Mamablog: Politische Gesinnung von Eltern«Welches Links meinst du, Mama? Insta-Links?»
Das Herz unserer Autorin schlägt nach wie vor links. Doch was heisst das? Gehört sie gar zur Lifestyle-Linken, wie es der Sohn ihr unterstellt?
«Wer jung und nicht links ist, hat kein Herz. Wer alt und links ist, hat keinen Verstand.» Dieses Bonmot wurde mir als Teeniegirl jeweils bei politischen Diskussionen im Freundeskreis meiner Eltern entgegengeschmettert. Ein argumentativer Klapps an den Hinterkopf, der eigentlich nichts anderes ausdrücken sollte als: «Schon gut, Meitli, du weisst es halt einfach noch nicht besser!» Es gibt noch zig weitere Versionen davon: «Wer jung und nicht links ist, ist ein Idiot. Wer alt ist und links, ein Vollidiot», um ein weiteres Beispiel zu nennen.
Ich, die Vollidiotin
Um es kurz zu machen: Ich bin über die Jahre tatsächlich zur Vollidiotin mutiert, weil ich es mit Herz und Verstand nach wie vor als sinnvoll erachte, für soziale Gerechtigkeit einzustehen. Für Chancengleichheit im Bildungssystem etwa.
Und so wie ich vor Jahren als Studentin gegen die Erhöhung von Studiengebühren auf die Strasse ging, so empöre ich mich heute darüber, dass teure Vorbereitungskurse für viele Kinder in meiner Stadt zum Schlüssel fürs Gymnasium geworden sind. Und wie ich es nicht einsehen mag, warum eine höhere Bildung vorwiegend Menschen mit dicken Portemonnaies vorbehalten sein soll, genauso wenig will ich akzeptieren, dass Menschen mit kleinem Budget kaum bezahlbaren Wohnraum finden – wovon in meiner Stadt insbesondere auch viele Familien und getrennt lebende Eltern betroffen sind.
Und selbstverständlich ist es komplett unverständlich und bar jeder Vernunft, warum Menschen mit weiblichem Geschlecht für die gleiche Arbeit nicht den gleichen Lohn erhalten sollten wie ihre männlichen Kollegen. Es gibt also gute Gründe, politisch links zu sein – selbst mit Mitte vierzig.
«Hauptsache man war da»
Auch Strassenproteste erachte ich nach wie vor als sinnvolles und durchaus legitimes Instrument, um auf soziale Missstände und politische Forderungen aufmerksam zu machen – auch wenn ich dies nur noch äusserst selten und bei weitem nicht mit der gleichen Inbrunst tue, wie als Jugendliche oder in meinen frühen Zwanzigern. So beschloss ich denn auch im vergangenen Juni, nach dem brutalen Mord am Afroamerikaner George Floyd, gegen Rassismus und Polizeigewalt auf die Strasse zu gehen.
«Du kommst mit, oder?», fragte ich meinen Ältesten kurz vor der Demo.
«Nope», entgegnete er knapp, womit ich so gar nicht gerechnet hatte.
«Echt jetzt? – Da blutet mein linkes Herz.»
«Hä, welches Links meinst du, Mama? Insta-Links?»
Und obwohl ich genau wusste, was gemeint war – früher gab es dafür den Begriff «Cüpli-Sozialist» – wollte ich es genauer verstehen. Seine Botschaft war deutlich: «Solange Menschen, darunter auch Freunde von mir, bei solchen Demos mitlaufen, im Alltag aber aus Angst die Strassenseite wechseln, wenn ihnen dunkelhäutige Jugendliche entgegenkommen – was soll das bitteschön bringen? Aber schon klar: Hauptsache man war da und konnte sein ‹Black Lives Matter›-Plakat auf Insta posten!»
Wasser predigen und Wein trinken
Es waren also nicht unbedingt das Skateboard oder das fantastische Wetter, die meinen Sohn vom Demonstrieren abgehalten hatten – es war eher die Heuchelei. Oder: «Wasser predigen und Wein trinken». Ein Klassiker, der auch bei Abendessen in unseren linken Kreisen immer wieder für erhitzte Gemüter sorgt, wenn sich Eltern nach einer misslungenen Gymiprüfung zum Beispiel plötzlich dafür entscheiden, ihre zart besaiteten Sprösslinge nun doch lieber an einer Privatschule anzumelden. Weil das Niveau in der Quartier-Sek einfach zu tief und der Ausländeranteil zu hoch sind.
Auch bei unseren nördlichen Nachbarn ist das Thema übrigens gerade hochaktuell. Befeuert hat die Diskussion die bekannte Linksaussenpolitikerin Sarah Wagenknecht mit ihrem neuen Buch «Die Selbstgerechten». Wagenknecht klagt darin an, dass die sogenannte Lifestyle-Linke dazu beitrage, die Gesellschaft zu spalten. Weil da nämlich gerade ein recht merkwürdiges Verständnis von Links-Sein dominant sei. Eines, das sich nur noch darin erschöpfe, sich anzumassen, was andere zu reden, zu denken, zu schreiben und zu essen hätten.
Linke sollen sich endlich wieder um Anliegen von normalen Menschen kümmern, so Wagenknecht, und sich gegen reale Diskriminierung und tatsächliche Ungerechtigkeiten einsetzen, anstatt mit Gendersternchen oder Doppelpunkten Probleme anzuprangern, die sie selber geschaffen hätten, oder die sich mit Hashtags allein so schnell nicht lösen lassen. Aus diesem Blickwinkel betrachtet bekommt der Spruch «Wer alt und links ist, hat keinen Verstand» eine ganz neue Bedeutung.
Wie sehen Sie das, liebe Leserschaft? Ich bin gespannt auf Ihre Meinungen.
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