertierten Kärntner, der es als seinen Auftrag versteht, die Öffentlichkeit zu unterhalten. Eine Zeit lang fährt er mit lackierten Fingernägeln, er tritt in vielen Fernsehshows und sogar in Daily-Soaps auf. Er singt auch, schafft es mit zwei Singles gar in die Top 20 der österreichischen Hitparade. Die Glattheit und Gleichheit im österreichischen Skiverband bezeichnet er gern als «Systemfehler».
Und so sind sich viele sicher, hinter der Aktion im Berner Oberland stehe ein PR-Gag, was Schönfelder aber verneint. Er habe den Fotografen nicht gesehen, sagt er nur. Man mag ihm glauben. Oder auch nicht. Jedenfalls nerven sich in den Tagen danach einige Konkurrenten darüber, dass in der Zeit der Abfahrtsklassiker von Wengen und Kitzbühel primär über den füdliblutten Wahnsinn eines Slalomfahrers gesprochen wird.
Vom Skiverband wird Schönfelder gebüsst, er muss sich einen Tag lang für einen wohltätigen Zweck zur Verfügung stellen. Und zwar angezogen, dieser Vermerk wird in der Mitteilung tatsächlich beigefügt. Schönfelder nimmts gelassen, von der Milde der Verbandsherren zeigt er sich angenehm überrascht.
Im Kampf gegen den Klimawandel
Die meisten Reaktionen fallen ohnehin positiv aus. Schönfelder kann sich vor Angeboten für den Strafeinsatz kaum wehren, bei seinem Management bricht kurzfristig die Website zusammen. Er erhält unzählige Nachrichten und sagt, die Leute hätten ihn darin bestärkt, Gefühle zu zeigen. «Seiner Lebensfreude Ausdruck zu verleihen, ist ja auch nichts Schlimmes.»
Vier Tage später wird Schönfelder in der Super-Kombination 17., der Slalom aber wird abgesagt. Nach vielen Verletzungen, vor allem wegen einer gravierenden Nervenschädigung im Unterschenkel, hört der einstige Adelboden-Sieger 2013 auf.
Er kauft Hotels, moderiert Veranstaltungen, hält Motivationsseminare, gewinnt bei «Dancing Stars» und will trotz einiger Rückschläge so gut gewirtschaftet haben, dass er ausgesorgt hat. Auf die Geschichte in Wengen ist er stolz. Schliesslich habe er etwas Gutes getan. Womit er irgendwie recht hat: Das Foto von seiner Nacktfahrt wird später im Kampf gegen die Klimaerwärmung eingesetzt.
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