Abtrünnige von XDieses Getue ist so nervig wie peinlich
Nach dem Triumph von Trump und Musk verlassen «The Guardian» & Co. die Plattform X – mit viel Getöse.
Dramatische Abgänge sind sonst eher etwas fürs Opernfach. Aber wenn es um Elon Musks Plattform X geht, kann es nicht emotional genug sein. Gerade eben hat die britische Zeitung «The Guardian» mit grosser Geste verkündet, sich von X zurückzuziehen. Die Plattform sei toxisch und ihr Besitzer Elon Musk missbrauche sie, um Einfluss zu gewinnen, schrieb die Redaktion.
Der «Guardian» kommt mit dieser Einsicht reichlich spät. Grossfirmen wie Disney, IBM und Apple reduzierten bereits nach der Übernahme durch Musk ihre Aktivität auf der Plattform oder verliessen sie. Das Schweizer Fernsehen SRF machte diesen Schritt im Mai dieses Jahres. Und SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider gab Ende Oktober bekannt, ihr X-Konto aufgelöst zu haben. Und mehr oder weniger bedeutende Politiker und Privatpersonen machten aus ihrem heroischen Abgang von X nach Musks Übernahme fast schon ein eigenes Genre. «Ihr findet mich drüben bei Bluesky» oder «Mastodon», hiess es dann jeweils.
Protest mit kurzer Halbwertszeit
Dieses Getue ist so nervig wie peinlich. Heult doch leiser, möchte man sagen. Schliesslich kann man seinen Account auch ohne weiteres Aufheben sanft entschlafen lassen. Doch dann versagt man sich die Gelegenheit, den Leuten ein letztes Mal zu zeigen, wie wichtig und tugendhaft man ist. Auch wenn das den übrigen Twitter-Usern am Allerwertesten vorbeigeht.
Und nicht selten ist der grossartige Entschluss nicht von langer Dauer. Viele grosse Firmen überlegen sich nach Trumps Wahlsieg die Rückkehr zu X. Von den heroisch abgegangenen Privatpersonen schlichen sich nicht wenige still wieder zurück, manchmal unter falschem Namen, damit es niemand merkt. Andere tun es öffentlich wie Robert Habeck, der gleich nach dem grossen Koalitionsbruch zurückkehrte. Oder die deutsche SPD. «Nur wer seine Stimme einbringt, kann sich auch Gehör verschaffen», heisst es da. Wir hören, möchte man da antworten. Aber nächstes Mal überlegt ihr euch das lieber vorher.
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