Forderung der GrünenWas bringen 10 Millionen Bäume dem Klima?
Die Umweltinitiative der Grünen Partei ist gut für das Stadtklima und die Artenvielfalt, doch für die Kompensation von Treibhausgasen spielt sie eine kleine Rolle.
Die Sommerlinde war gut 20 Meter hoch. Stamm, Äste und Blätter ergaben eine Biomasse von über 4 Tonnen. Sie stand in der Stadt Bern. Forschende der Berner Fachhochschule und der Universität Zürich haben sie ausgemessen, dann wurde sie gefällt. 125 Jahre alt wurde sie, in dieser Zeit hat sie rund 2 Tonnen Kohlenstoff im Holz gebunden und dafür der Umgebungsluft etwa 7 Tonnen Kohlendioxid entzogen. Der Baum war nicht nur ein willkommener Schattenspender in der aufgewärmten Stadt im Sommer – er filterte die Stadtluft, war Lebensraum und Klimaschützer.
Die Grüne Partei will mit einer neuen Umweltinitiative diese lebenswichtigen Eigenschaften der Bäume nutzen und 10 Millionen Bäume ausserhalb der Schweizer Wälder pflanzen – etwa hochstämmige Obstbäume auf dem Land und Stadtbäume in den Parks.
Gefragte Eigenschaft der Bäume
Bäume spielen längst eine klimapolitische Rolle. Sie produzieren sogenannte negative Emissionen, weil sie für die Fotosynthese der Umgebungsluft CO₂ entziehen; der Kohlenstoff wird für die Holzproduktion verwendet, und der Sauerstoff wird an die Luft abgegeben. Und diese Eigenschaft ist wohl in den nächsten Jahrzehnten gefragt: Denn die Schweiz hat sich wie viele andere Staaten das Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu sein. Das heisst: Sie will die CO₂-Emissionen aus dem Verkehr, den Heizungen und Industrieanlagen durch eine Elektrifizierung der Energieversorgung möglichst auf null reduzieren. Wo es nicht vollumfänglich möglich ist, wie zum Beispiel in der Stahlindustrie und der Landwirtschaft, braucht es Instrumente wie die Bäume, mit deren Hilfe die restlichen Treibhausgas-Emissionen kompensiert werden können. Und dieser Rest ist beträchtlich gemäss einem Bericht des Bundesamts für Energie: Rund 12 Millionen Tonnen Treibhausgase sollen 2050 aus heutiger Perspektive immer noch produziert werden, das ist etwa ein Viertel der heutigen Emissionen.
Die Initiative der Grünen Partei könnte helfen. Aber wie stark ist denn der Klimaeffekt von Bäumen überhaupt? Die Grünen gehen davon aus, dass mit 10 Millionen zusätzlich gepflanzten Bäumen etwa 10 Millionen Tonnen CO₂ gebunden werden können. «Das ist eine robuste Schätzung», sagt Bastien Girod, Zürcher Nationalrat der Grünen und ETH-Dozent. Er beruft sich dabei auf eine ältere Schätzung, nach der ein 40-jähriger Baum im Durchschnitt rund 1 Tonne CO₂ speichern kann. «Bei einheimischen Bäumen kann es je nach Art auch 100 Jahre dauern, bis sie 1 Tonne CO₂ gebunden haben», sagt Girod.
55 Kilogramm pro Jahr gespeichert
Tatsächlich ist es schwierig, abzuschätzen, welchen Klimaeffekt zum Beispiel ein Stadtpark mit verschiedenen Baumarten unterschiedlichen Alters hat. Einen detaillierten Einblick gibt nun eine neue Arbeit des Umweltbüros Nategra, der Berner Fachhochschule, der Universität Zürich und des Forschungsinstituts WSL. Das Ziel der Untersuchung war, die Biomasse von Bäumen ausserhalb des Waldes besser abschätzen zu können. Dafür wurden 55 Bäume unterschiedlicher Arten aus sieben Städten untersucht, darunter Bern, Zürich, Winterthur und Lausanne.
Die Bäume wurden traditionell forstlich von Hand sowie mit neusten terrestrischen Laserscannern ausgemessen und anschliessend gefällt. So konnte mithilfe der Jahrringe das Alter bestimmt werden. Es entstand als nützliches Nebenprodukt der Untersuchung einer Datenbank, wie viel CO2 die Bäume während ihrer Lebensdauer gebunden hatten.
