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Wachsende Kritik an Techkonzernen
Kein Handy bis 14, fordert Star-Psychologe: Nun will die Politik Insta und Tiktok härter angehen

Ein Sprecher steht vor einem Diagramm, das den Rückgang der täglichen Durchschnittszeit mit Freunden von 2003 bis 2021 zeigt. Die Linien im Diagramm repräsentieren verschiedene Altersgruppen. Das Foto wurde bei der ’Collapsing Youth?’ Sitzung auf dem Weltwirtschaftsforum 2025 in Davos aufgenommen.
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In Kürze:
  • Social-Media-Konsum beeinträchtige die psychische Gesundheit von Kindern stark, sagt der Psychologe Jonathan Haidt.
  • Haidt fordert Smartphone- und Social-Media-Verbote für Kinder und Schulen.
  • In Europa wächst das Unbehagen gegenüber den Tech-Giganten.

«Was haben Sie gemacht, als Sie ein Kind waren?» Die Bitte, sich an die eigene Jugend zu erinnern, mit der sich Professor Jonathan Haidt an sein Publikum richtet, ist ungewöhnlich für Davoser Verhältnisse. Beim Weltwirtschaftsforum geht es oft um deutlich weniger konkrete Themen.

Doch weil die meisten Teilnehmer neben dem Leben in Anzug und Krawatte Kinder haben, kennen sie den Familienstress wegen Smartphones, Social Media und Videospielen nur zu gut. Das erklärt auch das grosse Interesse am Vortrag des US-Psychologen. 

«Sassen Sie damals auch zehn bis zwölf Stunden vor dem Bildschirm, wie es Kinder heute tun?», insistiert Haidt mit Blick ins Publikum, um die Antwort gleich selber zu geben: «Nein, Sie spielten mit anderen Kindern draussen in der Natur!»

Auf der Bühne werden steil absackende Kurven eingeblendet zum seelischen Wohlbefinden von Jugendlichen und zu den globalen Pisa-Ergebnissen. Haidt steht davor und deutet immer wieder auf die Jahreszahl 2012. Warum brechen ausgerechnet hier die Werte ein? Das sei «eines der grössten Rätsel in der Medizin». Der Professor glaubt, eine Antwort gefunden zu haben. Er hat sie in seinem Bestseller «Generation Angst» veröffentlicht.

Kurz gesagt ist es folgende: Angstzustände, Einsamkeit und Depressionen seien nicht wegen der Pandemie stark angestiegen, sondern weil Kinder zu früh Smartphones verwenden. Denn im Jahr 2012 sei auch eine neue Ära sichtbar geworden: das Zeitalter der Smartphones und diverser Social-Media-Apps. 

Instagram-Reels und Youtube-Shorts als «Gift fürs Hirn»

Tatsächlich begann der fulminante Aufstieg von Social Media in den 2000er-Jahren mit der Gründung von Facebook. Inzwischen nutzen fünf Milliarden Menschen soziale Medien – 60 Prozent der Weltbevölkerung. In der Schweiz ist Instagram am meisten verbreitet, und neben Linkedin wächst vor allem Tiktok stark. 

Dabei sind gemäss Haidt Videos mit längeren Geschichten weniger das Problem. Anders hingegen kurze Tiktok- und Snapchat-Clips, Instagram-Reels und Youtube-Shorts. Sie seien «Gift fürs Hirn». Der Inhalt sei oft bizarr und entwürdigend. Es sei «verrückt, dass wir Kinder dieses ekelhafte Zeug ansehen lassen».

Hinzu kommt, dass die Apps so vereinnahmend sind, dass Kinder kaum davon wegzukriegen sind. Der Grund sind ausgeklügelte Algorithmen der Techkonzerne – entwickelt von den besten Verhaltensökonomen, Mathematikerinnen und Psychologen dieser Welt. Sie verfolgen nur ein Ziel: die Nutzer möglichst lange am Bildschirm zu halten. Andernfalls verlieren sie «Eyeballs» – also Kontakte, die sie Werbefirmen verkaufen können. 

Das führt dazu, dass Kindern, die stundenlang am Smartphone hängen, fast keine Zeit bleibt für Bewegung, Freunde, Erfahrungen in der Natur, das Lesen von Büchern oder ein Hobby, sagt Haidt.

Der Preis, den die Gesellschaft für Social Media bezahle, sei, dass den Kindern weltweit ihre Kindheit gestohlen werde und ihre schulische Leistungsfähigkeit sinke.

Alphabet und Meta unter den wertvollsten Firmen der Welt

Gleichzeitig gehören Alphabet, Microsoft, Apple und Meta zu den zehn wertvollsten Unternehmen der Welt – und sie machen Milliardengewinne.

  • Meta, die Mutterfirma von Facebook und Instagram, verdient laut den neuesten Zahlen jährlich 65 Milliarden Dollar.

  • Bei Alphabet, der Mutterfirma von Google und Youtube, liegt der Gewinn sogar bei 112 Milliarden Dollar.

  • Tiktok-Besitzerin Bytedance steigerte ihn auf 40 Milliarden Dollar und übertraf sogar die chinesischen Internetriesen Tencent und Alibaba.

Wirtschaftlich weniger erfolgreich ist einzig X. Die Social-Media-Plattform hat nach der Übernahme durch Tesla-Gründer Elon Musk nicht nur Nutzer, sondern auch Werbekunden verloren. Doch für den reichsten Mann der Welt und «first Buddy» von US-Präsident Trump dürfte das sekundär sein. Gerüchte, wonach er zusätzlich Teile von Tiktok übernehmen könnte, wecken die Befürchtung, er könnte Narrative noch stärker nach seinen Gunsten beeinflussen. 

