Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Lesende fragen Peter Schneider
Warum gibt es nicht mehr Mächtige, die Gutes tun?

Prost: Der chinesische Präsident Xi Jinping und Russlands Präsident Wladimir Putin bei einem Treffen im März 2023 in Moskau. 
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Warum gibt es nicht mehr Mächtige, die ihre Macht zum Wohle des Landes, der Menschen nutzen? Warum muss es nur diese Putins, diese Xi Jinpings usw. geben, die eine kleinere oder grössere Blutspur nach sich ziehen? Obwohl diese Leute wissen, dass ihr Dasein befristet ist, arbeiten sie an ihrer Macht. Macht das glücklich? A. W.

Lieber Herr W.

Offenbar macht Macht manche Menschen glücklich, auch wenn sie nur zum eigenen Wohl ausgeübt wird. Brechts vollmundige Zeilen im «Einheitsfrontlied» von 1934 sind durch die Geschichte Deutschlands, Chinas und der Sowjetunion (und vieler anderer Länder) widerlegt. «Und weil der Mensch ein Mensch ist / Drum hat er Stiefel im Gesicht nicht gern / Er will unter sich keinen Sklaven sehen / Und über sich keinen Herrn.»

Schön wärs. «Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so.» (Auch Brecht) Macht, wenn sie nicht institutionell begrenzt ist – durch Justiz, Medien, Parlament, Abstimmungen –, scheint ein Selbstläufer zu sein, und der Machterhalt so etwas wie der unbedingte Lebenstrieb der Macht, der auch durch den Gedanken an die eigene Vergänglichkeit nicht zu bändigen ist.

Es geht nicht ohne Macht. 

Der Wunsch der Menschen nach der Figur eines «guten Diktators» sitzt einer Illusion auf. Nämlich dem ins Grosse projizierten Bild grundgütiger Eltern, die stets nur das Beste für ihre Kinder wollen und auch wissen, worin dieses besteht. Solche Eltern gibt es erstens nicht, und zweitens ist das auch gut so.

Denn zur Elternschaft gehören Bescheidenheit hinsichtlich der eigenen Macht und demütige Einsicht darin, dass Erziehung kein kausaler Prozess ist. (Mal abgesehen davon, dass Bürger keine Kinder sind.) Es geht nicht ohne Macht. Ohnmacht und politisches Handeln schliessen einander aus. Wer zum Wohle von Menschen handeln will, muss über Macht verfügen, seine Pläne durchzusetzen. Wie Macht freilich korrumpiert, sobald man sie nicht nur einfordert, sondern tatsächlich ausübt, konnte man bei nahezu allen lateinamerikanischen und afrikanischen Volksbefreiern beobachten.

Man hat allen Grund, der Macht zu misstrauen. Aber man sollte auch nicht vergessen, dass es immer auch «mächtige» Figuren gibt, die ihre (wie gesagt: institutionell beschränkte) Macht gut nutzen. Franklin D. Roosevelts «New Deal» scheint mir ein Beispiel für eine solche Machtausübung zu sein. Richard Nixon liegt wohl auf der anderen Seite der Skala: Seine Maxime war der skrupellose Machterhalt.

Wir sollten uns realistischerweise darauf einstellen, dass es nicht so sehr darum geht, das politische Personal mit Lichtgestalten zu besetzen, sondern dass es vielleicht schon viel ist, ein System so auszugestalten, dass selbst Schurken und Schurkinnen möglichst wenig Schlimmes anrichten, bevor man sie endgültig zum Teufel jagt.

Der Psychoanalytiker Peter Schneider beantwortet Fragen zur Philosophie des Alltagslebens. Senden Sie uns Ihre Fragen an gesellschaft@tamedia.ch.