In eigener SacheWas uns vom «Blick» unterscheidet
Ein Mitarbeiter von Bundesrat Berset bediente den Ringier-Verlag mit Interna zur Corona-Politik. Wie der «Blick» wussten auch die Tamedia-Zeitungen oft vorzeitig Bescheid. Doch es gibt wichtige Differenzen.
Die Nachricht sorgt weitum für Aufsehen: Das Umfeld von Gesundheitsminister Alain Berset (SP) stand während der Corona-Pandemie mit dem Verlagshaus Ringier in viel engerem Kontakt als bisher bekannt. Über 180 Kommunikationsvorgänge zwischen Bersets damaligem Mitarbeiter Peter Lauener und Ringier-Chef Marc Walder sind dokumentiert. (Lesen Sie zum Thema: Ringier bezeichnet Medienberichte als «falsch»)
Lauener hat Walder wiederholt mit vertraulichen Vorabinformationen zur Corona-Politik versorgt. Dies geht aus Laueners E-Mails hervor, die ein Staatsanwalt ausgewertet hat und deren Inhalt am Wochenende publik wurde. Berset sieht sich nun mit dem Vorwurf konfrontiert, die Unterstützung der Boulevardpresse quasi erkauft zu haben. Auffällig ist in der Tat, dass der von Ringier herausgegebene «Blick» Bersets Corona-Entscheide sehr wohlwollend begleitete. Und oft vermochte der «Blick» über Bersets Pläne zu berichten, noch bevor diese offiziell kommuniziert wurden. (Mehr dazu: Soll Berset zurücktreten? Das sagen die Parteichefs)
Auch unsere Redaktion wusste oft im Voraus Bescheid. Trotzdem ist der Fall Ringier anders gelagert.
In der Kritik stehen jetzt aber nicht nur Berset und der «Blick». Kritisiert wird auch das Medium, das Sie gerade lesen. In vielen Kommentaren in den sozialen Medien klingt es ähnlich: Auch die Tamedia-Zeitungen hätten Bersets Corona-Pläne immer wieder frühzeitig öffentlich gemacht; mithin sei es nicht angebracht, auf Ringier und Berset zu fokussieren.
Es trifft zu: Wie der «Blick» wusste auch unsere Redaktion oft im Voraus Bescheid. Trotzdem ist der Fall Ringier anders gelagert.
Dazu muss man wissen: Von 2020 bis 2022 waren phasenweise in fast jeder Bundesratssitzung Corona-Massnahmen traktandiert. Die Sitzungen und die darin besprochenen Geschäfte sind grundsätzlich vertraulich. In seltenen Fällen sickert aber dennoch etwas an die Öffentlichkeit durch. Im Fall der Corona-Massnahmen haben nun sehr viele Medien jeweils versucht, die Stossrichtung der Pläne im Vorfeld zu ermitteln – auch die Tamedia-Zeitungen. Manchmal, längst nicht immer, hatten wir Erfolg.
Über einen privilegierten Kanal zu Bersets Departement haben die Tamedia-Zeitungen nicht verfügt.
Ein Grund für unsere Recherchen war das enorme Interesse unserer Leserschaft. Ein anderer Grund war der Informationsauftrag, wie wir ihn verstehen. Gerade eine Extremsituation, in der die Freiheit des Einzelnen stark beschnitten wird, verlangt nach «lästigen» Medien: Es kann nicht ihre Aufgabe sein, die Regierenden möglichst ungestört schalten, walten und nach eigenem Gutdünken kommunizieren zu lassen.
Dieses Argument kann der «Blick» ebenfalls für sich geltend machen. Dass allerdings sein CEO von Bersets Umfeld systematisch und kontinuierlich mit Interna dokumentiert wurde, ist problematisch – weil es den Anschein einer einseitigen Abhängigkeit erweckt. Zwar stellt man beim «Blick» in Abrede, dass Marc Walder sein Insiderwissen an die Redaktion weitergegeben habe. Diese sei durch eigene Recherchen an ihre Informationen gekommen. Der Verdacht allerdings lässt sich kaum mehr aus der Welt schaffen.
Fakt ist, und Laueners E-Mails bestätigen es: Über einen privilegierten Informationskanal zu Bersets Departement haben die Tamedia-Zeitungen nicht verfügt. Unsere Artikel basierten auf einer Vielzahl verschiedener Quellen. Das ist eben darum wichtig, weil wir uns auf diese Weise nicht in Abhängigkeiten begeben haben. Und unabhängige Medien sind für die Demokratie zentral – in einer Krise wie Corona erst recht.
Fehler gefunden?Jetzt melden.