Social Media auf Kosten der Demokratie

Durch diese Entwicklungen wächst in Europa das Unbehagen gegenüber den Techgiganten weiter. Die EU verfolgt mit Milliardenstrafen gegen Apple, Meta und Google bereits eine harte Linie. Deswegen sind die Techkonzerne nicht besonders gut auf die EU zu sprechen. Sie erhoffen sich von der neuen US-Regierung, dass sie Druck auf die EU ausübt, damit die Regeln wieder gelockert werden. 

Nun drohen sich aber die Fronten weiter zu verhärten. Das zeigte sich in Davos. In seiner WEF-Rede forderte der spanische Premierminister Pedro Sánchez nämlich das Gegenteil: eine noch härtere Gangart. «Die Technologie, von der uns vor zwanzig Jahren versprochen wurde, dass sie uns mehr Transparenz und mehr Demokratie ermöglicht, ist zum Werkzeug unserer eigenen Unterdrückung geworden», sagte er.

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Anfangs hätten wir das «nicht realisiert», sondern die Vorteile gesehen und uns bereitwillig Facebook, Instagram & Co. angeschlossen. Doch jetzt zeige sich, dass sie in einer Konzentration von Macht und Reichtum in den Händen weniger münden. «Auf Kosten unserer Demokratien.»

Der sozialdemokratische Politiker wirft den Techmogulen vor, ihre Websites so zu gestalten, dass die Gesellschaft einfach zu manipulieren sei. «So etwas ist sicher kein Zufall, sondern klar der Grund, wie Social Media unsere Demokratien erodieren lässt – durch die Verbreitung von Fehlinformationen.»

Techbosse müssten Verantwortung für Inhalte übernehmen

Jeden Tag konsumierten wir «Millionen von Fake News». Diese würden deutlich häufiger geteilt als korrekte Informationen, so Sánchez. Die Tatsache, dass etwa Mark Zuckerberg entschieden hat, das Fakten-Checking nicht auf-, sondern abzubauen, rühre daher, dass «Fake News gut sind fürs Geschäft». 

Sánchez kündigte an, beim nächsten Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel schärfere Gesetze vorzuschlagen. Bots und Fake-Profile müssten bekämpft werden, indem von den Nutzern verlangt wird, sich digital zu identifizieren.

Der Besitzer eines kleinen Restaurants müsse zur Verantwortung gezogen werden, wenn sein Essen die Kunden vergifte, sagte er. «Social-Media-Tycoons sollten zur Verantwortung gezogen werden, wenn ihre Algorithmen unsere Gesellschaften vergiften.»

Ähnliche Vorschläge machte bereits Emmanuel Macron. Der französische Präsident hatte vor einem Jahr bei einer Rede dazu aufgerufen, den Einfluss von Tech- und Social-Media-Konzernen zu regulieren, um demokratische Werte und den Schutz von Jugendlichen zu gewährleisten.

Handyverbot an Schulen hat positive Auswirkungen

Am Jahrestreffen des WEF in Davos beendet Jonathan Haidt seinen Vortrag mit drei Forderungen: 

  1. ein Smartphone-Verbot für unter 14-Jährige,

  2. Smartphone-freie Schulen, 

  3. ein Social-Media-Verbot für unter 16-Jährige.

Diese Regeln individuell durchzusetzen, sei für Eltern sehr schwierig, denn sie wollen ihre Kinder nicht ausschliessen. Weil jedoch alle mit den gleichen Problemen kämpften, so Haidt, sei ein gemeinsames Eingreifen erforderlich. «Gleiche Regeln helfen allen Beteiligten.»

Ob soziale Medien und Handys tatsächlich so schlimm sind, ist umstritten. Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen hänge von viel mehr Faktoren und deren Zusammenspiel ab, Haidts wissenschaftliche Begründung sei mangelhaft, heisst es etwa im Fachblatt «Professional Psychology: Research and Practice». Die weltweite Debatte zeigt jedoch, dass es ihm zumindest gelungen ist, ein stark verbreitetes Unbehagen in Worte zu fassen. 

Und nicht zuletzt durch sein Buch ist inzwischen in Australien und Indonesien die Social-Media-Nutzung für Kinder verboten. Auch England, Italien, Deutschland und die Niederlande schränken die Handynutzung an Schulen ein. In der Schweiz gibt es ebenfalls Schulen, die den Gebrauch einschränken.

Handyfreie Schule macht Kindern Freude

Vor der WEF-Community schildert Jonathan Haidt Beobachtungen aus den Schulen im US-Bundesstaat Arkansas, wo seit über einem Jahr alle Handys auch in den Pausen und bis zum Schulschluss im Rucksack bleiben müssen.

Es habe eine Anpassungszeit gebraucht, doch inzwischen sei das Projekt ein «voller Erfolg». An den Schulen gebe es weniger verbale und körperliche Aggressionen, und die Schülerinnen und Schüler würden sich deutlich besser am Unterricht beteiligen. 

Die Kinder seien sogar froh. «Sie sagen, es mache Spass, mit den anderen zu reden.»

Die Lehrerschaft freue sich, so Haidt, über die deutlich höhere Beteiligung am Unterricht. Es würden nicht mehr immer alle auf die Bildschirme starren. Man höre «endlich wieder Kinderlachen in den Schulgängen».