Lesende fragen Peter SchneiderKann man Putin verstehen – aber seinen Krieg verurteilen?
Unser Kolumnist erklärt, was ihn bei der Russland-Versteherei besonders irritiert.
Es fällt mir auf, dass es einige Stimmen gibt, die sagen, dass sie die russische Regierung verstehen, den Krieg jedoch verurteilen. Ist beides gleichzeitig möglich? Ist das nicht ein unlogischer, unmöglicher Widerspruch? Ist diese Aussage eine Rechtfertigung des Krieges? S.I.
Lieber Herr I.
Unlogisch ist es nicht, etwas zu verstehen und es gleichzeitig zu verurteilen. Auch die bestens verstandene Tat kann ein Verbrechen sein. Man kann vielleicht sagen, dass man Verstehen und Verurteilen deshalb als so gegensätzlich empfindet, weil die härteste Verurteilung mindestens psycho-logisch mit einer Verstehensverweigerung gepaart ist. Zu «verstehen», was in einer KZ-Aufseherin vor sich geht, welche die Fragen eines 13-jährigen Mädchens nach seiner Mutter mit dem genervten Hinweis auf den Rauch aus dem Krematorium beantwortet, würde bedeuten, sich die Logik der Entmenschlichung zu eigen zu machen. (Die Schoah-Überlebende Edith Bruck war dieses Mädchen.)
Nun aber zu Ihrer Frage, ob das gleichzeitige Verurteilen und Verstehen eine Rechtfertigung des Krieges darstellt. Die Antwort ist einfach: Ja, das tut es. Das Verstehen in einer Psychotherapie zum Beispiel folgt einem anderen Konzept als etwa das Verständnis für Putin. Das Erste zielt darauf ab, etwas zu verändern, beim Zweiten geht es um Unterwerfung unter die putinsche Kriegslogik.
Denn hier geht es um eine rhetorische Figur nach dem Muster «Ich habe nichts gegen Juden, aber Rothschilds …» Es handelt sich um die Minimal-Maskierung eines antijüdischen Furors, die so formuliert wird, und nicht eine Abwägung wie in der Äusserung «Ich mag ja Gemüse, aber Broccoli?».
«Kitsch der Härte»
Was bei der Russland-Versteherei besonders irritiert, ist die zur Schau gestellte Angst vor einem Atomschlag. Einerseits wird er als Horrorszenario an die Wand gemalt, andererseits wird er als leider verständliche Reaktion auf die Unnachgiebigkeit der Ukraine «verstanden». Man zeigt also gewissermassen für die eigene Auslöschung «Verständnis», indem man sie als unausweichliche Konsequenz der ukrainischen Verteidigung betrachtet. Diese «Identifikation mit dem Aggressor» ist schwer verständlich.
Die sich als Realismus gebende Verleugnung der Verletzlichkeit der Menschen sorgt für eine Unterwerfung unter eine Ideologie, die Constantin Seibt einmal sehr treffend als «Kitsch der Härte» bezeichnet hat. Eine Atombombe hätte den Vorteil, dekadente Wokeness, Lastenfahrräder, Gendersterne, Transgender- und LGBTIQ-Kram, Salatbowls, Klimaerwärmung, und was die Menschen sonst noch so plagt und bewegt, auf einen Schlag loszuwerden und zurückzukehren zu jenem harten, aber gerechten Zustand, als der Mensch noch des Menschen Put*in war.
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