Mamablog: Bitte nicht entrümpeln!Was ich Marie Kondo mal sagen wollte
Nach der Pandemie will die japanische Aufräumikone ein grosses Comeback geben. Bloss nicht, findet unsere Autorin und plädiert für ein anderes Konzept.
Erinnern Sie sich noch? Rund drei Jahre ist es her, seit eine gewisse Marie Kondo mit einer Netflix-Show einen weltweiten Hype ums Entrümpeln entfacht hat. Die Japanerin schaffte mit ihrem immer freundlichen, eleganten Auftritt das Kunststück, die oberste Prämisse der Wegwerfgesellschaft in eine positive Botschaft zu kleiden: Behalte, was dich glücklich macht. Alles andere wirf weg.
Für einen Moment wurde Kondo zum Messias einer gesättigten Gesellschaft, die auf ihre vielen kleinen Probleme mit Konsum reagiert. Und sie wusste davon zu profitieren: Ihre auf Buchlänge gedehnte Botschaft verkaufte sich millionenfach. In Kursen liessen sich Nacheiferer zu «KonMarie-Consultants» ausbilden. Ihr Name wurde in den USA gar zum Verb: «to kondo» bedeutet «etwas ausmisten».
Der Hype flachte zwischenzeitlich etwas ab, trotz einer neuen Netflixserie. In der Pandemie gab es offenbar Wichtigeres als die Frage, wie man Wäsche faltet und Socken sortiert. Aber Kondo arbeitete auch in dieser Zeit unermüdlich an der Kommerzialisierung ihrer Methode. Ihr Name ziert heute unzählige Produkte. Darunter auch viel Billiges, von bedruckten Teetassen bis zum Zeitschriftenhalter – künftige Entrümpelware.
Platz da bitte, sie hat ein neues Buch
Nun hat sich die Japanerin gross zurückgemeldet. In den USA, wo sie selbst lebt, hat sie nach den Paket-Exzessen der Pandemie zum kollektiven Entrümpeln aufgerufen. Natürlich nicht ohne ein neues Buch für die frei geräumten Regale parat zu haben. «Die grosse US-Pandemie-Säuberung beginnt» – kommentierte die «New York Times» letzte Woche zynisch.
Man hört es heraus. Ich habe Mühe mit dieser zur Lebensphilosophie verklärten Wegwerfmentalität. Muss man wirklich alles loswerden, für das man keine unmittelbare Verwendung mehr hat und das einem deshalb keine Freude macht?
Die Idee ist es, die Dinge so lange wie möglich in Betrieb zu halten, sie zu reparieren, zu recyceln, in Neues zu verwandeln.
Meine Eltern haben mir etwas anderes beigebracht: wenig, dafür aber Qualität zu kaufen, den Sachen Sorge zu tragen, sie zurückzulegen für später. Nachhaltigkeit beginnt mit dem Respekt vor den Dingen. Auch banalen Alltagsgegenständen, von denen niemand ernsthaft behaupten würde, dass sie ihn glücklich machen.
Es sind doch gerade die Paare, die beim Zusammenziehen den überzähligen Wasserkocher, Stabmixer oder Mikrowellenofen in den Keller gestellt haben, die jetzt den Flüchtlingen aus der Ukraine Starthilfe für ihren Haushalt leisten. Man spricht heute viel von der Kreislaufwirtschaft. Die Idee ist es, die Dinge so lange wie möglich in Betrieb zu halten, sie zu reparieren, zu recyceln, in Neues zu verwandeln. Es sind treffenderweise alte Konzepte, aus einer Zeit ohne Überfluss, die ein Modell für unsere Zukunft formulieren. Es geht ums Teilen, Verleihen, Verkaufen, Verschenken, Aufbewahren.
Der Dachboden ist eine Zeitmaschine
Mein Sohn dreht heute mit demselben Dreirad seine Runden, wie ich vor über dreissig Jahren, meine Tochter wird bald das Laufwägelchen durch unsere Wohnung schieben, in das ich einst meine Puppe gesetzt habe. Brio-Bahn, Kapla-Bauklötze, die Kasse von Fisher Price, die heute kaum verändert verkauft wird – diese Dinge sind auf dem Dachboden meiner Eltern durch die Zeit gereist.
Nun kann man einwenden, Marie Kondo propagiere nicht das Wegwerfen an sich, sondern dass man seine Beziehung zu den Dingen ehrlich abwägt. Das mag sein, aber dann sollte man es besser früher tun. In einer einfachen Formel: Bevor Sie etwas kaufen, fragen Sie sich, wird meine Tochter, werden unsere Enkel daran in 20 respektive 50 Jahren auch noch Freude haben?
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