Die Bandbreite ist gross: von der Esche, die im Jahr rund 16 Kilogramm CO₂ aufnimmt, über die Buche mit etwa 37 Kilogramm bis zum Spitzahorn mit 192 Kilogramm CO₂. Nimmt man die Daten aller untersuchten Bäume, so kommt man auf ein mittleres Alter von 68 Jahren. In dieser Zeit haben die einzelnen Bäume jährlich durchschnittlich 55 Kilogramm CO₂ aufgenommen – das macht, über die Lebensdauer gerechnet, für einen einzelnen Baum ungefähr 3700 Kilogramm.
Zu einfache Rechnung
Würde man nun die Initiative der Grünen mit dem Artenquerschnitt der untersuchten Bäume umsetzen und 10 Millionen Bäume pflanzen, dann käme man nach 40 Jahren auf etwa 22 Millionen Tonnen CO₂, das wäre doppelt so viel wie die Schätzung der Grünen. Nun ist diese einfache Rechnung letztlich auch eine Zahlenspielerei – in Wirklichkeit ist wie immer alles etwas komplizierter. «Für den positiven Klimaeffekt dürfen nur die zusätzlichen Bäume angerechnet werden», sagt Esther Thürig, Waldforscherin an der WSL und Mitautorin der Baumstudie. Denn ersetzt ein Teil der neu gepflanzten Bäume alte Exemplare, so kompensieren sie nur die alten Bäume, weil Letztere nach dem Fällen bei der Entsorgung ihren gespeicherten Kohlenstoff wieder an die Atmosphäre abgeben.
«Der Hauptzuwachs der Bäume ist je nach Baumart etwa nach 20 bis 40 Jahren.»
Hinzu kommt, dass Bäume nicht gleichmässig wachsen. Zuerst ist das Wachstum langsam, dann wird es schneller, um schliesslich im höheren Alter wieder gebremst zu werden. «Der Hauptzuwachs der Bäume ist je nach Baumart etwa nach 20 bis 40 Jahren», sagt Esther Thürig. Wie alt Stadtbäume in Zukunft werden, hängt jedoch von der Klimaentwicklung und der künftigen Zusammensetzung der Baumarten ab.
Einheimische Arten unter Stress
Forschende der Berner Fachhochschule HAFL gehen im Projekt «Urban Green & Climate» für 2060 im Schweizer Mittelland von einem Klima aus, das der heutigen kontinentalen Balkanregion entsprechen würde. Das hätte Folgen für die Artenzusammensetzung: Einheimische Bäume würden zurückgehen, angepasste Arten aus Südeuropa hätten einen Vorteil, die Baumvitalität würde unter Hitze- und Trockenstress reduziert, und die Lebenserwartung wäre tiefer. Unter den aktuellen Bäumen gehören zum Beispiel der Feldahorn, die Silberlinde und die Zerreiche zu den Klimafittesten.
Ein schneller Klimaeffekt ist also durch die Bäume nicht zu erwarten. «Die Schätzung der Grünen ist gar nicht so schlecht, wenn man die besagten Faktoren berücksichtigt», sagt WSL-Forscherin Thürig.
Beschränkter Nutzen
Aber: Die Schätzungen zeigen auch auf, wie beschränkt der Nutzen der Baumpflanzung ist, um das Nettonullziel des Bundes zu erreichen. Bleiben wir beim Querschnitt der untersuchten Stadtbäume, so würden 10 Millionen zusätzliche Bäume im Jahr durchschnittlich etwa eine halbe Million Tonnen CO₂ binden. Zur Erinnerung: Auch 2050 müssen noch rund 12 Millionen Emissionen Treibhausgase jährlich kompensiert werden. «Der Klimaschutz kann ein Grund sein, Bäume in der Stadt zu pflanzen», sagt Thürig. Aber wichtiger findet sie die anderen Effekte: Kühlung, Stadtbild, Erholungsraum, Biodiversität. «Das ist doch eigentlich wunderbar – eine multiple Ökosystem-Dienstleistung», so Thürig.
Die Partei der Grünen rechnet damit, dass die Umsetzung der Pflanzinitiative etwa 2 Milliarden Franken kosten würde.
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