Nach Vereinbarung vom runden TischDas Wallis will die Wasserkraft weiter ausbauen – samt neuer Staumauern
2022 einigten sich Politik, Umweltverbände und Energieunternehmen auf fünfzehn Wasserkraftprojekte, die ausgebaut werden sollen. Doch nun treibt das Wallis bereits neun weitere Projekte voran.

Es war die grosse Einigung zwischen Umweltverbänden und Energiewirtschaft. Das Papier, das festlegte, welche Wasserkraftprojekte in der Schweiz gebaut werden sollen, trägt die Unterschriften von der früheren Energieministerin Simonetta Sommaruga und Vertretern der Wasserkraftproduzenten und der Umweltverbände. Auch Albert Rösti, damals noch als Vertreter des Wasserwirtschaftsverbands, unterzeichnete im Dezember 2022 das Dokument: Von zuerst 33 Vorschlägen blieben fünfzehn Projekte übrig. Ein weiteres wurde später bei der Ausarbeitung des neuen Stromgesetzes hinzugefügt. Diese Projekte seien für die Energiegewinnung am vielversprechendsten und könnten gleichzeitig mit möglichst geringen Auswirkungen auf Biodiversität und Landschaft umgesetzt werden. So lautete der Kompromiss.
Doch nun will der Kanton Wallis neun zusätzliche Projekte vorantreiben. Darunter das Projekt «Oberaletsch gross». Mit 765 Gigawattstunden Jahresproduktion würde es alle bisher geplanten Projekte übertreffen.
Dies sagte der Walliser Staatsrat Roberto Schmidt am Donnerstag bei einem Besuch von Bundesrat Rösti in Hérémence, wie der «Walliser Bote» berichtete. Der Kanton wolle zur Unterstützung der Energiewende neun weitere Wasserkraftprojekte in den kantonalen Richtplan aufnehmen. Das Vorhaben gehe auf einen Beschluss des Walliser Staatsrats zurück, so Schmidt. Wann dieser gefasst wurde, sagt er auch auf Nachfrage nicht. Die Kantonsregierung möchte die Produktion von Winterstrom durch den Bau weiterer Stauseen forcieren. Neben Oberaletsch gehören die Projekte Burgsee Fieschergletscher, Arolla , Dix+ und Gletsch Grimselsee zu den grössten Projekten, die nun neu in den Richtplan aufgenommen werden sollen.
Auch Schmidt hat die Vereinbarung unterzeichnet
Die Vereinbarung vom runden Tisch hatte auch Schmidt unterzeichnet. Nun betont er auf Nachfrage, dass diese künftige Projekte nie ausgeschlossen habe. «Es steht allen Kantonen frei, weitere Projekte zu prüfen und zu planen», so Schmidt, der auch Präsident der Konferenz der kantonalen Energiedirektoren ist.
Das Vorgehen sei mit dem Bund abgesprochen, sagte Schmidt im Rahmen einer Besichtigung der Grande-Dixence-Staumauer. Dort heisst es aber auf Anfrage das Gegenteil: «Das Vorgehen wurde nicht mit dem Bundesamt für Energie abgesprochen.» Eine Sprecherin des Bundesamts sagt: «Wir wurden lediglich informiert, dass der Walliser Staatsrat nun neun weitere Speicherprojekte im Richtplan festsetzen will.»
Bundesrat Rösti hat «Verständnis, wenn ein Kanton seine Projekte vorantreiben will», wie er in einem Interview mit «24 Heures» sagte. «Es wurde nie gesagt, dass die Liste nicht später erweitert werden kann.» Aber: Priorität hätten die am runden Tisch ausgehandelten Projekte.
Umweltverbände sind «sehr erstaunt»
Die Umweltverbände WWF und Pro Natura, die den runden Tisch mitgetragen haben, widersprechen vehement. «Die Umweltschutzorganisationen haben trotz grosser Abstriche für die Natur Hand für einen Kompromiss zwischen Schutz und Nutzen geboten», sagt Nathalie Rutz von Pro Natura. «Wir sind sehr erstaunt, dass neun weitere Projekte weiterverfolgt werden sollen, insbesondere auch solche, die am runden Tisch nicht als prioritär empfohlen worden sind.»
Bei Pro Natura wie auch beim WWF heisst es, der Kanton solle sich auf die vereinbarten Grossprojekte konzentrieren, statt noch zusätzlich weitere Projekte in die Richtplanung aufzunehmen. Das Projekt Oberaletsch ist laut Umweltschützern besonders problematisch, da es inmitten des Unesco-Weltnaturguts liegt.
Die Überprüfung der neun weiteren Projekte werde längere Zeit in Anspruch nehmen, hält Staatsrat Schmidt fest. Besonders im Fall von «Oberaletsch gross», da dieses Vorhaben erst nach dem Rückgang der Gletscher realisiert werden könne. Im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung sei ein spezielles Kapitel zu «Oberaletsch gross» geplant, so Schmidt. Der Kanton wolle auch das Unesco-Welterbe-Komitee um eine Stellungnahme bitten. «Erst nach Vorliegen dieser weiterführenden Ergebnisse und der Stellungnahme kann entschieden werden, ob ein Projekt mit der Welterbe-Charta vereinbar ist», so Schmidt.
Nach dem runden Tisch war in der Aletsch-Region nur ein kleineres Projekt geplant – mit einer unterirdischen Wasserfassung, ohne Staumauer. Dieses kleinere Projekt soll rund 54 Gigawattstunden Strom liefern. Das Energieunternehmen Alpiq ist dort federführend. Auf Anfrage sagt eine Sprecherin: «Wir konzentrieren uns auf die Weiterentwicklung von ‹Oberaletsch klein›, aber dieses soll ein allfälliges ‹Oberaletsch gross› nicht verhindern.» Noch im Juni hatte der Schweiz-Chef von Alpiq, Amédée Murisier, gesagt, es sei nicht vertretbar, einen neuen Staudamm im Aletschgebiet zu bauen. Bereits im Frühling wurden Pläne bekannt, wonach bürgerliche Politiker die Liste der Wasserkraftprojekte erweitern wollen. Gegen eines der Projekte vom runden Tisch ist eine Beschwerde der Gewässerschutzorganisation Aqua Viva hängig. Weil wohl nicht alle der vereinbarten sechzehn Projekte realisiert werden können, erwägt man beim Bund, weitere zu prüfen, wie Bundesrat Rösti im Wallis sagte.
Der Bund hat so oder so das letzte Wort: Der angepasste Walliser Richtplan muss noch zur Prüfung vorgelegt werden, heisst es beim Bundesamt für Energie. Der Bundesrat werde anschliessend entscheiden, ob die Projekte im Richtplan festgesetzt werden könnten.
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