Lesende fragen Peter SchneiderWas genau bedeutet «friedlich entschlafen»?
Eine Leserin hat eine Frage an unseren Kolumnisten, bei der es um Leben und Tod geht.
Vielleicht hat es mit meinem Alter zu tun – tatsächlich studiere ich Todesanzeigen mit zunehmendem Interesse. Dabei fällt mir auf, dass die Wendung «friedlich entschlafen» sich grosser Beliebtheit erfreut. Ich frage mich Folgendes: 1. Was wäre wohl die Alternative? 2. An wem ist es, dies beurteilen zu können? 3. Warum muss dies in einer Todesanzeige explizit erwähnt werden? F.C.
Liebe Frau C.
Willkommen im Club. Todesanzeigen sind ein «literarisches» Genre, bei dem eine allzu originelle Gestaltung eher unangenehm auffällt. Der Hinweis darauf, dass jemand «friedlich entschlafen» sei, ist eine der standardisierten Formeln, mit denen man in diesem Genre Tod und Sterben beschreibt. (Die griechische Mythologie legt die Verwandtschaft von Schlaf und Tod nahe: Hypnos und Thanatos sind schliesslich Brüder.)
Alternativen zur Wendung vom friedlichen Entschlafen sind: «unerwartet», «durch einen tragischen Unfall», «nach langer schwerer Krankheit» bzw. «nach kurzer schwerer Krankheit». Man weiss je nach Formulierung immerhin ungefähr, was der oder die Verstorbene erleiden musste bzw. wie überraschend (oder eben nicht) der Tod für die Angehörigen und Freunde war: darum die Erwähnung. Niemand erwartet in einer Todesanzeige die Detailtreue eines Obduktionsberichtes. (Niemand muss also etwas beurteilen.)
Wer sanft entschläft, dem wurde die Angst vorm und beim Sterben erspart.
«Friedlich entschlafen» heisst lediglich, dass jemand aus dem Schlaf oder einem dem Tod vorausgehenden Dämmerzustand nicht mehr aufgewacht ist. Vielen erscheint diese Art des Einschlafens als die wünschenswerteste Art des Sterbens; «Entschlafen» ist darum der beliebteste Euphemismus für «Sterben». Darin ist der Tod – die absolute Zäsur – auf eine fast beruhigende Weise in die Kontinuität und den Rhythmus des alltäglichen Lebens integriert. Wer sanft entschläft, dem wurde die Angst vorm und beim Sterben erspart.
Die Schlafmetapher, die dem Tod den Stachel nehmen soll, kann freilich die unbeabsichtigte Nebenwirkung haben, dass nun der Schlaf seinerseits unheimlich wird. Die Zeile «Morgen früh, wenn Gott will, wirst Du wieder geweckt» aus Brahms Wiegenlied, hat schon manchen Kindern und Eltern die Frage nahegelegt: Aber was ist, wenn er nicht will? Der Wunsch nach einem unmerklichen Übergang vom Leben zum Tod im Schlaf ist übrigens nicht selbstverständlich.
Die antike und mittelalterliche Philosophie und Theologie propagierte im Gegensatz dazu eine «Kunst des Sterbens». Das «gute Sterben» ist gemäss dieser Ars moriendi kein unerwartetes, plötzliches Sterben und auch kein «Entschlafen», sondern ein Sterben, auf das man sich vorbereitet und das der sozialen Gestaltung bedarf.
Der Psychoanalytiker Peter Schneider beantwortet Fragen zur Philosophie des Alltagslebens. Senden Sie uns Ihre Fragen an gesellschaft@tamedia.ch.
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