Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen
Meinung

Grossproteste in Ungarn
Was Orban Demut lehren wird

Protest gegen die jüngsten Änderungen des ungarischen Steuergesetzes in Budapest, Ungarn, am 18. Juli 2022.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Seit knapp einer Woche gibt es Demonstrationen und Strassenblockaden in zahlreichen ungarischen Grossstädten. Zu Beginn richteten sich die Proteste nur gegen eine De-facto-Steuererhöhung für Hunderttausende Unternehmer und Selbständige. Aber steigende Benzinpreise, Inflation und höhere Nebenkosten befeuern die Wut. Seit dem Amtsantritt von Viktor Orban hat es zwar immer wieder wütende Proteste gegeben, mal von Studenten, mal von Lehrern, mal von der LGBTQ-Gemeinde. Aber die letzten Grossdemonstrationen frustrierter Bürger, die das Potenzial für grösseren Aufruhr und eine Destabilisierung der Regierung hatten, weil es um viel Geld ging – sie fanden 2014 gegen eine Internetsteuer statt, die dann auch prompt zurückgezogen wurde.

Nun fliesst das Geld aus Brüssel nicht mehr, weil die Kommission Milliarden unter anderem mit Verweis auf die Korruption zurückhält.

Bisher hat es Orban geschafft, den Bürgern das Gefühl zu geben, dass die – im Fidesz-Jargon «unorthodoxe Wirtschaftspolitik» genannte – nationale Ausrichtung von Ökonomie und Steuerpolitik im europäischen Vergleich besonders erfolgreich sei. Und dass jeder Ungar davon persönlich profitiert, solange er oder sie nicht den Fehler macht, Oppositionsparteien zu wählen. Vielversprechende Wählergruppen wie Familien oder Rentner, die konservative Klientel der Staatsbediensteten und der ländlichen Bevölkerung, vor allem aber Fidesz-nahe Konzerne, die bei Ausschreibungen regelmässig bevorzugt werden – sie alle wurden mit Steuersenkungen und Subventionen gelockt. Neben der «unorthodoxen Wirtschaftspolitik» wurde damit das zweite Standbein der Fidesz-Propaganda gestärkt: das «System der nationalen Kooperation», im Parteislogan NER. Im Grundsatz besagt es: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Aber wer für uns ist, der wird es nicht bereuen.

Regierung kämpft gegen den Kontrollverlust

Dieses Versprechen steht auf tönernen Füssen, das wird mit jedem Monat, den Viktor Orban länger im Amt ist, klarer. Denn seine Ideologie, die Liberalität und Pluralität durch unbedingte Loyalität und radikale Klientelpolitik ersetzte, funktionierte nur so lange, wie Geld scheinbar im Überfluss zur Verfügung stand. Kritik an endemischer Korruption und habitueller Selbstbedienung der Orban-Freunde wurde unter anderem abgefedert mit niedrigen Steuersätzen für Grossfamilien, hier ein paar Hundertern für ein neues Auto und dort ein paar Tausendern für ein neues Haus. Selbständige und kleine Firmen zahlten eine Art Flat Tax, und vor Wahlen gab es dann gern noch ein paar Steuergeschenke für Alte und Arme dazu.

Viktor Orban Ende Juni beim NATO-Gipfel in Madrid, Spanien.

Aber nun fliesst das Geld aus Brüssel nicht mehr, weil die Kommission sowohl beim Rechtsstaatsmechanismus als auch beim Covid-Wiederaufbaufonds Milliarden unter anderem mit Verweis auf eben diese Korruption zurückhält. Laut Budapest gibt es Bewegung; Brüssel sei, heisst es, nicht mehr so «negativ» gegenüber den Vorschlägen aus Ungarn eingestellt. Aber erstens klingt das in der EU-Kommission ganz anders, da ist von einem sehr weiten Weg bis zu einer Einigung die Rede. Und Ungarn läuft die Zeit davon. Denn auch die Anbiederung an Moskau und die hohe Abhängigkeit von russischem Gas, die Orban weit mehr als andere EU-Politiker zelebrierte und als Beweis seiner strategischen Intelligenz feierte, rächt sich jetzt. Die Regierung kämpft gegen den Kontrollverlust. Aber die vielen ineinandergreifenden, durch den Ukrainekrieg verstärkten Weltkrisen, für die Ungarn besonders schlecht gerüstet ist, werden Viktor Orban schon bald zu ungewohnter Demut zwingen.